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Filmkritik: Genius

»Genius – Die tausend Seiten einer Freundschaft« –

Vor kurzem hatte ich mit Kollegen ein Gespräch darüber, wie es wohl kommt, dass manche Menschen von Autoren eine gewisse moralische oder zumindest doch eine charakterliche Vorbildhaftigkeit erwarten. Dabei ist die Literaturgeschichte angefüllt mit exzentrischen, egomanischen und narzisstischen Gestalten. Thomas Wolfe war eine davon. Jude Law erweckt ihn mit entfesselter Spiellaune wieder zum Leben. Sein Gegenüber ist Colin Firth in der Rolle des Lektors Maxwell Perkins: Ruhig, unerschütterlich freundlich und {fast} immer mit Hut. Der Film verlässt sich jedoch zu sehr auf die Dynamik dieser beiden Figuren und hat darüber hinaus wenig dramaturgische Einfälle. Die erste halbe Stunde ist der gemeinsamen Arbeit an »O Lost« gewidmet, das später als »Look Homeward, Angel« erscheint. Die einzigen Konflikte bestehen in Diskussionen über Kürzungen – zweifellos ist »Genius« ein Film für Literaturwissenschaftler, Amerikanisten und Autoren; alle drei Dinge treffen auf mich zu und eben darum kamen mir weitere Fragen: Hat der Verlag dem Lektor keinen Druck gemacht? Wie stand der Verleger zu der ausufernden Zusammenarbeit mit einem Autor, den alle anderen New Yorker Verlage bereits abgelehnt hatten? Viel Potential für Hindernisse und Spannungsbögen, das leider nicht genutzt wird …

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