Artikelkategorie: Buchbesprechungen

Stefan Schröder – Die Jagd nach dem Brot

Es ist eine interessante Zeit, in der Stefan Schröder seinen Roman ansiedelt. Denn es beginnt ein Phänomen, dem wir auch heute wieder gegenüber stehen: Um 5.500 v. Chr. wandelt sich das Klima, es wird wärmer. Damit beginnt (nicht nur) in Mitteleuropa ein Prozess, der durch seine Folgen die Welt bis heute verändert hat. Und so hat der Roman, obwohl er in einer Zeit spielt, die über 7000 Jahre zurückliegt, brisante Aktualität. Die Tier- und Pflanzenwelt passt sich dem Wandel an. Somit verändern sich auch die Lebensumstände, und damit auch die Lebensgewohnheiten der Menschen. Es sind Jäger und Sammler, die sich nun dem neuen Wildangebot anpassen müssen. Das gewohnte Wild zieht sich in den Norden zurück, Wälder entstehen, wo vorher Steppe war, die Gewässer werden fischreicher, Waldtiere breiten sich aus. Rohstoffe werden knapper, so werden die aus Feuerstein gefertigten Klingen kleiner, aber auch vielfältiger, denn die Waffen müssen sich der Jagdbeute anpassen. Und die Menschen beginnen, länger an einem Ort zu verweilen. In dieser Zeit wandern auch immer mehr Ackerbauern und Viehzüchter in Europa ein, und …

Heidi Rehn – Die Buchhandlung in der Amalienstraße

Um 1900 war die Stadt München unter Künstler:innen ›the place to be‹. Dank des kunstaffinen Prinzregenten Luitpold entwickelte sich die Stadt an der Isar zu einer wahren Kunstmetropole. Aus ganz Europa zog es Kreative in die liberale, moderne Residenzstadt, um dort zu studieren, zu schreiben, zu philosophieren, zu leben. In den Schwabinger Cafés diskutieren Intellektuelle bei einem Kaffee über Gott und Welt. Wer an der Hochschule bei Franz von Stuck das Malen erlernen wollte, musste allerdings ein Mann sein. Frauen waren hier nicht zugelassen. Wie Frauen überhaupt dieses und auch und gerade jenes qua Geschlecht nicht durften. Diese Ungerechtigkeit galt es aufzuheben. In München traten engagierte Frauen wie Anita Augspurg, Sophia Goudstikker, Carry Brachvogel, Ilka Freudenberg, Helene Böhlau, Emma Haushofer-Merk und andere an, um für die Sache der Frauen zu kämpfen. Anspruchsvolle Unterhaltung Nicht von ungefähr verortet Rehn ihre zuletzt erschienen Romane in das München des (beginnenden) 20. Jahrhunderts. Es ist dies … ▹ Buchbesprechung lesen!

Julie Marsh – Die Ladys von Somerset

– »Ich bin keine Kupplerin.« Emma Smart, Die Ladys von Somerset, S.120 Wie wahr, möchte ich Emma beim Lesen dieser Zeile zurufen. Nein, Emma ist keine Kupplerin. Sie schreibt Theaterstücke, natürlich nicht unter ihrem Namen, aber eine Kupplerin ist sie gewiss nicht. Aber ach, Emma Smart, die Heldin dieser Geschichte, wird von Lady Darlington geradezu in diese Rolle gedrängt. Obwohl die kapriziöse Lady Emma eigentlich als Gesellschafterin für ihre Tochter engagiert hat … Und das alles nur, weil Emmas Oheim, ein ambitionierter Sammler edler Tabakdosen und säumiger Schuldner, von jetzt auf gleich in die Fleet geschleppt worden ist und sie ihn dort freikaufen muss. Genau das ist Emma indes mangels Vermögen nicht möglich ist, weshalb sie sich überhaupt erst bei der blasierten Lady Darlington in Somerset verdingen muss (»Sagten Sie Shakespeare? Der, der die Bücher geschrieben hat?«). Natürlich ahnt die Lady nichts von Emmas künstlerischen Ambitionen. Ihr geht es nur um eines; ihre Tochter Anthea soll profitabel unter die Haube respektive an den wohlhabenden Lord Livingstone gebracht werden. Doch hier, auf dem Landsitz der narzisstischen …

Felicia Otten – Die Landärztin

Thea Graven ist angehende Gynäkologin und Ärztin aus Überzeugung. Anfang der 50er Jahre ist es nicht selbstverständlich, dass sie eine Stelle in der Chirurgie der Hamburger Universitätsklinik bekommen hat. Viele Kriegsheimkehrer besetzen die Arztstellen, so dass sie froh sein kann, überhaupt als Ärztin arbeiten zu können …

Jasna Mittler – Blau Auge

»Ah oui« – Auf zwei Zeitebenen erzählt Jasna Mittler die Geschichte des besonderen Steins »Blauauge« und damit verbunden die von der Bildhauerin wider Willen Hanna Klopp und die von Monsieur Haüy. Dankenswerterweise erfährt der Leser gleich auf den ersten Seiten, dass sich der Name wie ›Ah oui‹ spricht. Der Kristallograph René Just Haüy ist nämlich der Namensgeber der Kristalle, zu denen auch »Blauauge« gehört. Sie sind in der Vulkaneifel häufig zu finden, allerdings ist Blauauge das größte Exemplar, das je gefunden wurde. Und wieder verloren wurde. Im 18. Jahrhundert reist René Just Haüy zusammen mit seinem Bruder nach Maria Laach. Sie quält ein geologisches Problem, was sie hoffen, in der Vulkaneifel lösen zu können. Auf ihrer Reise quält sie gleichermaßen auch eine große Hitze, und bestialischer Schwefelgestank. Was niemand der Beteiligten weiß: Ein Vulkan im fernen Island ▹ Buchbesprechung lesen!

Heidi Rehn – Die Tochter des Zauberers

Heidi Rehn – »Die Tochter des Zauberers« – »Es gibt nichts in meinem Leben, was ich nicht bereitwillig erzählt hätte; nichts, was ich aus irgendeinem Grund verheimlichen müsste.« – Erika Mann Im Jahr 1936 befinden sich Erika und ihr Bruder Klaus Mann auf dem Weg in die USA. Nichts ist mehr sicher in Deutschland, in ganz Europa, seit die Nationalsozialisten die Macht an sich gerissen haben und den Großteil des deutschen Volkes vorbehaltlos hinter sich wissen. Erika und Klaus sind zu diesem Zeitpunkt längst politisiert, wissen um die Niedertracht dieser Partei und beziehen auch öffentlich Stellung gegen das Regime. Ab 1933 gab Klaus Mann »Die Sammlung«, eine Literarische Monatszeitschrift heraus. Für »Die Sammlung« gewann Klaus Mann Schriftsteller wie Stefan Zweig, André Gide und seinen Vater, Thomas Mann. Auch Heinrich Mann, sein Onkel, war ›on board‹. Unterstützung finanzieller Art erhielt Klaus Mann von Annemarie Schwarzenbach. Erika Mann engagiert sich, indem sie weiterhin streitbare Texte gegen die Nationalsozialisten schreibt und diese als Schauspielerin in der der »Pfeffermühle«, jener legendären Kabarettgruppe, die sie gemeinsam mit ihrem Bruder Klaus, …

Antike Welt – Im Feld – Wie der Grabungsalltag wirklich aussieht

Antike Welt Sonderheft 9/20 – »Im Feld – Wie der Grabungsalltag wirklich aussieht« – Schattige Plätzchen, Essen und Tee … Es ist eine vollmundige Ankündigung auf dem Titel dieses Sonderheftes der Antiken Welt, einer Zeitschrift für Archäologie und Kulturgeschichte. Sie weckt Erwartungen auf besondere Erkenntnisse, Blicke in die Grabungsprozesse, die ein Besuch einer öffentlich zugänglichen Grabung nicht mehr wiedergeben kann. Das Inhaltsverzeichnis verspricht Einblicke in internationale Grabungen, von Deutschland, Österreich und der Schweiz bis hin zum nahen und fernen Osten, über Israel bis Nordafrika, ja sogar bis Peru. Die Zeitspanne der Fundstätten geht von der Steinzeit bis zur Eisenzeit im weitesten Sinne. Voller Spannung erwartet man sich durch die Lektüre Erkenntnisse, die sich dem Besucher einer öffentlich präsentierten Ausgrabung nicht erschließen. Also Einblicke in den Prozess, sowohl des handwerklichen als auch dem des Erkenntnisgewinns. Schattige Plätzchen, Essen und Tee … Leider wird das Heft diesen Erwartungen nicht gerecht. Das hat mehrere Gründe: Zum einen sind die Beiträge recht kurz, keiner umfasst mehr als 3 bis 4 Seiten, wobei die Hälfte von Fotos gefüllt ist. Da …

Sophie Seemann: Verschwundene Krankheiten

Sophie Seemann – »Verschwundene Krankheiten« – Wenn wir etwas dieses Jahr nicht mehr brauchen, dann sind es Krankheiten. Nichts hat uns 2020 mehr beschäftigt als Infektionswege, Hygiene, Impfungen. Es wundert also nicht, dass dieses Buch der Kinderärztin und Medizinhistorikerin Sophie Seemann auf der Shortlist zum Wissenschaftsbuchpreis in Österreich stand. Und tatsächlich ist es auch tröstlich, in einem Buch zu lesen, wie die Menschheit immer wieder den Kampf aufgenommen hat gegen Krankheit und Gebrechen und wie unser Wissen über den Körper und seine Störungen dabei gewachsen ist. Das Buch bietet eine alphabetische Auswahl an Krankheiten von »Alpenstich« bis »Versehen«, erhebt damit keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Gliederung ist leider eine Schwäche, denn es wird nicht unterschieden zwischen Krankheiten, die verschwunden sind, weil sie einer überkommenen Diagnostik angehörten {wie etwa das »Versehen«} oder weil sie ausgerottet wurden; weiterhin wird auch nicht unterschieden zwischen Infektionskrankheiten, Berufskrankheiten, Behinderungen und Modediagnosen. Der Vorteil ist aber, dass sich das Buch so recht abwechslungsreich liest und man ohne medizinische Vorkenntnisse einsteigen kann. Fachlich fundiert und trotzdem zugänglich und unterhaltsam zu schreiben ist …

Christine Wunnicke – Die Dame mit der bemalten Hand

Christine Wunnicke – »Die Dame mit der bemalten Hand« – Um es gleich vorweg zu sagen: Viele Damen kommen in diesem Roman nicht vor, der Titel bezieht sich auf ein Sternbild aus der arabischen Astronomie, eine echte Dame mit Henna bemalter Hand erscheint in der Schlussszene und zwar die Tochter der Hauptfigur Musa al-Lahuri. Ansonsten ist es die Geschichte der Begegnung zweier Männer: Auf seiner Rückreise von einem Kunden, für den er ein teures Astrolabium gefertigt hat, strandet Musa 1764 auf einer verwilderten Insel irgendwo vor Indien. Dort trifft er auf den deutschen Forschungsreisenden Carsten Niebuhr, der dort, erkrankt und dem Wahnsinn nahe, in einem verfallenen Hindu-Tempel haust. Musa päppelt ihn auf, mehr aus Verpflichtung denn mit echter Begeisterung und man kommt ins Gespräch. In viele Gespräche. In Rückblenden erfährt die Leserschaft vom Schicksal der Forschungsexpedition, die in den Diensten des dänischen Königs aufbrach, um den wissenschaftlichen Gehalt der Bibel im vorderen Orient zu erforschen. Sobald der Deutsche seine gute Stube verlässt, ist er offensichtlich dem Tod und/ oder dem Wahnsinn geweiht: Von sechs Expeditionsteilnehmern …

Wolfgang und Hasmann: Die wilde Wanda und andere gefährliche Frauen

Gabriele Hasmann & Sabine Wolfgang – »Die wilde Wanda und andere gefährliche Frauen« – Verbrecherinnen über die Jahrhunderte – »Verbrecherinnen über die Jahrhunderte « D ie Autorinnen stellen in ihrem Buch bekannte und unbekannte Verbrecherinnen vor, die vom 18. bis 20. Jahrhundert ihren Mitmenschen das Leben schwer machten, sie manchmal auch Leben zum Tode beförderten. Einzige Ausnahme, die noch in das 16. Jahrhundert zurückreicht, ist der bekannte Fall der Elisabeth Bathory, der 1611 der Prozess gemacht wurde und deren grausames Taten ihresgleichen suchten. Im 20. Jahrhundert ist die KGB-Agentin Edith Tudor-Hart bekannt geworden, die eine führende Rolle bei der Rekrutierung des Spionagerings Cambridge Five spielte und zum Beispiel auch Kim Philby anwarb, ein prominentes Mitglied dieser Gruppe. Das Buch widmet sich 22 dokumentierten Kriminalfällen, die die Autorinnen jeweils vier Hauptmotiven zuordnen: Rache und Hass, Geltungsbedürfnis und Luxussucht, Habgier und Geldnot sowie Lust und Leidenschaft. Dass die Fälle selbst jeweils nach dem gleichen Muster geschildert werden, bietet dem Leser wegen ihrer Vielzahl und Unterschiedlichkeit eine gewisse Orientierung: Zu Beginn jedes Falles steht eine Zusammenfassung, die einen …