Annis Bell – Die schwarze Orchidee

Histo Journal Besprechung: Annis Bell »Die schwarze Orchidee«

Gelesen & Notiert von Alessa Schmelzer

Inhalt:
Nach einem turbulenten Start in eine unerwartet glückliche Ehe mit Captain Wescott, hat Lady Jane keineswegs vor, sich in die Rolle der braven Ehefrau zu fügen.
Nachdem sie ein Hilferuf in Form eines Briefes erreicht, reist Jane kurz entschlossen zu ihrer Freundin Lady Alison. Charlotte, Lady Alisons Cousine, ist mit dem exzentrischen Orchideenzüchter Sir Fredrick Halston verheiratet und lebt abgeschieden in einem düsteren Herrenhaus in Northumbria. Im Hause Winton Park, wie das Gut heißt, fallen merkwürdige Dinge vor, die darin gipfeln, dass eines der Dienstmädchen tot im Moor aufgefunden wird.
David Wescott findet heraus, dass Orchideenzüchter alles andere als harmlos sind. Als dann auch noch ein Gärtner in einer der berühmtesten Orchideengärtnereien Londons ermordet wird, hat der Captain alle Hände voll zu tun, seiner Frau bei der Aufklärung der Todesfälle zu helfen. Und es scheint um viel mehr als um eine seltene schwarze Orchidee zu gehen …

Weitere Informationen finden Sie auf der Website der Autorin.

Schon Lady Janes erster Fall »Die Tote von Rosewood Hall« war spannend, amüsant und voll leiser Ironie geschrieben, ein vielversprechender Auftakt zu einer Krimi-Reihe über eine adlige Detektivin im viktorianischen Zeitalter. Jetzt legt die Autorin Annis Bell den zweiten Fall der unkonventionellen Lady vor – und überzeugt mit »Die schwarze Orchidee« auf ganzer Linie.

Orchideentaumel in England

Faszinierend, selten und gerade deshalb heiß begehrt: Orchideen. Um 1860 mussten die Orchideenzüchter in England {und freilich nicht nur dort} allerdings über ein sehr gut gefülltes Portemonnaie verfügen, um diesem Pflanzenhobby längerfristig frönen zu können. Denn genauso atemberaubend schön wie eine Orchidee selbst, so atemberaubend hoch war auch ihr Preis. Für besonders exquisite Exemplare blätterten Sammler auch schon einmal an die 300£ auf den Tisch. Schon allein um ihren Sammlerkonkurrenten zuvor zu kommen. So tummelten sich denn auch verschiedene Orchideenarten in herrschaftlichen Gewächshäusern. Es liegt auf der Hand: Die intensive Beschäftigung mit Orchideen war nur einem ausgesuchten Gesellschaftskreis vorbehalten, nämlich dem vermögenden. Musste sich ein Zimmermädchen mit einem Jahresgehalt von nur 20£ begnügen; ein Orchideensammler hätte dafür vermutlich nicht einmal ein Blatt seines favorisierten Objektes erhalten.

Wer nun allerdings befürchtet Lady Jane sei unter die {mitunter recht skrupellosen} Orchideensammler gegangen, nun, der sei unbesorgt. Allerdings wird sie in direkten Kontakt mit einem solchen Freak geraten. Ein Umstand, der ihre Stimmung nicht unbedingt zu heben vermag. Der Sammler heißt Sir Frederick Halston. Er ist ein durch und durch viktorianischer Mann, sprich er ist bis ins Mark hinein konservativ gesinnt. Nichts bringt sein prüdes Weltbild ins Wanken – bis Lady Jane auf der Bildfläche erscheint. Aber der Reihe nach … 

»Liebste Jane, ich vermisse dich sehr und wünschte, du wärest hier!«

Diese Zeilen stammen nicht von Captain Wescott, mit dem Lady Jane offenbar das große Liebeslos gezogen hat, sondern von Janes bester Freundin Alison. Dem Drängen ihrer Cousine Charlotte nachgebend war diese ins winterliche Northumberland aufgebrochen. In Winton Park, dem Anwesen Sir Fredericks, Charlottes Ehemann, geschehen düstere Dinge. Um die Cousine nicht zu enttäuschen, nahm Alison, im siebten Monat schwanger, die beschwerliche Fahrt auf sich. Schwangerschaftskomplikationen fesseln sie nur jetzt leider ans Bett, so dass sie die Geschehnisse im prächtigen Anwesen auch nur von dort aus mitverfolgen kann. Sie spürt, dass etwas nicht stimmt. Alarmiert eilt Lady Jane herbei, etwaige Bedenken ihres Ehemannes beiseite schiebend, um ihrer Freundin und deren Cousine hilfreich beiseite zu stehen. Kaum ist Jane indes im trüben Moorland angekommen, wird auch gleich ein totes Zimmermädchen aufgefunden.

›Neugier‹ könnte Lady Janes middlename lauten. Ohne zu zögern stürzt sie sich sofort in ihre ›Ermittlungen‹. Wie schon bei »Die Tote von Rosewood Hall« steht ihr auch in Winton Park ihre Zofe Hettie wieder loyal und ›semi‹-mutig zur Seite, eine Lady reist selbstverständlich nun einmal nicht allein. Nach und nach erkundet Jane das Haus samt Personal, zieht Erkundigungen nicht nur über das tote Zimmermädchen ein, befragt ganz nonchalant den Wildhüter, den Butler, Alisons Cousine Charlotte und unterhält sich beim täglichen Dinner mit deren Ehemann Sir Frederick Halston, der mit seinem ›Charme‹ das gesamte Haus in einen Eispalast verwandelt. Davon lässt sich Jane natürlich nicht abschrecken. Sehr zum Entsetzten Sir Fredericks, schließlich ist er ein derartiges Verhalten einer Lady nicht gewohnt. Meiner Treu, Lady Jane gibt einem Mann tatsächlich Widerworte! Nur wenn die Sprache auf seine geliebten Orchideen kommt, taut der adlige Eisklotz ein wenig auf und wird – für seine Verhältnisse – geradezu redselig. Langsam, aber unaufhaltsam entwirrt Lady Jane ein Knäuel aus Lügen, Intrigen, Liebe und Eifersucht. Denn nicht jeder im Hause ist das, was er vorgibt zu sein.

Es ist ein extravaganter Fall, den Lady Jane dieses Mal zu lösen hat. Sie ist nicht nur mit verrückten Orchideensammlern, die für ihre Leidenschaft offenbar auch ’mal über die eine oder andere Leiche hinwegstaksen, wie Sir Frederick konfrontiert. Auch das Personal von Winton Park ist verschlossen und verhält sich überaus eigenartig. Allen voran der gutaussehende Butler und die fürchterlich strenge Erzieherin. Inmitten dieses siedenden Hexenkessels befindet sich Jane, die durch ihre unkonventionellen Methoden nicht nur den Zorn des Familienoberhauptes auf sich zieht, sondern durch ihre fortschreitende Erkenntnisse – wie sollte es anders sein? – auch den Mörder auf den Plan ruft. Denn es bleibt nicht bei der einen Leiche …

Alte Bekannte

Alison, Hettie, Blount und Captain Wescott – sie alle sind wieder mit von der Partie. Und mehr noch als im ersten Fall treten gerade Captain Wescott und sein treuer Diener stärker in den Vordergrund. Wescott ist seiner eigenwilligen Frau komplett verfallen, keinen Wunsch kann er ihr abschlagen und lange böse sein schon gar nicht. Ganz Gentleman sorgt er sich um ihr Wohlergehen und sieht Gefahren gerade dort, wo Jane das pure Abenteuer vermutet. Nur ein Umstand treibt Wescott den Schweiß auf die Stirn: Der Tod eines Orchideenjägers in London. Denn dieser belieferte offensichtlich auch Sir Frederick.

Fazit

»Die schwarze Orchidee« überzeugt von der ersten Seite an. Lebensechte Figuren, die den Leser direkt ins viktorianische England und zeitweise sogar mit in die Tropen nehmen. Und immer wieder auf falsche Fährten locken. Auch im zweiten Band der Krimi Reihe liefert Annis Bell anspruchsvolles und amüsantes Lesevergnügen zugleich.
Lady Jane avanciert langsam, aber sicher zur Lieblingsheldin der viktorianischen Detektivszene.

Annis Bell verlost aktuell 15 Exemplare von »Die schwarze Orchidee«! Die Verlosung ist beendet.