Artikelkategorie: Buchbesprechungen

Tod und Irrtum

Elke Weigel: »Tod und Irrtum« – »Sie wären erfreut zu sehen, wie zuversichtlich und voller guter Vorsätze ich meiner Zukunft entgegen gehe.« – Zur Erinnerung: Die Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren von einem selbstbestimmten Leben qua Geburt Lichtjahre entfernt {zumindest die meisten von ihnen}. Ihre Rolle war klar umrissen. Die gehorsame Tochter heiratete den Mann, den die Eltern für sie ausgesucht hatten. Was folgte, war ein vorgezeichnetes Leben als {gehorsame} treue Ehefrau und aufopferungsvolle, liebevolle Mutter. Die Verwirklichung der eigenen Träume {Abitur, Studium, Beruf} stand bei den meisten Frauen nicht zur Diskussion. Mehr als verständlich, dass Frauen wie Emmeline Pankhurst {Suffragetten} die Gleichberechtigung für Frauen einforderten, deutsche Frauenrechtlerinnen endlich das Wahlrecht auch für Frauen verlangten {worüber sie sich dann aber erst Ende November 1918 freuen durften, die Engländerinnen mussten ganze zehn Jahre länger darauf warten}. Stuttgart 1910: Endlich zurück in der Heimatstadt. Henriette Haag, monatelang auf Reisen unterwegs, kann es gar nicht abwarten endlich den Fuß über die Schwelle ›ihres‹ Hauses zu setzen {in der Wahl des Pronomens ist die jetzige Witwe noch …

Das Schwert der Götter

Kurz & Knapp: Axel S. Meyer »Das Schwert der Götter« – Das Ende des ersten Jahrtausends ist eine bewegte Zeit. Der erste Sachsenkönig, Otto der Große, regiert das deutsche Reich und schickt seine Kirchenfürsten in den Norden, um Slawen und Dänen zu christianisieren und damit das Reich zu befrieden. Dies indes mit wechselndem Erfolg, was aber auch an deren mitunter unchristlichen Bekehrungsmethoden liegen mag. Axel S. Meyer beschreibt diese Geschichte, die vermutlich einigen aus Sicht der Deutschen leidlich bekannt ist, aus der Perspektive der Nordmänner. Gerade diesem Volk, das die Menschen an Rhein, Weser und Elbe in Furcht und Schrecken versetzte, als sie mit ihren Drachenbooten tief ins Festland eindrangen, und plündernd, mordend und brandschatzend in die Städte einfielen. Ein Trauma, das bis heute in den Wikingervorstellungen weiterlebt. Allerdings gibt es auch eine andere Wikingergeschichte, die allmählich in unsere Wahrnehmung dringt. Die der Handelsreisenden, die nicht nur mit dem Schwert, sondern auch mit gefüllter Börse Länder eroberten, indem sie Siedlungen gründeten und mit den Einheimischen Handel trieben. Haithabu in Schleswig ist beispielsweise ein bekannter Handelsplatz …

Bucht der Schmuggler

Kurz & Knapp: Ulf Schiewe »Bucht der Schmuggler« – Die karibische Insel Hispaniola ist nicht gerade das Traumziel Jan van Hagens. Aber widrige Umstände, das Handelshaus seines sterbenden Vaters steht vor dem finanziellen Ruin, zwingen den jungen Kaufmann Bremen fluchtartig zu verlassen. Einzig seine holländische Fleute ›Sophie‹ ist ihm geblieben. Er nimmt zunächst Kurs auf Amsterdam zu einem alten Geschäftsfreund seines Vaters, auf dessen Hilfe er hofft. Cornelius van Doorn willigt in ein Geschäft mit dem jungen Jan nur unter einer Bedingung ein: Er rüstet die ›Sophie‹ mit weiteren Kanonen auf, Jan muss mit Sklaven handeln {was diesem zutiefst missfällt} und nötigt ihn neben anderen den – wie sich auf der Reise zeigen wird – ziemlich unfähigen Schiffsarzt Doctor Emanuel Almeida de Souza mit an Bord zu nehmen. Ziel der Reise: Hispaniola in der Neuen Welt. Dort muss Jan für van Doorn einen riskanten Auftrag erfüllen … Und dann ist da noch ein blinder Passagier namens Elsje, eine Hure in Not, die Jans mitfühlendes Herz erweicht und fortan ebenfalls Teil der Mannschaft ist. ▹ Kurz & …

Annis Bell – Die schwarze Orchidee

Auch der zweite Fall der unkonventionellen Lady überzeugt auf ganzer Linie. – Faszinierend, selten und gerade deshalb heiß begehrt: Orchideen. Um 1860 mussten die Orchideenzüchter in England {und freilich nicht nur dort} allerdings über ein sehr gut gefülltes Portemonnaie verfügen, um diesem Pflanzenhobby längerfristig frönen zu können. Denn genauso atemberaubend schön wie eine Orchidee selbst, so atemberaubend hoch war auch ihr Preis. Für besonders exquisite Exemplare blätterten Sammler auch schon einmal an die 300£ auf den Tisch. Schon allein um ihren Sammlerkonkurrenten zuvor zu kommen. So tummelten sich denn auch verschiedene Orchideenarten in herrschaftlichen Gewächshäusern. Es liegt auf der Hand: Die intensive Beschäftigung mit Orchideen war nur einem ausgesuchten Gesellschaftskreis vorbehalten, nämlich dem vermögenden. Musste sich ein Zimmermädchen mit einem Jahresgehalt von 20£ begnügen, ein Orchideensammler hätte dafür vermutlich nicht einmal ein Blatt seines favorisierten Objektes erhalten … ▹ Buchbesprechung lesen! Annis Bell verlost aktuell 15 Exemplare von »Die schwarze Orchidee«! Alle Infos gibt es hier.

Alexandra Doerrier – Die Lukasbrüder

Das Streben nach künstlerischer Vollkommenheit – Lukas, einer der Apostel Jesu und von künstlerischem Geschick, malt als erster ein Portrait von der Gottesmutter Maria, das natürlich wundertätig war. Somit empfahl er sich als Schutzpatron der Maler und entsprechend hießen die Zünfte der Maler Lukasbruderschaften. Malerei galt noch als Handwerk, der Maler als Handwerker der Kirchen und Klöster, einer der Heilige abbildete, Auferstehungen oder Kreuzigungen malte. Weltliche Themen wurden höchstens einmal auf Werbeschilder gemalt. In Köln heißt die mittelalterliche Straße der Maler bis heute Schildergasse. Das Buch »Die Lukasbrüder« spielt Anfang des 19. Jahrhunderts. In einer Zeit, in der die Kunst den Bezug zur Religion verloren hat, in der Napoleon viele Kirchen säkularisiert und der Papst im Exil lebt, nennt sich eine Gruppe von jungen Künstlern nach dem Apostel. Die Lukasbrüder stoßen mit einer neuen Strömung in dieses spirituelle Vakuum, sie streben nach einer größtmöglichen Schönheit, nach einer Vollkommenheit, wie sie nur der Religiosität innewohnt, und wie sie Raffaels Gemälde auszeichnet. Oder Michelangelos. Und die Lukasbrüder sind sich einig, dass diese Vollkommenheit nicht an der Kunstakademie …

Susanne Goga – Es geschah in Schöneberg

Gogas Leo-Reihe ist ein absolutes ›Must-Read‹. – Morgenstern & Fink fiebern ihrer kommenden Modeschau im prestigeträchtigen Romanischen Café in Schöneberg entgegen. Sie sind der neue aufgehende Stern am Modehimmel Berlins, denn ihre Kreationen begeistern nicht nur die Damen der Berliner High Society. Das Event im angesagten Künstlercafé soll den Platz ihres Sterns festigen – und natürlich ihre Mode dauerhaft etablieren. Es steht also viel auf dem Spiel für Lotte Morgenstern und ihren Ehemann Carl Fink, denn erwiese sich die Show als Reinfall, gefielen den Kundinnen die extravaganten, zumal recht kostspieligen, Kreationen nicht, dann könnte sich ihr Stern unversehens in eine Sternschnuppe verwandeln … Womit die beiden Modeschöpfer nicht gerechnet haben, ist indes ein hinterhältiger Anschlag. Der beendet die Show, ehe sie richtig hat starten können. Ein Unbekannter hat zwei spezielle Kleider, mit denen zwei Mannequins das Event glamourös eröffnen sollten, mit dem Gift Capsaicin präpariert. Sofort ist die Lage prekär. Die Models schreien und winden sich vor Schmerz, denn das Gift Capsaicin verätzt die Haut, kaum dass es mit ihr in Berührung kommt. Unvermittelt bricht Panik …

Louise Welsh – Tamburlaine muss sterben

Es lebe Christopher Marlowe! – Shakespeare ist tot – und das nun schon seit 500 Jahren. Es lebe Christopher Marlowe. Der ist auch tot und zwar seit 523 Jahren. Aber in dem Roman »Tamburlaine muss sterben« von Louise Welsh lebt er noch einmal auf und mit ihm das London der elisabethanischen Zeit. Der Roman erschien schon 2004 in England und 2005 auf Deutsch im Antje Kunstmann Verlag. Das Shakespeare-Jahr bietet einen wunderbaren Anlass, diesen Roman einer Preis gekrönten Autorin vorzustellen. Würde man Christoper Marlowe noch kennen, wenn es Shakespeare nicht gegeben hätte? – und wenn da nicht die ewigen Gerüchte wären, dass beide die selbe Person waren? Fakt ist: Über Shakespeare weiß man wenig und das was man weiß, ist so unspektakulär, dass es nicht zu seinen Stücken und Gedichten zu passen scheint. Deftig geht es da zu, es wird gestorben, gemordet und vor allem geliebt. Und das soll ein Mann geschrieben haben, dessen Geiz und Sparsamkeit vor allem aktenkundig geworden sind, dem es eines Tages irgendwie nicht ganz wohl war und der dann starb. …

C.J. Sansom – Die Schrift des Todes

»Ich wollte sie nicht brennen sehen« – Vertraut Matthew Shardlake seinem Leser gleich zu Beginn seines neuen Falls an. Nein, natürlich nicht. Aber Ketzer sind im London des Jahres 1546 nun einmal nicht mehr sicher. König Heinrichs VIII. Willkür und Wankelmütigkeit in Glaubensfragen sei Dank. Die Leugnung, »dass in Brot und Wein der Heiligen Wandlung Christi Leib und Blut gegenwärtig seien« {S.15}, ein falsches Wort, ein unvorsichtig hervorgebrachter Satz und – zack! – stirbt ein vormals unbescholtener Londoner Bürger qualvoll auf dem Scheiterhaufen. Begafft von einer zumeist tumben Menschenmenge, die sich an dem grausamen Schauspiel ergötzt. Shardlake indes ist kein Gaffer. Er gehört nicht zur Gruppe der empathielosen Gesellen, die die {literarische} Weltgeschichte überschwemmen wie Unrat. Ganz im Gegenteil. Nicht nur für seine Zeit ist Shardlake ein höchst empfindsamer und mitfühlender Mensch. Einer, der für seine ›Gefühlsduselei‹ verhöhnt und verlacht wird, die ihm als Schwäche ausgelegt wird. So wohnt Shardlake diesem grausamen Spektakel auch nicht freiwillig bei, sondern in seiner Funktion als Anwalt des Lincoln’s Inn, das er, aufgrund einer Anweisung Heinrichs VIII., zu repräsentieren hat. …

Tom Hillenbrand – Der Kaffeedieb

Chalons Six – Es ist das Jahr 1683, und ganz Europa lechzt nach Kaffee. Überall schießen Kaffeehäuser aus dem Boden. Obediah Chalon ist einer derjenigen, der dem arabischen Getränk verfallen ist. Chalon versteht sich als sogenannter Virtuosus; ein Wissenssuchender, Sammler allerlei exotischer Exponate, Freund wissenschaftlicher Experimente und fleißiger Korrespondent. Vor allem aber ist er ein Fälscher. Ein guter noch dazu, doch nicht gut genug. Seine gefälschten Wechsel fliegen auf, er landet in den Niederlanden im Kerker. Doch sein Ruf als Hersteller exzellenter falscher Papiere hat sich herumgesprochen. Die VOC – die Vereinigte Ostindische Compagnie – wurde auf ihn aufmerksam. Die niederländischen Handelsherren machen Obediah ein Angebot, das er nicht ablehnen kann. Und auch nicht will, kommt es doch seinem Hang nach Freiheit, Abenteuer und Wissenszuwachs entgegen. So ist dabei nicht nur sein Genie als Fälscher gefragt, sondern sein flexibler Verstand, der in der Lage ist, Probleme zu lösen, möglichst schon bevor sie auftreten. Für die gewaltige Aufgabe, nämlich Kaffee zu stehlen, bedarf er indes weiterer Unterstützung, denn so einfach, wie es sich anhört, ist das …

Vera Buck – Runa

Hart an der Grenze Runa ist ein Roman, der dem Leser einiges abverlangt. Ich kann mir vorstellen, dass nicht jeder die ungeschönte Wahrheit aushalten kann, die Wahrheit über die Anfänge großer wissenschaftlicher Erkenntnisse, in diesem Fall die der Psychiatrie. Aber wahrscheinlich hat jeder ein Bild der sogenannten Nervenheilanstalten des 19. Jahrhunderts vor Augen: Menschen, die in Bottichen sitzen, mit Schläuchen abgespritzt oder in Becken untergetaucht werden – man erinnere sich an den Horrorfilm Wolfman, in dem der Vater, gespielt von Anthony Hopkins, seinen vermeintlich irren Sohn {Benicio del Toro} einer Wassertherapie unterwirft, indem er ihn wieder und wieder in einem Becken versenken lässt … Eine ›Behandlung‹, die nicht nur an Foltermethoden wie Waterboarding erinnert, sondern ihnen gleichkommt. Andererseits sind genau diesen Ärzten, die solche Methoden anwandten, einschneidende Erkenntnisse über die Neurochirurgie zu verdanken, oder jener Erkrankungen wie das nach Georges Gilles de la Tourette benannte Tourette-Syndrom. In dem Roman »Runa« bekommen diese Namen ein Gesicht, eine Persönlichkeit. Die Versuche, die Ideen, die Vorgehensweisen entspringen nicht dem Gehirn eines Horrorschriftstellers, sondern der Geschichte. Einer Geschichte, die …