Die Buchhandlung in der Amalienstraße

Histo Journal Besprechung: Heidi Rehn »Die Buchhandlung in der Amalienstraße«

Gelesen & Notiert von Alessa Schmelzer

Inhalt:

Der Krieg steht bevor. Düstere Zeiten brechen an. Zwei Buchhändlerinnen setzen für ihre Überzeugungen alles aufs Spiel.

München, 1913. Für die rebellische Elly wird ein Traum wahr, als sie in der Buchhandlung in der Amalienstraße ihre Ausbildung beginnen darf. Zusammen mit ihrer wissbegierigen Freundin Henni liest sie jedes Buch, das ihr in die Finger kommt. Gegen alle Widerstände gründen Elly und Henni einen Salon für Schriftstellerinne. Die harsche Zensur des Kaiserreichs lässt nichts unversucht, um den modernen Frauen Steine in den Weg zu legen. Doch dann bricht der erste Weltkrieg über die jungen Buchhändlerinnen hinein. Als Ellys Freund Leo an die Front gerufen wird, können sie sich nicht mehr in ihre Bücher flüchten …

Der große, gefühlige München-Roman von Erfolgsautorin Heidi Rehn

Historischer Roman
List Hardcover
Hardcover mit Schutzumschlag
464 Seiten
ISBN: 9783471360446

Weitere Informationen finden Sie unter Ullstein Buchverlage

»Eine neue Ära.«
Die Buchhandlung in der Amalienstraße

Um 1900 war die Stadt München unter Künstler:innen ›the place to be‹. Dank des kunstaffinen Prinzregenten Luitpold entwickelte sich die Stadt an der Isar zu einer wahren Kunstmetropole. Aus ganz Europa zog es Kreative in die liberale, moderne Residenzstadt, um dort zu studieren, zu schreiben, zu philosophieren, zu leben. In den Schwabinger Cafés diskutieren Intellektuelle bei einem Kaffee über Gott und Welt.

Wer an der Hochschule bei Franz von Stuck das Malen erlernen wollte, musste allerdings ein Mann sein. Frauen waren hier nicht zugelassen. Wie Frauen überhaupt dieses und auch und gerade jenes qua Geschlecht nicht durften. Diese Ungerechtigkeit galt es aufzuheben. In München traten engagierte Frauen wie Anita Augspurg, Sophia Goudstikker, Carry Brachvogel, Ilka Freudenberg, Helene Böhlau, Emma Haushofer-Merk und andere an, um für die Sache der Frauen zu kämpfen.

Anspruchsvolle Unterhaltung

Nicht von ungefähr verortet Rehn ihre zuletzt erschienen Romane in das München des (beginnenden) 20. Jahrhunderts. Es ist dies eine Zeit, die gekennzeichnet ist von gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen – und die uns heute, so viele Jahre später, letztlich immer noch prägt.

In ihrem Roman Die Buchhandlung in der Amalienstraße rückt Rehn die Zeit von 1913 bis 1919 in den Fokus. Mittels ausgewählter Zitate1 der Schriftstellerinnen Helene Böhlau1 und Carry Brachvogel2, die diesem Roman vorangestellt sind, lässt Rehn keinen Zweifel daran, wohin die Reise dieses Mal geht.

»Es muss sich noch sehr, sehr viel ändern, damit wir Frauen endlich vorankommen, nicht nur, was das Schreiben betrifft.«
Henni – Die Buchhandlung in der Amalienstraße

Mit dieser Aussage trifft Henni den Nagel auf den Kopf. Sie muss wissen, wovon sie spricht, entstammt sie doch einer Familie, in der Frauen generell wenig und sie selbst schon einmal rein gar nichts zu sagen hat. In ihrer Münchner Familie wird Tradition groß geschrieben, der Vater, ein erzkonservativer Beamter im niederen Dienst, bestimmt mit eiserner Hand wo es langgeht. Schlecht für die intelligente und phantasiebegabte Henni, die sich als ungelernte Hilfskraft verdingen muss anstatt – wie die Brüder – eine Lehre absolvieren zu dürfen. Immerhin findet sie in Elly, ihrer besten Freundin, eine gleichgesinnte Seele. Mag Elly auch aus gut situierten Verhältnissen stammen und eine Lehre zur Buchhändlerin abgeschlossen haben, teilen sie beide doch die Liebe zur Literatur miteinander. Zudem streben beide, Elly wie Henni, ein eigenständiges und von einem Mann unabhängiges Leben an. Im Jahr 1913 scheint dies keine allzu ferne Zukunftsmusik mehr zu sein. Immerhin trat 1908 das Reichsvereinsgesetz in Kraft, das Frauen – incroyable! – endlich attestierte ein politisches Wesen zu sein. Der Schritt zum Wahlrecht lag da in greifbarer Ferne. Denn, deshalb ist das Gesetz von 1908 so wichtig, markiert es doch die staatsbürgerliche Gleichberechtigung der Frau. Elly und Henni, befeuert durch die modernen Ideen, die ihre Arbeitgeberinnen Theres und Ruth Lämmle vertreten, sehen einer hoffnungsvollen Zukunft entgegen.

»Für schreibende Frauen ist es sogar noch mühsamer, sich ein Publikum zu erobern und ein angemessenes Honorar für ihre Arbeit zu erhalten, denn Literatur von Frauen wird weiterhin viel zu gering geschätzt.«
Ruth – Die Buchhandlung in der Amalienstraße

Die Buchhandlung der Lämmles unterstützt die Ideen der Frauenbewegung nach Kräften. Der frische Wind, der nicht nur durch die Regale weht, kündet sozusagen vom Aufbruch in eine neue Zeit. Eines ist klar: Hier werden nicht nur Romane verkauft.

Theres und Ruth, die Cousinen entfernten Grades sind ein Liebespaar, führen ihre Buchhandlung mit dem Impetus der ›modernen Frau‹. In ihnen brennt längst, um Augustinus’ Gedanken aufzugreifen, was sie auch in anderen entzünden wollen. Und so setzen die erfolgreichen Unternehmerinnen ihre Überzeugungen mutig und konsequent um. Bei ihnen arbeiten Frauen und Männer, mag der Buchhandel auch ansonsten von Männern dominiert sein. Sie entlohnen beide Geschlechter gleich. Das ist nicht selbstverständlich, verdienen Männer, auch für die gleiche Arbeit, ›normalerweise‹ mehr als Frauen. Denn schon vor hundert Jahren war der Equal Pay Day Thema. Als Buchhändlerinnen geben sie Schriftstellerinnen quasi ihre Stimme, indem sie Lena Christs, Carry Brachvogels oder Gabriele Reuters Romane prominent im Schaufenster und im Laden platzieren und diese vollkommen gleichberechtigt neben Thomas und Heinrich Mann empfehlen. Keine Frage, treten die Lämmles doch sofort in den von ihrer Freundin Carry Brachvogel mitbegründeten Verein Münchner Schriftstellerinnen bei, um für die Sache der Schriftstellerinnen zu kämpfen.

»Wir Sozialdemokraten tragen selbstverständlich die Politik unserer Regierung in vollem Umfang mit.«
Zacherl – Die Buchhandlung in der Amalienstraße

Die Romanhandlung setzt im Herbst 1913 ein. Die letzten Friedensmonate sind angebrochen, die Welt gleicht schon wenige Wochen später einem Pulverfass. Alle hat die Kriegslust gepackt, halten eine militärische Auseinandersetzung für geboten, weil einzig logischer Schritt. Auch die Lämmles und viele ihrer Mitstreiter:innen verfallen diesem irren, nationalen Wahn und werfen ihre pazifistische Grundhaltung über Bord.

Und selbstverständlich sind auch Elly und Henni mit den politischen Wirrnissen konfrontiert und versuchen in Gesprächen eine Haltung dazu zu finden. Seit Leo Kleefisch bei den Lämmles als neuer Buchhändler arbeitet gehört er wie Zacherl, Hennis Lieblingsbruder und überzeugter Sozialist, zur Freundesrunde. Das Kleeblatt – Elly, Henni, Leo und Zacherl – bringt nichts auseinander. Doch bei Kriegsbeginn melden sich immer mehr junge Männer freiwillig zu den Waffen. Und so dauert es nicht allzu lange, bis auch Leo und Zacherl einrücken …

»Die Uhren lassen sich nicht mehr zurückdrehen.«
Theres – Die Buchhandlung in der Amalienstraße

Dieser Roman ist eine Hommage an die Literatur. Und zwar an die Literatur in all ihren Verästelungen: An die Schriftsteller:innen, Buchhändler:innen und Leser:innen. Uns so liest sich Rehns Roman wie das who is who der damaligen Literaturszene. Rehn erinnert hier nicht nur an Schriftstellerinnen wie Carry Brachvogel, Lena Christ, Emma Haushofer-Merk, Helene Böhlau oder Gabriele Reuter, sondern lässt sie wieder lebendig werden.

Wer kennt die Romane einer Carry Brachvogel überhaupt noch? Die engagiert Münchner Schriftstellerin, zu deren jour fixe Theres und Ruth stets geladen sind und dort bei Tee und Gebäck über Literatur, Politik und überhaupt gesellschaftsrelevante Themen mit Gleichgesinnten fachsimpeln? Ihr Salon war von Frauen und Männern gleichermaßen frequentiert (R.M. Rilke widmete Carry Brachvogel eines seiner Gedichte). Nach heutigen Maßstäben gälte Brachvogel als Bestsellerautorin, so viele Romane hatte sie verkauft. Heutige Schriftstellerinnen haben ihr zu verdanken, dass sich der Beruf der Schriftstellerin in Deutschland überhaupt etablierte. 1933 belegten die Nationalsozialisten Brachvogel – und mit ihr viele andere jüdische Schriftsteller:innen – mit einem Publikationsverbot. Ihren Vorsitz im Verein Münchner Schriftstellerinnen musste sie aufgeben. 1942 ermordeten die Nationalsozialisten Carry Brachvogel im KZ Theresienstadt.

Der Verein Münchner Schriftstellerinnen selbst wurde kurz darauf aufgelöst. Die Nationalsozialisten und ihre vielen Anhänger:innen machten kurzen Prozess mit der aufkommenden Frauenbewegung und ihren bis dato erzielten Rechten. Die Frauenbewegung, die all die Jahre bis 1933 so engagiert gekämpft hatte, kam zum völligen Erliegen. Nach 1945 verschwanden die meisten dieser Schriftstellerinnen damit ihrer Werke aus dem kollektiven Gedächtnis. Erst vor wenigen Jahren (!) sind Brachvogels Werke neu aufgelegt worden.

Heidi Rehn in Bestform

Keine Frage, Rehn wartet auch in diesem Roman mit komplexem Themen auf: Frauenbewegung und Frauenrechte, Ende des Kaiserreichs, Zensur, Soziale und gesellschaftliche Ungerechtigkeiten, Erster Weltkrieg, Patriotismus und Verfolgungswahn. Zudem zieht der aufkommende Antisemitismus bereits düster am Horizont auf. Souverän führt Rehn ihre Leser:innen durch die Wirren und die Schicksalsschläge, die ihre Figuren erleiden müssen. Und so fiebert, leidet, weint und lacht und hoffen ihre Leser:innen Seite um Seite mit Elly, Henni & Co.

Die Buchhandlung in der Amalienstraße als Hörbuch

Hörbuch-Hamburg liefert eine gewohnt hochwertige Hörproduktion. Für mich erweist sich Susanne Schroeder, die u. a. an den Münchner Kammerspielen oder an dem Residenztheater in München spielte, als perfekte Stimmbesetzung. Nuanciert und souverän vermag sie die Gefühle der Figuren stimmlich einzufangen. Dank ihrer warmen, klaren und von angenehmen bairischem Dialekt getragenen Stimmfärbung, war ich sofort im München der 1910er Jahre.

Fazit

Heidi Rehn ist mit Die Buchhandlung in der Amalienstraße erneut ein anspruchsvoller, vielschichtiger und gleichwohl unterhaltsamer Roman gelungen. Eindringlich und mitreißend erzählt Rehn ein Stück Frauen- und Literaturgeschichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Roman liest sich wie das who is who der damaligen Literaturszene Münchens. Gleich von Beginn an zieht die Autorin ihre Leser:innen in diese flirrende, aufregende, umwälzende, verheißungsvolle und auch – im Hinblick auf den kommenden Ersten Weltkrieg – bedrückende Zeit hinein.


Die Autorin Heidi Rehn
© Susie Knoll

Die Autorin

Heidi Rehn, in Koblenz am Rhein geboren, arbeitet seit vielen Jahren als freie Journalistin und Autorin. Vor allem mit ihren München-Romanen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sie sich einen Namen gemacht. 2014 erhielt sie den Goldenen Homer für den besten historischen Beziehungs- und Gesellschaftsroman. Sie veranstaltet regelmäßig literarische Spaziergänge durch München.

Heidi Rehns Website.

  1. »Schaff dir deine Welt, wie du sie schaffst, so ist sie. Sie ist nur in dir selbst, in deiner Vorstellung. Schaff sie dir und glaub an deine Welt.« – Helene Böhlau, Halbtier
  2. »Modern sein heißt für die Frau ein eigenes Gesetz in der Brust tragen, dessen Erfüllung ihr vielleicht nicht banales Glück, gewiß aber das höchste Glück der Erdenkinder gewährt: die Persönlichkeit.« – Carry Brachvogel, Hebbel und die moderne Frau