Artikelkategorie: Gastautor

Gastbeitrag von Beate Sauer

Gastbeitrag von Autorin Beate Sauer – Als ich »Polizistinnen im geteilten Deutschland« von Bettina Blum las, recherchierte ich über eine ganz andere Zeit als die direkten Nachkriegsjahre. Doch dann stieß ich auf jene beiden Interviewpassagen. In einer schildert eine Beamtin der Weiblichen Kriminalpolizei {WKP} wie sie einen kleinen Jungen befragen sollte, der Zeuge eines Mordes geworden und darüber verstummt war. Er war so verschreckt, dass er sich vor ihr unter einem Tisch versteckte. Die Beamtin wusste sich nicht anders zu helfen, als zu ihm unter den Tisch zu kriechen. So gelang es ihr, das Kind zum Sprechen zu bewegen. Der Mord konnte aufgeklärt werden. In einer anderen Interviewpassage erzählte eine Beamtin, wie sie in der Nachkriegszeit von einem männlichen Kollegen durch eine Winterlandschaft zu einem Dorf gefahren wurde. {Zu dieser Zeit hatten die Beamtinnen der WKP häufig noch keinen Führerschein.} Ich sah Schnee bedeckte Ruinen und verbrannte Bäume in einer unwirtlichen ländlichen Gegend vor mir. Dieses Bild und die Szene der Beamtin, die unter dem Tisch mit einem kleinen Jungen sprach, ließen mich nicht mehr …

Langer Marsch

Langer Marsch – Nennt Clementine Skorpils Ich-Erzähler Wen Pi in »Langer Marsch« die Erinnerungen, die in seinen Händen eine Eigentätigkeit ohne eigenes Zutun entfalten. Für ihn mag das zutreffen. Für Skorpil nicht. Sie schafft ein beeindruckendes Konstrukt aus historischen Fakten und fiktiven Figuren und Schauplätzen, kunstvoll ineinander verwoben. Für den mit chinesischer Geschichte und maoistischem Personal nicht Vertrauten: Ein Personenregister vorneweg hilft, wenn man es genauer wissen will oder unterwegs den Überblick verliert bei all den fremd klingenden Namen. Man kann aber auch darauf verzichten, obwohl Skorpil die politischen Ereignisse in den Vordergrund stellt. Von der Tortur des Marschs erzählt sie in gnädig distanzierendem Rückblick. Die Eindringlichkeit ihrer Bilder, Sprache, des Ungesagten, die Authentizität der Figuren entfaltet bei aller Andeutung dennoch einen Sog, dem man sich schwer entziehen kann. Dass die Zeit die Gnade des Vergessens verwehre, wie eingangs festgestellt, hat mit dem Thema zu tun. Es geht um Macht, die etwas mit den Menschen … » Gast-Buchbesprechung von Regina Schleheck lesen

Gastbeitrag von Constanze Wilken: Manet Ausstellung in Hamburg

Ausstellung Kunsthalle Hamburg 27.Mai – 4.September 2016 – Ein Gastbeitrag von Constanze Wilken »Monsieur Manet, ein enfant terrible der Kunst das es mit vulgärer Kühnheit und ungestraft gebliebenem Skandal rasch zu Ruhm brachte.« Mathurin de Lescure, Revue contemporaine, 15.Mai 1865 Die Schmähungen der zeitgenössischen Kunstkritiker für den Künstler Edouard Manet {1832 – 1883} waren vielfältig und leidenschaftlich – genau wie die provokante Kunst des Malers. Wie kaum ein anderer Künstler revolutionierte Manet die Kunst des 19. Jahrhunderts mit seiner aufrüttelnden direkten Bildansprache des Publikums. Hamburger Kunsthalle © C. Wilken Seine Bilder lösten bei Kritikern und Besuchern der Pariser Salon-Ausstellungen Proteststürme und Skandale aus. Was für uns heute normal ist, traf den moralinsauren Bürger des 19. Jahrhunderts bis ins Mark. Manet stellte mit bisweilen brutaler, unverblümter Direktheit die andere Seite der Gesellschaft dar – nämlich jene, die hinter verschlossenen Türen existierte. Die Hamburger Kunsthalle meldet sich zurück Die Hamburger Kunsthalle meldet sich nach einer längeren Umbauphase mit einer großen Manet Ausstellung zurück, die den »Blick der Moderne« in den Mittelpunkt rückt. Die Ausstellung ist zugleich das …

Gastartikel: Christiane Lind über Christopher Marlowe

Ein dubioser Tod in Deptford – Christopher Marlowe, genannt Kit, im selben Jahr wie William Shakespeare geboren, galt seinen Zeitgenossen als einer der größten Dichter. Marlowe schrieb als erster Theaterstücke im Blankvers und ist Verfasser der tragischen Geschichte des Doctor Faustus, die Goethe inspirierte. Dennoch kennen ihn heutzutage wohl nur Literaturwissenschaftler und Theaterfreunde, während nahezu jeder Mensch von Shakespeare gehört hat und eines seiner geflügelten Worte zitieren kann. Was führte dazu, dass Christoper Marlowe in Vergessenheit geriet, während sein Kollege und Konkurrent William Shakespeare unvergesslich bleibt? Vielleicht liegt es am allzu frühen Tode des Dichters, Lebemann und Spion Christopher Marlowe. Am 30. Mai 1593, mit 29 Jahren, auf dem Höhepunkt seines Ruhms als Dichter, starb er unter mysteriösen Umständen in einem Gasthaus in Deptford an der Themse. Ein Streit um die Rechnung sollte angeblich eskaliert sein. Marlowe zückte seinen Dolch, den ihm sein Zechkumpan Ingram Frizer entriss. Frizer wiederum stach zu und tötete Christoper Marlowe durch einen Dolchstoß über dem rechten Auge. Etliches an diesem Tod bleibt rätselhaft und bietet Ansatzpunkte für Verschwörungstheorien. Wirtshausschlägereien gab …

Gastartikel: Günther Thömmes über das Reinheitsgebot vom 23. April 1516

Am 23.4.2016 jährt sich zum 500. Mal der Tag, an dem die beiden damals Bayern gemeinsam regierenden Herzöge, Wilhelm IV. und sein jüngerer Bruder Ludwig X., während des Ständetags zu Ingolstadt die später als »Reinheitsgebot« bekannt gewordene Verordnung erlassen haben. Ein willkommener Anlass, um einmal zurück zu schauen auf deren wechselvolle Geschichte und ihre Interpretationen. Herzlichen Glückwunsch: 500 Jahre »Reinheitsgebot« für Bier – eine Würdigung Gastbeitrag von Autor und Dipl. Braumeister Günther Thömmes> Die Hoffnung der Brauerbünde {des Deutschen wie auch des Bayerischen} auf Anerkennung des Reinheitsgebotes als immaterielles UNESCO-Weltkulturerbe erhielt Anfang 2015 einen herben Dämpfer: Der Antrag wurde abgelehnt. Warum und weshalb? Dazu muss man einmal einen Blick hinter die Kulissen werfen. Denn ein Reinheitsgebot gibt es eigentlich gar nicht. Es offenbart sich uns vielmehr in mindestens drei Spielarten: Da ist zum einen der offizielle Text dieser Verordnung, dessen Beginn jeder Brauer und Bierfan wohl im Schlaf aufsagen kann: »Wie das Bier im Sommer und Winter auf dem Land ausgeschenkt und gebraut werden soll.« Zum Zweiten gibt es die Version des Reinheitsgebotes der Brauerbünde …

Gastartikel von Annis Bell

In diesem Gastbeitrag der Autorin Annis Bell steht eine Pflanze im Fokus: die Orchidee. Ihre Namen lauten Vanda caerulea, Phalaenopsis lobbii oder Angraecum citratum – englische Sammler gaben wahre Vermögen aus, um sie in ihren Besitz zu bringen. Annis Bell über den Orchideenrausch im viktorianischen England … Gastbeitrag von Annis Bell Orchideenrausch im viktorianischen England Die Orchidee gehört wohl zu den seltsamsten, faszinierendsten und einschüchterndsten Blumen. Sie scheint ihren Betrachter anzustarren und auszulachen und hat etwas ungleich erotisches. Nicht umsonst hat sie ihren Namen aus dem Griechischen – orkhis für testicle. Ihre Blüte wird mit Lippe und Mund beschrieben. Allein dieses Aussehen musste die seltene Pflanze sehr reizvoll für die von Prüderie und strengen Moralvorstellungen geprägten Menschen im viktorianischen England gemacht haben. Diese doppelbödige Prüderie ging so weit, dass es als unschicklich galt das Wort »Bein« zu benutzen. So wurden Klavierbeine verhüllt und auch über Tisch- oder Stuhlbeine sprach man nur ungern. Andererseits ergötzte man sich an Kuriositäten wie altägyptischen Mumien, die gern als Attraktion zum Nachmittagstee ausgewickelt oder pulverisiert zu Wandputz oder Medizin verarbeitet …

Gretchen mag’s mondän

Fesch in den Luftschutzkeller Gastbeitrag von Heidi Rehn Histo Journal Ausstellungsbesprechung: Gretchen mag’s mondän – Damenmode der 1930er Jahre Schon in ihrem Titel »Gretchen mag´s mondän« verrät die neue Schau im Münchener Stadtmuseum ihre Hauptthese: den eminenten Widerspruch zwischen Theorie und Praxis der Mode in den 1930er Jahren. Nicht nur dank Goethes Faust stellt sich mit dem Vornamen »Gretchen« gleich das Bild eines typisch deutschen, biederen blonden Mädels mit Zopf ein, in der NS-Ideologie zusätzlich noch versehen mit den Attributen »stramm« und »Uniform«. Das Adjektiv »mondän« dagegen lässt eher an Weltoffenheit und Eleganz denken, die man mit nichts weniger als mit dem muffigen Deutschland der Hitlerjahre in Verbindung bringt. Genau diesen Zwiespalt verkörpert auch die junge Frau auf Ausstellungsplakat und Katalog: Frisiert mit einem brav geflochtenen, goldblonden Haarzopf steht sie in ihrem figurbetonten, blumengemusterten Cocktailkleid aufreizend lässig da, eine provozierende Haltung, die durch die dünne, lange Damenzigarette in der rechten Hand … Gastbeitrag von Heidi Rehn lesen

Tayfun – Der ungewöhnliche Weg eines Zigeuners – Gastartikel

Tayfun – Der ungewöhnliche Weg eines Zigeuners In diesem Gastbeitrag erinnert die Autorin Evelyn Barenbrügge an die Geschichte jener Sinti und Roma, die unter der Assimilationspolitik der damaligen österreichischen Herrscherin Maria Theresia zu leiden hatten. Gastbeitrag von Evelyn Barenbrügge In meinem ersten Roman »Leeres Versprechen« habe ich mich intensiv mit dem Thema Österreich/Ungarn/Siebenbürgen und Maria Theresia beschäftigt. Schon in diesem Buch lagen mir die Belange der einfachen Menschen näher als die der Regierenden und des Adels. Bereits da habe ich über die Methoden der österreichischen Regentin gestaunt. Sie lockte, nach Kaiser Karl VI., ihrem Vater und vor Kaiser Franz Joseph II., ihrem Sohn, im zweiten Schwabenzug etwa 50.000 Siedler aufgrund ihres Versprechens nach Österreich. Bei der Recherche für Tayfun stieß ich auf die ungeheuerlichen Verordnungen der Herrscherin gegen die Zigeuner in ihrem Reich. Im Zeitalter der Aufklärung wollte sie die Wanderschaft dieser Volksgruppe unterbinden und sie in ihrem Reich sesshaft machen. Bei genauer Betrachtung könnte ihr aber genauso gut die Ausrottung dieser ethnischen Gruppe unterstellt werden. Für mich waren diese Verordnungen gegen Menschen, die keine …

Gastbeitrag von Gudrun Lerchbaum

Palladio oder wie ein Architekt die Welt eroberte Just erschien mit »Die Venezianerin und der Baumeister« der Debütroman von Gudrun Lerchbaum {hier geht zur Rezension}. Palladio, der Held ihres historischen Romans, liegt ihr am Herzen. Und das nicht nur, weil Lerchbaum von Haus aus Architektin ist … Gastbeitrag von Gudrun Lerchbaum Andrea Palladio. Schon der Klang dieses Namens beschwört Bilder klassischer Säulen und strahlender Renaissance-Fassaden herauf. Als ich vor inzwischen fast fünf Jahren den Entschluss fasste, einen historischen Roman zu schreiben, war er der erste, der mir als Protagonist in den Sinn kam. Seit meinem Architekturstudium mit seinem Werk vertraut, wollte ich den Menschen hinter der kunstgeschichtlichen Ikone aufspüren. Denn selbst wer auf Anhieb nichts mit dem Namen Palladio anzufangen weiß, erkennt fast sicher das eine oder andere seiner Gebäude wieder. San Giorgio Maggiore Tritt man beispielsweise in Venedig, von der Piazza San Marco kommend, an das Ufer der Lagune, wird der Blick unweigerlich von der Kirche San Giorgio Maggiore eingefangen, deren weiße Tempelfassade über das Wasser leuchtet. Der zentrale Portikus mit seinen Kolossalsäulen und …

Constanze Wilken erinnert an Camille Claudel

Gastbeitrag von Constanze Wilken In diesem Gastbeitrag erinnert die Autorin Constanze Wilken an die großartige Bildhauerin und Malerin Camillie Claudel, die am 8.Dezember vor 150 Jahren geboren wurde. Könnte Camille Claudel {1864 – 1943} diese Zeilen lesen, sie hätte vielleicht triumphierend gelacht, wäre für einen Moment glücklich gewesen. Es hätte ihr Genugtuung verschafft, endlich Anerkennung als die großartige Künstlerin zu erhalten, die sie zweifelsohne war. Aber Camille Claudel wurde 1864 geboren, in einer Zeit, in der Frauen, die sich vom engen Gesellschaftskorsett befreiten, bestraft wurden. Auf vielerlei Arten wurden mutigen, freigeistigen Frauen die Schwingen gestutzt, oftmals bis sie gebrochen zu Boden sanken und keinen Widerstand mehr leisteten. Besonders starke Frauen, die einfach nicht zur Raison gebracht werden konnten und deren Familie sich gegen sie stellte, wurden in Irrenanstalten gesperrt. So auch Camille Claudel … Zum Artikel