Gretchen mag’s mondän

Fesch in den Luftschutzkeller

Eine Ausstellung im Münchener Stadtmuseum zeigt noch bis 29. Mai 2016 einen Querschnitt deutscher Damenmode der 1930er Jahre

Ein Gastbeitrag von Heidi Rehn


Die Damenmode der Dreißigerjahre war international gesehen eine Bekleidungslinie, in der Glamour und Mondänität mit Sportlichkeit und Lässigkeit einhergingen. Auch das Klischee vom blonden strammen Uniform-Mädel oder der biederen Soldaten-Mutter kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Frauen im Dritten Reich sehr wohl an Schminke, Mode und Zigaretten interessiert waren.

Website des Hirmer Verlages
Website des Münchner Stadtmuseums

Gretchen mag’s mondän – Damenmode der 1930er Jahre

Schon in ihrem Titel »Gretchen mag´s mondän« verrät die neue Schau im Münchener Stadtmuseum ihre Hauptthese: den eminenten Widerspruch zwischen Theorie und Praxis der Mode in den 1930er Jahren. Nicht nur dank Goethes Faust stellt sich mit dem Vornamen »Gretchen« gleich das Bild eines typisch deutschen, biederen blonden Mädels mit Zopf ein, in der NS-Ideologie zusätzlich noch versehen mit den Attributen »stramm« und »Uniform«. Das Adjektiv »mondän« dagegen lässt eher an Weltoffenheit und Eleganz denken, die man mit nichts weniger als mit dem muffigen Deutschland der Hitlerjahre in Verbindung bringt. Genau diesen Zwiespalt verkörpert auch die junge Frau auf Ausstellungsplakat und Katalog: Frisiert mit einem brav geflochtenen, goldblonden Haarzopf steht sie in ihrem figurbetonten, blumengemusterten Cocktailkleid aufreizend lässig da, eine provozierende Haltung, die durch die dünne, lange Damenzigarette in der rechten Hand wie auch die auffällig rot geschminkten Lippen noch besonders betont wird. Sie scheint eher in die als »golden« bezeichneten Zwanziger Jahre zu passen als in jene Epoche, die mit ihrer engstirnigen, verblendeten Deutschtümelei in der Katastrophe endete. So betritt man dank Titel und Plakat also schon mit einer gewissen Erwartungshaltung die in ihren räumlichen Möglichkeiten leider sehr eingeschränkte Ausstellung im Münchener Stadtmuseum.

Kluft zwischen Theorie und Praxis

Diese Haltung wird nicht enttäuscht: Bevor man die ersten Kleidungsstücke leibhaftig vor sich hat, sieht man sich zunächst einer breit gefächerten Auswahl von Modezeitschriften gegenüber. Auf den ersten Blick fällt auf: Das dumpfe, stramm deutsche Frauenbild sucht man darin vergebens. Stattdessen beweisen Titel wie z.B. »Die Dame«, »Die elegante Welt« oder »Die neue Linie« – übrigens größtenteils schon lange vor 1933 auf dem deutschen Zeitschriftenmarkt zuhause und ursprünglich meist aus jüdischen Pressehäusern stammend – in Bild und Text, wie sehr man auch nach der Machtergreifung und der im täglichen Leben stetig zunehmenden Konzentration auf die NS-Ideologie dem internationalen Zeitgeist in den Magazinen verhaftet blieb. Fotos elegant gekleideter, selbstbewusst auftretender Damen, die sich nach Pariser Schick kleideten, dominierten weiterhin die Blätter. Ebenso standen ganz selbstverständlich raffinierte Schmink- und Frisurentipps wie Berichte über internationale Kinofilme und gefeierte Hollywoodstars im Zentrum des Interesses. Sogar bei Porträts regimetreuer deutscher Filmsternchen folgte man diesen Mustern der Berichterstattung. Der fade Geschmack der braunen Machthaber fand dagegen zunächst hauptsächlich nur auf ebenso fade gestalteten Beilegern Eingang in die Zeitschriften. Ein weiterer Beweis also, wie klischeebeladen unsere heutige Vorstellung zum Thema Mode der 1930er Jahre ist und wie weit damals Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklafften.

© Münchner Stadtmuseum

Im weiteren Verlauf der Ausstellung beweisen das nicht nur die rund 150 Modelle aus dem Fundus des deutschen Modemuseums, die auf handgefertigten Büsten nach bestimmten Themenbereichen in gedimmtem Licht präsentiert werden. Immer wieder gibt es dazwischen sehr informative Grafiken und Texttafeln, die als roten Faden der Schau die Kluft zwischen Theorie und Praxis des Modethemas unter den verschiedensten Aspekten aufgreifen. So erfährt man etwa, wie lautstark Parteistrategen einerseits den Einzug des Deutschtums im Modebereich forderten, andererseits aber gerade nach 1933 zielstrebig darauf hinarbeiteten, die deutsche Textilindustrie international an die Spitze zu bringen. Zu wichtig war Mode als Wirtschaftsfaktor, zu viele Arbeitsplätze hingen von ihr ab, als dass man sich einen Rückzug ins abgeschirmte Nationale hätte erlauben dürfen. Und zu dünn war letztlich auch die inhaltliche Vorstellung davon, wie eine »rein deutsche Mode« überhaupt hätte aussehen sollen und umgesetzt werden können.

Jüdische Wurzeln nicht nur des Dirndls

Die deutsche Textilindustrie war sowohl in der Produktion als auch im Vertrieb traditionell jüdisch geprägt. Die NS-Schergen versuchten zwar eine rasche Umorientierung auf »rein deutsche« Produkte und Verkaufsstätten durchzusetzen, was vor allem Enteignung und Arisierung von Kaufhauskonzernen wie etwa Tietz, Wertheim und Schocken oder von Fabrikanten wie beispielsweise Isidor Bach {heute Konen} in München bedeutete. Ebenso konnte die Abhängigkeit von Rohstoffimporten aus dem Ausland durch die Entwicklung von verschiedensten Kunstfasern und die Erschließung neuer Rohstoffquellen noch einigermaßen gut bewältigt werden. Dennoch blieb der Versuch, »deutsche Mode« auf eigene Faust zu entwickeln, bereits im Ansatz kläglich stecken.

Am Beispiel der Dirndl- und Trachtenmode, die man instinktiv als »typisch deutsch« bezeichnen würde, lässt sich das sehr gut nachvollziehen. Selbst dieser gern als »arteigen« empfundene Bereich war von Beginn an alles andere autonom. So ist der Durchbruch der Dirndl- und Trachtenmode ohne das 1900 in München gegründete jüdische Volkstrachtenhaus Wallach gar nicht denkbar. Wallach entwarf nicht nur viele der als »volkstümlich« empfundenen Muster und Stoffe in seinen Produktionsstätten, sondern legte mit seiner Erforschung der ländlichen Kleidung überhaupt erst den Grundstein für die Beliebtheit dieser Mode im frühen 20. Jahrhundert. Natürlich kamen auch die NS-Vordenker »deutscher Mode« nicht am feschen Dirndl und kernigen Janker vorbei. Dennoch ist die Mär vom »deutschen Dirndl« und von »deutscher Tracht« sehr schnell zu entlarven. Die internationale Szene griff diesen Stil übrigens bereitwillig auf und entwickelte ihn tollkühn weiter, was einige Beispiele in der Schau sehr eindrucksvoll demonstrieren.

Internationaler Schick als Maß

Elegante Tagesmode {Modell von Maggy Rouff},
aus der französischen Zeitschrift »Vogue«,
1939 © Münchner Stadtmuseum

So wenig sich also das angeblich »urdeutsche« Dirndl von jüdischen und internationalen Einflüssen isolieren ließ, so wenig gelang es selbst den obersten NS-Führern, die von den Parteistrategen geforderte Konzentration auf das Deutschtum konsequent vorzuleben. Mit zahlreichen Fotos und Dokumenten zeigt die Schau, wie sehr selbst Hitler offen für den Typus der eleganten Dame von Welt schwärmte, wie ihn Leni Riefenstahl und vor allem gerade die stets nach internationalem Schick gekleidete Martha Goebbels verkörperte. Die Gattin des Propagandaministers galt offiziell immerhin als die oberste Repräsentantin des neuen weiblichen Deutschlands. Das aber hinderte sie nicht daran, sich selbst in Kriegsjahren noch ihre Garderobe direkt aus Paris einfliegen zu lassen. Letztlich war die erste Frau im Dritten Reich also nichts weniger als das biedere, deutsche Weibchen, das sich so mancher Parteiideologe an den deutschen Herd wünschte. Ebenso belegen die in der Ausstellung – leider oft unscharf – gezeigten Beispiele aus deutschen Kinofilmen der 1930er Jahren die Kluft zwischen propagierter und tatsächlich getragener Mode. Selbst die verfemten Hosen trugen weibliche Stars darin ganz natürlich zur Schau.

Eleganz und Stil selbst beim Appell

Die Mode der 1930er Jahre war also in Deutschland wie im Rest der Welt eine folgerichtige Fortsetzung der Goldenen Zwanziger. Das zeigt der leider etwas konventionell gestaltete Rundgang entlang der gläsernen, sorgfältig arrangierten Schaukästen quasi Schritt für Schritt im Tagesablauf. Begonnen wird mit einer breiten Auswahl an Morgentoiletten, bevor es zu praktischen Tages- und Nachmittagskostümen, etwas auffälligeren Tagesend- und Cocktailkleidern sowie schließlich zu raffinierten Abend- und luxuriösen Brautmoden geht. Ein letzter Schaukasten gewährt gar einen erstaunlich voyeuristischen Blick durchs Schlüsselloch: Hautenge Hausanzüge im Tigerlook, elegante Abendpyjama in Seide und leicht frivole Negligees für intime Hausparties oder den frühmorgendlichen Ausklang einer langen, rauschhaften Partynacht demonstrieren, dass man auch im Dritten Reich trotz Fahnenappell und Drill locker zu leben verstand.

© Münchner Stadtmuseum

Wie absurd, dass sich ausgerechnet an der Wand gegenüber Zeitungs- und Bildmaterial zu den Versuchen finden, selbst aus den obligatorischen Luftschutzübungen ab Mitte der Dreißiger Jahre ein modisches Highlight werden zu lassen. Größer könnte der Kontrast nicht sein, wenn man dort plötzlich von Blumenranken als Verzierung für die wenig kleidsamen Schutzhelme liest. Unter der Devise »Fesch im Luftschutzkeller« als Überschrift aus einer Zeitschrift findet sich dort noch so manch anderer, uns heute sehr befremdlich anmutende Rat, wie Frau auch im kriegerischen Ernstfall noch beste Figur machte. Ebenso gab es Vorschläge, wie der Mangelwirtschaft in Kriegszeiten einfallsreich begegnet werden konnte. »Aus zwei mach eins« lautete ein Tipp, um selbst beim Klettern über Bombenkrater modisch auf der Höhe zu bleiben. Ebenso bot der Kleiderschrank des an die Front ausgerückten Gatten oder Bruders so manches Fundstück, aus dem frau sich eine flotte Klamotte zaubern konnte. Sogar die von Nazi-Ideologen immer wieder als »undeutsch« deklarierten Hosen fanden so letztlich doch von oben sanktioniert Eingang in die Damengarderobe. Mit wadenlangem Rock und feschem Dirndl ließ sich halt weder eine Luftschutzübung überstehen noch der Schutt in den Straßen wegräumen.

Als Fazit bleibt:

Mode der 1930er Jahre war vor allem ein eklatanter Widerspruch zwischen sturer Ideologie und gelebtem Alltag. So wenig sich eine »deutsche Mode« durchsetzen ließ, so wenig ließen sich seit jeher bestehende Traditionen und Einflüsse von außen negieren. Letztlich ließ sich frau überhaupt nur ungern reinreden, was ihr gefiel und was sie trug. So manches Mal keimt beim Rundgang durch die vor grauen Wänden und in dämmrigem Licht etwas schal gezeigte Auswahl übrigens der Verdacht auf, dass das nicht allein für die 1930er Jahre sondern auch für spätere Zeiten und andere Ideologien Gültigkeit besitzt.

Die Ausstellung »Gretchen mag´s mondän – Damenmode der 1930er Jahre« ist noch bis 29. Mai 2016 im Münchener Stadtmuseum am Jakobsplatz zu sehen. Der umfangreiche Ausstellungskatalog mit zahlreichen farbigen Abbildungen ist im Hirmer Verlag erschienen und kostet an der Museumskasse EUR 39,90.

Die Autorin

Heidi Rehn, geboren 1966, studierte Germanistik, Geschichte, BWL und Kommunikationswissenschaften. Nach einer Dozentur an der Ludwig-Maximilians-Universität, arbeitete sie als PR-Beraterin. Seit mehr als fünfzehn Jahren arbeitet sie als freie Journalistin und Autorin. Sie lebt mit ihrer Familie in München.

Website der Autorin

Heidi Rehn bei Knaur