Histo Journal Buchbesprechung: Jasna Mittler – Blau Auge

»Wie ein Stein Monsieur Haüy dazu brachte, dass er Deutsch lernte und eine Blindenschrift erfand

Gelesen & Notiert von Ilka Stitz

Inhalt:
Als Valentin Haüy die blinde Pianistin Therese Paradis zum ersten Mal spielen hört, entbrennt er in heller Liebe. Er schenkt ihr einen tiefblauen Kristall, den er eigentlich für seinen Bruder, den berühmten Mineralogen, aufbewahren soll. Doch der Stein bleibt nicht lange in Thereses Besitz. Er wird gestohlen, verkauft, verwettet und landet Jahrhunderte später in den Händen der Tochter des Bildhauers Peter Klopp in der Eifel.
Hanna ahnt, welchen Schatz sie entdeckt hat, und versucht herauszufinden, wie der Stein aus dem Besitz des französischen Mineralogen René Just Haüy in die Werkstatt ihres verstorbenen Vaters gelangen konnte. Ihre Nachforschungen führen sie nach Paris, tief in ihre eigene Familiengeschichte und zu einem Mann, der ihre Faszination teilt.

Weitere Informationen finden Sie auf der Website des Schruf und Stipetic Verlags

»Ah oui«

Auf zwei Zeitebenen erzählt Jasna Mittler die Geschichte des besonderen Steins »Blauauge« und damit verbunden die von der Bildhauerin wider Willen Hanna Klopp und die von Monsieur Haüy. Dankenswerterweise erfährt der Leser gleich auf den ersten Seiten, dass sich der Name wie ›Ah oui‹ spricht. Der Kristallograph René Just Haüy ist nämlich der Namensgeber der Kristalle, zu denen auch »Blauauge« gehört. Sie sind in der Vulkaneifel häufig zu finden, allerdings ist Blauauge das größte Exemplar, das je gefunden wurde. Und wieder verloren wurde.

Im 18. Jahrhundert reist René Just Haüy zusammen mit seinem Bruder nach Maria Laach. Sie quält ein geologisches Problem, was sie hoffen, in der Vulkaneifel lösen zu können. Auf ihrer Reise quält sie gleichermaßen auch eine große Hitze, und bestialischer Schwefelgestank. Was niemand der Beteiligten weiß: Ein Vulkan im fernen Island ist ausgebrochen und sorgt vielerorts monatelang für Wetterkapriolen, Gestank, Himmelserscheinungen, Missernten.
In Maria Laach beziehen die beiden Brüder Quartier. Ihre Anwesenheit spricht sich herum, und als eine Art Sühneopfer schenkt die Dorfbevölkerung René Just Haüy den besonderen Kristall, Blauauge.

Wie dieser nach Paris gelangt, dort verschwindet, und bei Hanna Klopp wieder auftaucht erzählt Jasna Mittler auf der einen Seite ganz unprätentiös, teilweise fast dokumentarisch, auf der anderen Seite mit einer hinreißend präzisen und bildhaften Sprache, die immer in der jeweiligen Zeit beheimatet ist. Jasna Mittler balanciert gekonnt auf den beiden Zeitebenen der Protagonisten, verknüpft die Geschichte der Kristalle mit der Geschichte der Bildhauertochter Hanna, die das Vermächtnis ihres Vaters erfüllen muss: eine Statue zu Ehren von René Just Haüy fertigzustellen. Dass die Erzählstränge einmal im Präsens – der historische Teil – und einmal im Imperfekt – beim zeitgenössischen Teil – erzählt werden, hilft bei der Orientierung, ist beim Lesen aber vermutlich eher ein unbewusst wahrgenommener Faktor, der den Lesefluss nicht beeinflusst.

Ein Stück weit wird in der Figur der Hanna die Biographie der Autorin sichtbar, was den Roman nur umso authentischer werden lässt. Geht es um ihre Arbeit an der Statue fühlt sich der Leser schweißgebadet und staubbedeckt, wenn Hanna ans Werk schreitet, und arbeitet, bis ihr vor Schmerzen der Hammer aus der Hand fällt. Aber nicht weniger anschaulich geht es bei den Brüdern Haüy zu: man schwitzt mit ihnen in der Kutsche auf dem Weg von Paris in die Eifel, wandert über die Felder und freut sich mit ihnen über den Fund eines versteinerten Meerestieres auf einer Hügelkuppe und bestaunt die Vielfalt der Kristalle.
Darüberhinaus erzählt Mittler eine spannende und interessante Geschichte, rund um die Haüy-Kristalle, speziell Blauauges Auftauchen, Verschwinden und Wiedererscheinen.

Fazit

Es ist eine sprachlich glanzvolle, bezaubernde Geschichte, deren Lektüre großen Genuss bereitet, die die Welt der Kristalle und der Bildhauerei eröffnet. Und für die man sich unbedingt Zeit lassen sollte. Angemerkt werden sollte vielleicht, dass sich niemand vom Cover irritieren lassen sollte, das in seiner pinken Erscheinung nicht recht zum Inhalt des Buches passen will.

Die Autorin


Autorin Jasna Mittler
Fotocredit: © Dagmar Schruf

Jasna Mittler, 1975 geboren, wuchs in Mendig in der Vulkaneifel auf. Sie studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis an der Universität Hildesheim, besuchte Seminare zum Kreativen Schreiben bei Hanns-Josef Ortheil. 2004 erhielt Jasna Mittler den Martha-Saalfeld-Förderpreis, zwei Jahre später das Förderstipendium für junge Literaten der Stadt Köln und 2007 ein Aufenthaltsstipendium der Villa Decius in Kraków/Polen.

Ihr erstes Buch Der heilige Erwin. Eine Weih-nachtsgeschichte in 24 Kapiteln (2005) wurde zum Best- und Longseller.
2012 erschien die Sammlung von 99 Liebesgeschichten Meine erste bis neunundneunzigste Liebe.