Interview: Heidi Rehn über Erika Mann

Histo Journal Special: Heidi Rehn über ihren Roman »Die Tochter des Zauberers«

Gefragt & Notiert von Alessa Schmelzer

Just erschien Heidi Rehns Roman »Die Tochter des Zauberers« in der Reihe »Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe« des Aufbau Verlags. Die Tochter, um die es hier geht, ist Erika Mann. Ihres Zeichens ältestes Kind des Schriftstellers Thomas Mann. In ihrem Roman schildert die Autorin Heidi Rehn einen relativ kurzen, aber bedeutsamen Zeitraum aus Erika Manns Leben in New York.
In diesem Interview erzählt Heidi Rehn, warum Erika Mann eine bewundernswerte Frau war – und auch heute immer noch ist.

Histo Journal: Just ist »Die Tochter des Zauberers« im Aufbau Verlag erschienen. Magst Du kurz erzählen, worum es in Deinem neuen Roman geht?

Heidi Rehn: Der Roman schildert eine kurze, aber sehr entscheidende Phase in Erika Manns Leben: Nach den ersten Jahren im Schweizer Exil will sie 1936/37 in Amerika Fuß fassen und die USA – die Regierung unter Präsident Roosevelt ebenso wie die AmerikanerInnen – für den Kampf gegen Hitler und den Faschismus in Europa mobilisieren. Zunächst soll das mit ihrem politischen Kabarett ›Pfeffermühle‹ geschehen, das im deutschsprachigen Europa mit großem Erfolg agiert hat. Als das scheitert, beginnt Erika, sich als Rednerin und Autorin für ihre Mission einzusetzen. Parallel dazu durchlebt sie im Privaten ebenfalls eine entscheidende Lebensphase, die sie letztlich vor die Frage führt, ob sie ihr persönliches Glück ihrem politischen Engagement opfern sollte.

Histo Journal: Steigen wir also tief ein in die Geschichte Deines Romans {und diejenige Erika Manns} – 1936 ist Erika Mann {›das kühne, herrliche Kind‹ wie Thomas Mann sie u.a. nannte} längst politisiert und kämpft gemeinsam mit dem Ensemble der ›Pfeffermühle‹ vehement gegen den Nationalsozialismus. Sie alle haben für ihre Überzeugung persönliche Konsequenzen in Kauf genommen. Was an der ›Pfeffermühle‹ war neu und besonders?

heidi rehn
Die Autorin Heidi Rehn
© Susie Knoll

Heidi Rehn: Die ›Pfeffermühle‹ hat eine sehr kluge Mischung aus literarischen Texten, Songs, Tanz und Musik geboten. Auf sehr kurzweilige Art wurden sehr kritische, ernste Themen kommuniziert. Das Publikum – zunächst in München, dann in der Schweiz, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg und Tschechien – hat das sehr gut aufgenommen. Die Botschaft kam an.

Histo Journal: Warum funktionierte ›Die Pfeffermühle‹ nicht in den USA?

Heidi Rehn: Obwohl ein Großteil der Texte übersetzt wurde und amerikanische Künstler mit ins Programm genommen wurden, bestand wohl das größte Problem in der Unwissenheit und dem von allen Beteiligten unterschätzen kulturellen Unterschied. Viele der Anspielungen in den Texten wurden schlichtweg nicht verstanden, weil den Zuschauern die Namen der meisten Nazi-Größen – außer Hitler und Goebbels – nicht geläufig waren, ihnen die Persiflagen auf die Volks- und Kinderlieder oder die Märchen nichts sagten, weil sie schlichtweg die Originaltexte nicht kannten.
Man darf außerdem nicht vergessen, dass der »Große Teich« damals sehr trennend war. Das Radio steckte in den Kinderschuhen, ebenso Film und Kino, Fernsehen gab es als Massenmedium noch nicht, und Zeitungen und Bücher erreichten – wenn überhaupt – mit enormer Verzögerung den jeweils anderen Kontinent, ebenso Nachrichten generell. Während in Europa nach der Weltwirtschaftskrise 1929 der Faschismus und Nationalsozialismus an Boden gewannen, litten die USA unter der Großen Depression. Man hatte schlichtweg genug eigene Probleme, um sich auch noch mit dem, was im fernen Europa vor sich ging, erschöpfend zu beschäftigen. Anders als heute war man sich noch nicht bewusst, wie sehr alles mit allem zusammenhängt, wie sehr alle voneinander abhängen und welche Auswirkungen die drohende Katastrophe in Europa letztlich auch für die USA bedeuten würden.

Histo Journal: Therese Giehse war neben Erika Mann das Herz der Pfeffermühle. Du schilderst sie als Münchner Urgestein, das sich in den USA ein wenig fehl am Platz vorkommt. Warum hat sie an das ›Projekt Peppermill‹ in the USA nicht glauben können?

Heidi Rehn: Für sie als Schauspielerin ist das Wort, die Sprache eines der wichtigsten Werkzeuge, mit denen sie arbeitet. Eher als Erika ist ihr bewusst gewesen, wie schwierig es sein würde, die sprachliche Barriere zu überwinden und sich auf der Bühne in der fremden Sprache auszudrücken. Außerdem hat sie sehr früh schon ein Gespür dafür besessen, dass wohl nicht allein die Sprache Amerika und Europa voneinander trennt.

Histo Journal: Nach dem Ende der Peppermill entdeckt Erika die Bühne als Rednerin für sich. Was hat sie sich hiervon oder von den USA insgesamt in dieser Zeit versprochen?

Heidi Rehn: Sie wollte durchs Land reisen und in großen wie insbesondere auch in kleinen Städten, auf dem Land, vor Frauenclubs, SchülerInnen, StudentInnen, in Gemeindeversammlungen über das Geschehen in Europa informieren, verdeutlichen, was geschehen würde, wenn man Hitler und den Faschismus nicht stoppen würde: der nächste Krieg würde ausbrechen. Außerdem kämpfte sie um Verständnis für die aus Europa nach Amerika Emigrierten. Sie informierte über das, was diese Leute in ihrer Heimat bereits geleistet hatten als KünstlerInnen, SchriftstellerInnen, WissenschaftlerInnen.
Da sie wusste, dass sie mit ihrer offenen, direkten Art, ihrer Unkompliziertheit, ihrem Charme, ihrer Intelligenz und auch mit ihrer Herkunft als »Tochter des international gefeierten Nobelpreisträgers Thomas Mann« Aufmerksamkeit und Sympathien ernten würde, war sie sich gewiss, Erfolg zu haben. Das hat sich schnell bewahrheitet.

Histo Journal: Deine zuletzt erschienenen Romane sind in München angesiedelt, der Stadt in der Du seit vielen Jahren lebst und in der Du Dich gut auskennst. München ist auch Mann-Stadt. Wo begegnest Du den Manns in München?

Heidi Rehn: München ist »ihre« Stadt. Sie sind hier sehr gegenwärtig. Die einstige Familienvilla »Poschi« in Bogenhausen in der Poschinger Straße wurde vor einigen Jahren von Privatleuten wieder aufgebaut und kann zumindest von außen in der alten Pracht bewundert werden, an den früheren Wohnungen in der Mauerkirchnerstraße wie in Schwabing hängen Hinweistafeln. Erika besuchte das Luisengymnasium nahe des Hauptbahnhofs, und war viel in der Stadt unterwegs, vor allem entlang der Isar vom Herzogpark in Bogenhausen bis zur Prinzregentenstraße in der Maxvorstadt, wo ihre Freundin Pamela Wedekind lebte, oder bis zur Villa der Pringsheim-Großeltern in der Arcisstraße, an deren Stelle sich heute im ehemaligen Parteigebäude der NSDAP das Zentralinstitut für Kunstgeschichte in der Katharina-Bora-Straße befindet. Außerdem liegt ihr schriftlicher Nachlass in der Monacensia, der München-Abteilung der Stadtbibliothek, die auch einen eigenen Lesesaal zur Familie Mann besitzt. Es ist traumhaft, dort zu arbeiten.

Histo Journal: Erika und Klaus logierten im Bedford. Warst Du dort und hast es Dir angeschaut?

Heidi Rehn: Ich war zwar vor einigen Jahren in New York, um dort auf den Spuren der deutschen Exilanten zu wandeln, aber ausgerechnet das Bedford habe ich nicht besucht. Es ist mir schlichtweg durchgerutscht. Damals konnte ich noch nicht ahnen, dass ich bald einen Roman über Erikas erste Jahre in New York schreiben würde. Dafür habe ich die anderen Schauplätze fast alle besichtigt.

Histo Journal: Welche Eigenschaften Erika Manns faszinieren Dich besonders?

Heidi Rehn: Sie war unglaublich mutig und außerdem sehr klug, besaß eine rasche Auffassungsgabe. Außerdem hat sie sich sehr für andere eingesetzt, darüber auch ihre eigenen Bedürfnisse hintangestellt. Das war mir vorher nicht in dem Ausmaß bewusst. Das bewundere ich sehr an ihr.

Histo Journal: Gab es seitens des Verlags inhaltliche Vorgaben? Die Reihe heißt »Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe«.

Heidi Rehn: Mir wurde weitgehend freie Hand gelassen. Als ich mich entschied, den Roman nicht auf ihr gesamtes Leben sondern nur auf diesen recht kurzen, in meinen Augen allerdings sehr entscheidenden Zeitraum ihres Lebens zu konzentrieren, wurde das sehr interessiert aufgenommen. Wichtig war dem Verlag allerdings, dass das Persönliche, also Erikas Beziehungen zu Erika, Maurice und Martin, einen entsprechenden Raum bekam. Da Erika, wie ihre jüngste Schwester Elisabeth Mann-Borgese betonte, »sehr leidenschaftlich war in allem, was sie tat«, war das keine Einschränkung, sondern ohnehin wichtig.

Histo Journal: Stichwort ›Narrative der Familie Mann‹: Ein bisschen hast auch Du an verschiedenen Daten geschraubt – Mephisto, Zehn Millionen Kinder, Escape to Life oder auch im Prolog {ölverschmierte Werkzeugkiste}. Wie kam es dazu?

Heidi Rehn: Das hat rein dramaturgische Gründe. Einen Schriftsteller wie Klaus Mann muss ich beim Schreiben schildern. Sein kurz vor dem Romanzeitraum fertiggestellter Roman »Mephisto« dürfte sein heute bekanntester Roman sein. Seines Inhalts wegen passt er sehr gut in den Zusammenhang meines Romans, also habe ich hier so getan, als schriebe er im Herbst 1936 noch daran, obwohl er bereits zu diesem Zeitpunkt bei Querido in Amsterdam erschienen ist.
Ähnlich verhält es sich mit den beiden von Erika Mann erwähnten Büchern. An »Zehn Millionen Kinder«, einem Buch über die Vereinnahmung schon der Jüngsten im NS-System, schrieb sie ab Sommer/ Herbst 1937, wie das auch im Roman erwähnt wird. An »Escape to life«, das sie zusammen mit Klaus verfasste, begann sie wohl erst 1938 zu arbeiten. Es stellt wichtige deutschsprachige Exilant*innen in den USA mit ihrem Lebenswerk vor. Da es Erika jedoch ein großes Anliegen war, die AmerikanerInnen darauf hinzuweisen, erschien es mir legitim, die ersten Ideen dazu etwas in den Herbst 1937 vorzuziehen.

Histo Journal: Deine zuletzt erschienen Romane sind im München des 20. Jahrhundert angesiedelt; z.B. »Das Haus der schönen Dinge«, »Der Himmel über unseren Träumen« oder »Das Lichtspielhaus«. Gemeinsam ist – nicht nur diesen – Romanen eine nuancierte und kluge Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Auch Erika Mann macht hier letztlich keine Ausnahme. Ist der Widerstand gegen den Nationalsozialismus Dein Thema?

Heidi Rehn: Schon seit meinem Germanistik- und Geschichtsstudium ist das mein großes Thema. Gerade am Geschehen im München jener Jahre lässt sich zeigen, wie sich der Aufstieg Hitlers und der Nationalsozialisten letztlich insgesamt entwickelt und ausgewirkt hat.
In meinen Geschichten möchte ich von Menschen erzählen, die damals gelebt und das alles miterlebt haben. Anders als wir heute haben sie mittendrin gesteckt, konnten die Konsequenzen daraus bestenfalls ahnen, aber keinesfalls wissen, wie es enden würde. An ihrem Beispiel möchte ich zeigen, wie wichtig es ist, sich frühzeitig zu fragen, was man vielleicht anders einschätzen oder interpretieren muss, welche Warnsignale man besser beachtet, was man selbst tun kann, um mitzuhelfen, dass nie wieder Populisten an die Macht gelangen. Nie wieder dürfen Menschen ihrer Religion, ihrer Herkunft, ihrer Art zu lieben oder zu leben oder zu sein wegen verfolgt und vernichtet werden. »Nie wieder!« steht ganz groß über allem, was ich über diese Zeit schreibe. Es ist mir ein Herzensanliegen.

Histo Journal: Woran arbeitest Du im Moment?

Heidi Rehn: Derzeit schreibe ich an einem ähnlich großen Herzensthema: einem Roman über Vicki Baum, genau genommen über ihre Zeit beim Ullstein Verlag in Berlin 1926 bis 1931, als sie eine der erfolgreichsten und meist gelesenen deutschsprachigen Schriftstellerinnen wurde und mit ihrem Roman »Menschen im Hotel« letztlich auch international große Erfolge erzielte. Daneben war sie eine faszinierende Persönlichkeit und unfassbar emanzipiert und fortschrittlich. Deshalb wird der Roman auch »Vor Frauen wird gewarnt« heißen – in Anspielung auf einen späteren Roman von ihr, der unlängst sehr erfolgreich wieder aufgelegt wurde: »Vor Rehen wird gewarnt«.

Histo Journal: Herzlichen Dank für dieses Interview, Heidi.

Heidi Rehn, Jahrgang 1966, wuchs im Mittelrheintal auf und kam zum Studium der Germanistik und Geschichte nach München. Seit vielen Jahren widmet sie sich hauptberuflich dem Schreiben. 2014 erhielt sie den »Goldenen Homer« für den besten historischen Beziehungs- und Gesellschaftsroman. Als »Kopfkino live« bietet sie sehr erfolgreich Romanspaziergänge durch die Münchner Innenstadt an, bei denen das fiktive Geschehen eindrucksvoll mit der realen Historie verbunden wird.
Im Aufbau Taschenbuch ist von ihr der Roman »Die Tochter des Zauberers – Erika Mann und ihre Flucht ins Leben« sowie der historische Krimi »Das doppelte Gesicht« erschienen.

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Aktueller Roman – Die Tochter des Zauberers – Erika Mann und ihre Flucht ins Leben
New York, 1936: Erika hofft darauf, mit ihrem politischen Kabarett die Amerikaner für den Kampf gegen Hitler zu gewinnen. Dann lernt sie im Kreis der europäischen Exil-Künstler einen Mann kennen, der ihr mehr bedeutet, als sie jemals für möglich gehalten hätte – den Arzt und Lyriker Martin Gumpert, der fasziniert ist von ihrer Stärke und Unabhängigkeit. Bald muss sie sich entscheiden: Ergreift sie die Chance, sich als Kämpferin für Frieden und Freiheit zu etablieren, oder setzt sie ihr persönliches Glück an erste Stelle?
Die bislang unbekannte Liebesgeschichte einer großen Frau, die sich in einer düsteren Epoche behaupten muss …

Aktueller Krimi – Das doppelte Gesicht – Ein Fall für Emil Graf
München, August 1945. Die Stadt versinkt im Chaos. Die Reporterin Billa Löwenfeld, aus dem Exil zurückgekehrte Jüdin, soll den Kriegsheimkehrer Viktor von Dietlitz interviewen. Doch sie findet ihn erschossen auf. Der noch unerfahrene Ermittler Emil Graf soll den vermeintlichen Routinefall klären. Wenig später gibt es zwei weitere Morde nach demselben Muster – und der totgeglaubte Viktor von Dietlitz taucht wieder auf. Eine Verwechslung? Bald entdeckt Emil, dass ausgerechnet Billas Mutter die gesuchte Verbindung zwischen den drei Opfern ist …</p>

Heidi Rehn im Histo Journal:

Special zu Heidi Rehn
5-teiliges Special – Die Autorin Heidi Rehn
Interview
Tanz des Vergessens
Heidi Rehn – Historisches über »Der Sommer der Freiheit«
Werkstattgespräch

Gastbeitrag
Gretchen mag’s mondän

Buchbesprechung
Der Sommer der Freiheit
Tanz des Vergessens

Autorenportrait
Heidi Rehn im Portrait

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Aktuelles Special zu Heidi Rehn
Sonntag, 10. Januar: Interview zu Erika Mann
Dienstag, 12. Januar: Buchbesprechung des Romans »Die Tochter des Zauberers – Erika Mann und ihre Flucht ins Leben«
Donnerstag, 14. Januar: Kurz Interview zu ›alten und neuen Kommunikationswegen mit Leser*innen‹ sowie Ausblick und ausführliche Vorstellung ihres neuen historischen Krimis »Das doppelte Gesicht – Ein Fall für Emil Graf«