Die Dame mit der bemalten Hand

Histo Journal Besprechung: Christine Wunnicke – »Die Dame mit der bemalten Hand«

Gelesen & Notiert von Maik T. Schurkus

»Die Dame mit der bemalten Hand
Christine Wunnicke

++Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2020 ++
++Wilhelm Raabe-Literaturpreis 2020++

Inhalt
Bombay, 1764. Indien stand nicht auf dem Reiseplan und Elephanta, diese struppige Insel voller ­Schlangen und Ziegen und Höhlen mit den seltsamen Figuren an den Wänden, schon gar nicht. Doch als Forschungs­reisenden in Sachen »biblischer Klarheit« zieht es einen eben an die merkwürdigsten Orte. Carsten Niebuhr aus dem Bremischen ist hier gestrandet, obwohl er doch in Arabien sein sollte. Ebenso Meis­ter Musa, persischer Astrolabienbauer aus Jaipur, obwohl er doch in Mekka sein wollte. Man spricht leidlich Arabisch miteinander, genug, um die paar Tage bis zu ihrer Rettung gemeinsam herumzubringen. Um sich öst-westlich misszuverstehen und freundlich über Sternbilder zu streiten {denn wo der eine eine Frau erkennt, sieht der andere lediglich deren bemalte Hand}. Es könnte übrigens alles auch ein Fiebertraum gewesen sein. Doch das steht in den Sternen.

Berenberg Verlag
Herbst 2020
168 Seiten · Halbleinen · fadengeheftet · 134 x 200 mm
Auch als E-Book erhältlich
ISBN 978-3-946334-76-7
EUR 22,00

Eine Leseprobe finden Sie auf der Website des Verlages.

Eine Insel mit zwei Religionen

Um es gleich vorweg zu sagen: Viele Damen kommen in diesem Roman nicht vor, der Titel bezieht sich auf ein Sternbild aus der arabischen Astronomie, eine echte Dame mit Henna bemalter Hand erscheint in der Schlussszene und zwar die Tochter der Hauptfigur Musa al-Lahuri.
Ansonsten ist es die Geschichte der Begegnung zweier Männer: Auf seiner Rückreise von einem Kunden, für den er ein teures Astrolabium gefertigt hat, strandet Musa 1764 auf einer verwilderten Insel irgendwo vor Indien. Dort trifft er auf den deutschen Forschungsreisenden Carsten Niebuhr, der dort, erkrankt und dem Wahnsinn nahe, in einem verfallenen Hindu-Tempel haust. Musa päppelt ihn auf, mehr aus Verpflichtung denn mit echter Begeisterung und man kommt ins Gespräch. In viele Gespräche.
In Rückblenden erfährt die Leserschaft vom Schicksal der Forschungsexpedition, die in den Diensten des dänischen Königs aufbrach, um den wissenschaftlichen Gehalt der Bibel im vorderen Orient zu erforschen. Sobald der Deutsche seine gute Stube verlässt, ist er offensichtlich dem Tod und/ oder dem Wahnsinn geweiht: Von sechs Expeditionsteilnehmern starben fünf. Immerhin sollte Niebuhr die Rückkehr gelingen und auch die Veröffentlichung eines Reiseberichts. Er war einer der ersten europäischen Reisenden, die verlässliche {heißt: topographische} Daten über den vorderen Orient lieferte und zum Wegweiser für weitere Forschungsreisende wurde, damit auch einen wesentlichen Beitrag zur {Wieder}Entdeckung der antiken Stätten leistete.
In früheren Generationen hätte man ihm daher vermutlich einen heroischen Abenteuerroman gewidmet. Die hegemoniale Weltaneignung der Europäer wird aber längst in einem kritischen Licht gesehen. Christine Wunnicke wählt daher den klugen Ansatz einer dichterischen Fußnote: In der {fiktiven} Begegnung des an Fakten, Fakten, Fakten interessierten Europäers mit dem Orientalen entwickelt sich mit feiner Ironie ein Clash of Cultures, der beide Weltbilder ebenso bloßstellt wie würdigt. Während Niebuhr über die korrekte Bezeichnung einer biblischen Pflanze nachdenkt, fabuliert sich Musa eine Biographie zurecht – er erwartet, für eine gute Geschichte gelobt zu werden; Niebuhr beschwert sich über mangelnden Wahrheitsgehalt.
Den kleinen Roman kann man also ebenso als Traktat über das Entstehen von Narrativen schlechthin lesen: was ist wichtiger? Die gute Story oder die überprüfbaren Fakten? Nicht von ungefähr sind die Religionen das immer wieder diskutierte Referenzsystem: Der Christ trifft den Moslem in der Kulisse eines Hindu-Tempels, der später anscheinend von Buddhisten übernommen wurde. Und um das Bild komplett zu machen, taucht gelegentlich ein altes Weib auf, das von Ahnenglauben und Animismus beseelt, Opfergaben darbringt. Alle Formen des menschlichen Glaubens sind also auf dieser kleinen Insel versammelt, und es ist ein kleines Meisterwerk, sie auf ca. 150 Seiten alle zu Wort {oder zu Bild} kommen zu lassen. Und während in unserer Zeit Religionskonflikte und religiöse Intoleranz wieder zunehmen, hat das Buch die unbeschwerte Botschaft: Selbst unüberwindbare Unterschiede müssen nicht zu Feindschaft führen; selbst wenn man nicht dieselbe Sprache spricht {Musa und Niebuhr versuchen es auf Arabisch, Sanskrit und Französisch} kann man sich verständigen; man muss sich nicht mögen, aber man kann sich achten.
Die beiden Gelehrten bleiben ihrer Schrulligkeit treu; als Musa Jahre später von dem großen Reisebericht Niebuhrs erfährt, hat er kein Interesse ihn zu lesen, er hält ihn für einen Tropf, weil er das Messen vor die Bedeutung setzt.

In der Aussage und in der Sprache ist diese Miniatur rundum gelungen; leider mangelt es ihr aber an Dynamik. Man erkennt jederzeit das Jetzt im Damals und damit die Relevanz und dennoch fragt man sich nicht, was als nächstes geschieht. Ein bisschen mehr Spannung hätte der Text wagen dürfen, damit gleitet man nicht zwangsläufig ins Triviale ab; aber es sorgt dafür, dass man nach einem langen Tag ein Buch wieder gerne aufschlägt. »Die Dame mit der bemalten Hand« bleibt hier aber leider zu sehr ihrem Inhalt verpflichtet und zu wenig ihrer Handlung.

Fazit

Ein Titel, der zurecht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2020 vertreten war. Ein kluger und sprachlich feinsinnig geschriebener Kommentar zu den Konflikten unserer Zeit, leider aber unnötig handlungsarm.