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Gastartikel von Annis Bell

In diesem Gastbeitrag der Autorin Annis Bell steht eine Pflanze im Fokus: die Orchidee. Ihre Namen lauten Vanda caerulea, Phalaenopsis lobbii oder Angraecum citratum – englische Sammler gaben wahre Vermögen aus, um sie in ihren Besitz zu bringen. Annis Bell über den Orchideenrausch im viktorianischen England …

Gastbeitrag von Annis Bell

Orchideenrausch im viktorianischen England

Die Orchidee gehört wohl zu den seltsamsten, faszinierendsten und einschüchterndsten Blumen. Sie scheint ihren Betrachter anzustarren und auszulachen und hat etwas ungleich erotisches. Nicht umsonst hat sie ihren Namen aus dem Griechischen – orkhis für testicle. Ihre Blüte wird mit Lippe und Mund beschrieben.

Allein dieses Aussehen musste die seltene Pflanze sehr reizvoll für die von Prüderie und strengen Moralvorstellungen geprägten Menschen im viktorianischen England gemacht haben. Diese doppelbödige Prüderie ging so weit, dass es als unschicklich galt das Wort »Bein« zu benutzen. So wurden Klavierbeine verhüllt und auch über Tisch- oder Stuhlbeine sprach man nur ungern. Andererseits ergötzte man sich an Kuriositäten wie altägyptischen Mumien, die gern als Attraktion zum Nachmittagstee ausgewickelt oder pulverisiert zu Wandputz oder Medizin verarbeitet wurden.

Das neunzehnte Jahrhundert war eine Zeit der sozialen Umwälzungen, eines immensen Forschungsdrangs und des Aufbruchs, was sich vielleicht am deutlichsten in der berühmten Weltausstellung der ›Great Exhibition of the Works of Industry of All Nations‹ im Londoner Hyde Park von 1851 zeigt. 94 Länder und 8500 Aussteller, auch aus den Kolonien, nahmen teil. Der spektakuläre Kristallpalast, eine 600 Meter lange Halle aus Eisen und Glas, blieb als ihr Symbol bis heute in Erinnerung. Exponate wurden der Natur, Kultur und Industrie gewidmet. Für die einen ein Zeichen britischer Überlegenheit in Wirtschaft und Technologie, »für andere der Triumph imperialer Ordnung über das Chaos der Barbarei«. {1}

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