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Cox oder der Lauf der Zeit

Christoph Ransmayr »Cox oder der Lauf der Zeit« –

Die Zeit ist nicht absolut, sie ist relativ, das wissen wir spätestens seit Einstein. Unter bestimmten Bedingungen des Universums verlangsamt oder beschleunigt sich ihr Verlauf, etwa in der Umgebung oder dem Inneren eines Schwarzen Lochs. Und mancher Spaßvogel mag dem hinzufügen, dass jeder Zahnarztbesuch wie ein Schwarzes Loch ist: Man bewegt sich viel zu schnell darauf zu und dann, zwischen Spritze und Bohrern, will die Zeit nicht mehr vergehen.

Alle Lebewesen sind der Zeit unterworfen – unsere Zellen sind selbst Uhrwerke – alle Lebewesen? Nein, es gibt einen Herrscher im fernen China, der sich »Herr über die Zeit« nennt. Und dieser Kaiser von China ruft am Ende des 18. Jahrhunderts den englischen Uhrmacher Alister Cox an seinen Hof und beauftragt ihn, Uhren zu bauen, die das relative Zeitgefühl des Menschen wiedergeben, die also nicht das physikalische sondern das emotionale Maß nehmen. Cox reist mit drei Gehilfen in das ferne Reich und stellt sich der Aufgabe.

Zum Glück verzichtet das Buch weitgehend auf museale Details des Uhrenbaus, man wird nicht mit Ausführungen über den technischen Stand der Feinmechanik anno 1780 behelligt; statt dessen wird man in eine phantastische Welt geführt, deren Gesetze und Sitten fremd und bedrohlich sind, faszinierend und undurchschaubar. Man erlebt mit den Figuren die Verbotene Stadt als einen Irrgarten {was sie baulich auch ist}: Geometrisch streng und unverrückbar in der Zuweisung der Rollen und doch verwirrend und letztlich völlig sinnlos.

Ransmayrs Kaiserhof ist kein kulturhistorisches Dokument sondern eine Parabel: Ähnlich wie Kafkas Schloss wird dieser Ort beherrscht von Regeln, die sich wie Lebewesen fortpflanzen, und je mehr sie ihren Sinn verlieren, desto strenger werden sie. Man fürchtet in jeder Szene um die Uhrmacher aus England, die in ihrer Werkstatt Gäste und Gefangene zugleich sind. Sie sind Schauspieler in einem absurden Stück, die nur dürftig über ihre Rollen in Kenntnis gesetzt werden. Jeder Hofbeamte könnte das Urteil zur Hinrichtung überbringen oder eine neue Gunstbezeugung des Kaisers. …

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