Kultur in Zeiten der aktuellen Pandemie – Heidi Rehn

Auch im Jahr 2021 werden gerade Kulturschaffende die Auswirkungen der Pandemie spüren. Seit vielen Wochen finden keine Lesungen statt, sind Theater und Kinos geschlossen, gibt es weder Konzerte noch Festivals …
Wir wollten daher wissen: Wie erleben Schriftsteller*innen die aktuelle Zeit? Wie gehen sie mit dieser außergewöhnlichen Situation um? Wir haben u.a. Heidi Rehn und Peter Prange zu ihren Eindrücken befragt. In diesem Neujahrs Special meldet sich in den kommenden Tagen jeweils ein*e Schriftsteller*in zu Wort.


Die Autorin Heidi Rehn
© Susie Knoll

Die Schriftstellerin Heidi Rehn

Histo Journal: Wie erlebst Du als Schriftstellerin diese Zeit?

Heidi Rehn: Sehr gemischt. An meiner grundsätzlichen Art zu arbeiten hat sich nichts geändert, lediglich das Recherchieren in Archiven und Bibliotheken ist umständlicher geworden. Ansonsten sitze ich wie seit Jahren gewohnt jeden Tag zuhause am Schreibtisch und schreibe. Neuerdings besitzen allerdings erstaunlich viele Menschen eine Vorstellung davon, was „home office“ bedeutet, welche Herausforderung diese Art des meist sehr einsamen Arbeitens sein kann. Es tut gut, jetzt mehr Verständnis dafür zu bekommen.
Schmerzlich vermisse ich jedoch den direkten Kontakt zu meinen Leserinnen und Lesern bei Lesungen sowie bei meinen literarischen Spaziergängen. Im Herbst konnten letztere wieder stattfinden, ebenso erste Lesungen. Sie stießen auf reges Interesse, weil alle sehr dankbar für diese rar gewordenen Gelegenheiten sind, Kultur „live“ zu erleben. Jetzt aber ist wieder alles abgesagt. Ein herber Schlag. Mir fehlt die direkte Resonanz, die so beflügelnd ist, um die Einsamkeit am Schreibtisch besser zu ertragen, und mir einen sehr wichtigen Ausgleich für diese Stunden bietet.

Histo Journal: Ausbleibende Lesungseinnahmen sowie z.B. das Absagen der Frankfurter und der Leipziger Buchmessen belasten eine ganze Branche. Was müssen Autor*innen jetzt tun, um ihre Existenz zu sichern?

Heidi Rehn: Gerade jetzt wird klar, wie knapp auf Kante genäht die gesamte Branche arbeitet. Für ausgefallene Lesungen und Veranstaltungen gibt es in der Regel keinen Ersatz und das frisst ein großes Loch in die Einnahmen. Umso wichtiger ist es, gerade jetzt klarzumachen, dass Kultur ihren Preis hat, faire Honorare gezahlt werden müssen. Professionelle Arbeit muss professionell bezahlt werden. Wir AutorInnen müssen zusammenstehen und dürfen uns nicht gegeneinander ausspielen lassen von wegen »Frau XY schreibt uns das aber für ein geringeres Honorar«.

Histo Journal: Angesichts des vergangenen Teil-Lockdowns und aktuellen Lockdowns – Welche Auswirkungen auf die Kulturbranche befürchtest Du angesichts dieser neuerlichen Beschränkungen und Einschränkungen?

Heidi Rehn: Leider sind sehr viele KünstlerInnen binnen kürzester Zeit in die Situation geraten, ihre Kunst nicht mehr ausüben zu können. Das ist ein großes Armutszeugnis für das sogenannte »Land der Dichter und Denker«.
Wir SchriftstellerInnen stehen noch vergleichsweise gut da, weil unsere Bücher weiter gekauft und gelesen werden, wir weiter schreiben können. Darstellende KünstlerInnen, also SchauspielerInnen, TänzerInnen, MusikerInnen und wer da noch in diesem Zusammenhang agiert, sind weitaus schlimmer betroffen. Kunst aber ist ein Lebensmittel. Gerade in Krisenzeiten. Kunst reflektiert, was jeden Tag abläuft, in Zukunft geschieht, in der Vergangenheit passiert ist. Kunst öffnet Perspektiven, stellt Fragen, entwirft Lösungen, gibt Orientierungsmöglichkeiten. Kunst kritisiert, ermutigt, kommentiert, beobachtet. Das brauchen wir mehr denn je, um mit dem Leben klarzukommen, um die Krise zu überstehen. Es ist schon bitter genug, dass das nicht selbstverständlich ist. Dass es aber so eklatant in Frage gestellt bzw. gleich komplett negiert wird, wie das derzeit von manchen Politikern geschieht, ist unfassbar.

Heidi Rehn, Jahrgang 1966, wuchs im Mittelrheintal auf und kam zum Studium der Germanistik und Geschichte nach München. Seit vielen Jahren widmet sie sich hauptberuflich dem Schreiben. 2014 erhielt sie den »Goldenen Homer« für den besten historischen Beziehungs- und Gesellschaftsroman. Als »Kopfkino live« bietet sie sehr erfolgreich Romanspaziergänge durch die Münchner Innenstadt an, bei denen das fiktive Geschehen eindrucksvoll mit der realen Historie verbunden wird.
Im Aufbau Taschenbuch ist von ihr der Roman »Die Tochter des Zauberers – Erika Mann und ihre Flucht ins Leben« sowie der historische Krimi »Das doppelte Gesicht« erschienen.

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Aktueller Roman – Die Tochter des Zauberers – Erika Mann und ihre Flucht ins Leben
New York, 1936: Erika hofft darauf, mit ihrem politischen Kabarett die Amerikaner für den Kampf gegen Hitler zu gewinnen. Dann lernt sie im Kreis der europäischen Exil-Künstler einen Mann kennen, der ihr mehr bedeutet, als sie jemals für möglich gehalten hätte – den Arzt und Lyriker Martin Gumpert, der fasziniert ist von ihrer Stärke und Unabhängigkeit. Bald muss sie sich entscheiden: Ergreift sie die Chance, sich als Kämpferin für Frieden und Freiheit zu etablieren, oder setzt sie ihr persönliches Glück an erste Stelle?
Die bislang unbekannte Liebesgeschichte einer großen Frau, die sich in einer düsteren Epoche behaupten muss …

Aktueller Krimi – Das doppelte Gesicht – Ein Fall für Emil Graf
München, August 1945. Die Stadt versinkt im Chaos. Die Reporterin Billa Löwenfeld, aus dem Exil zurückgekehrte Jüdin, soll den Kriegsheimkehrer Viktor von Dietlitz interviewen. Doch sie findet ihn erschossen auf. Der noch unerfahrene Ermittler Emil Graf soll den vermeintlichen Routinefall klären. Wenig später gibt es zwei weitere Morde nach demselben Muster – und der totgeglaubte Viktor von Dietlitz taucht wieder auf. Eine Verwechslung? Bald entdeckt Emil, dass ausgerechnet Billas Mutter die gesuchte Verbindung zwischen den drei Opfern ist …

Heidi Rehn im Histo Journal:

Special zu Heidi Rehn
5-teiliges Special – Die Autorin Heidi Rehn
Interview
Tanz des Vergessens
Heidi Rehn – Historisches über »Der Sommer der Freiheit«
Werkstattgespräch

Gastbeitrag
Gretchen mag’s mondän

Buchbesprechung
Der Sommer der Freiheit
Tanz des Vergessens

Autorenportrait
Heidi Rehn im Portrait

Hier gelangen Sie zur Website der Autorin.

Unser Special zu Heidi Rehn – Interview zu Erika Mann, Buchbesprechung des Romans »Die Tochter des Zauberers – Erika Mann und ihre Flucht ins Leben« und Ausblick auf ihren historischen Krimi »Das doppelte Gesicht – Ein Fall für Emil Graf« erscheint ab Sonntag, 13. Januar 2020 im Histo Journal.

Mittwoch, 13. Januar in unserer »Kultur in Zeiten der aktuellen Pandemie«: Tanja Kinkel