Nikolaus von Myra

Der heilige Nikolaus von Myra

Ein Heiliger – zwei historische Personen

»Lustig, lustig, traleralera, bald ist Nikolausabend da, bald ist Nikolausabend da …«

von Alessa Schmelzer

Dieser Refrain samt Melodie wird den meisten sicherlich bekannt sein. Ebenso wie der heilige Nikolaus selbst, um dessen Person sich seit dem 6. Jahrhundert unzählige Legenden ranken. Heute wissen wir, dank kritischer Textanalyse, dass diese legendäre Figur des heiligen Nikolaus fiktiv ist. In ihm verschmelzen gleich zwei historische Personen. Zum einen ist dies der Bischof von Myra, der im 4. Jahrhundert in Lykien {Kleinasien} lebte. Bei dem anderen handelt es sich um den Abt von Sion, Bischof von Pinora {Provinz Lykien}, der am 10. Dezember 564 starb.

Die Wahrheit mag so manchen erschüttern, aber sowohl Nikolaus’ Geburt in Patras {Kleinasien}, sein Auftauchen und seine Teilnahme am Konzil von Nicäa 325, ja selbst sein Todesjahr 343 samt Datum 6. Dezember sind nichts weiter als reine Spekulation.

Gleichviel, denn die Legenden sind zahlreich und überaus entzückend, porträtieren sie doch einen einfühlsamen, wohltätigen, bescheidenen als auch einen dem Menschen zugewandten Mann. Neben den Heiligengeschichten »Legenda Aurea« aus dem 13. Jahrhundert, der »Legenda aurea« aus dem 20. Jahrhundert oder der »Christkatholischen Handpostille« aus dem späten 17. Jahrhundert existieren etliche andere Legenden. Einige von ihnen notierte der Ziesterzienermönch Caesarius von Heisterbach in seinem Werk »Dialogus Miraculorum« wohl um 1220 im Kloster Heisterbach. Der »Dialog über die Wunder« enthält rund 750 Kurzgeschichten {exempla}. Diese erfreuten sich übrigens so großer Beliebtheit, dass etliche mittelalterliche Handschriften bekannt sind. Mit dem Satz »Colligite fragmenta ne pereant« leitete er seine Wundergeschichten ein. Und eines jener Bruchstücke, die er sammeln wollte, damit sie nicht verloren gehen, ist die Nikolaus-Legende »Wie der heilige Nikolaus einem Knaben seinen Tod voraussagte«.

Von dieser soll nun die Rede sein.

Heisterbach schreibt: »Im Dorf Leichlingen, ungefähr zwei Meilensteine von Köln, ist vor sieben Jahren geschehen, was ich erzählen will. Ein einfacher Knabe hütete dort das Vieh einer Frau. Dieser liebte den heiligen Nikolaus so sehr, daß er täglich die Hälfte seines Brotes ihm zu Ehren an die Armen verteilte. Auch rief er fortwährend im Gebet sein Erbarmen an. Da der heilige Bischof an diesem frommen Dienst Gefallen fand, erschien er ihm eines Tages auf dem Felde, in Gestalt und Kleidung eines ehrwürdigen Greises, und sagte: Lieber Knabe, führe die Herde heim. Er antwortete: Herr, es ist noch zu früh, täte ich es, so würde meine Herrin schelten. Darauf der Heilige: Tu, wie ich gesagt habe, denn heute vor Sonnenuntergang wirst du sterben. Der Knabe erschrak bei diesem Wort und fragte ihn: Herr, wer bist du? Er antwortete ihm: Ich bin der Bischof Nikolaus, zu dem du immer betest und mit dem du dein Frühstück zu teilen pflegst. Ich bin gekommen, um dich zu belohnen. Geh also nach deiner Herberge, nimm den Leib des Herrn und bereite dich, denn heute, wie gesagt, wirst du sterben. Darauf verschwand er. Als der Knabe mit den Schafen heimkam und seine Herrin fragte, warum er so früh komme, antwortete er: Ich mußte, denn vor der Nacht soll ich sterben. Darauf jene: Du faselst. Führe die Herde wieder auf die Weide, du wirst nicht sterben. Er aber legte sich gleich zu Bett und verlangte nach einem Priester. Dieser kam, und die Frau sagte zu ihm: Ich fürchte, dieser Knabe hat irgendeinen Spuk gesehen, fragt ihn sorglich, was er gesehen hat, was ihm fehlt und warum er so redet. Der Priester tat so, und der Knabe erzählte ihm das Gesicht. Er empfing aus seinen Händen das Abendmahl und starb zur vorhergesagten Stunde.«*

In diesem Sinne – Wir wünschen allen unseren Histo Journal Leserinnen und Lesern einen schönen Nikolaus!


*zitiert aus: Von den Geheimnissen und Wundern des Caesarius von Heisterbach. Ein Lesebuch von Helmut Herles. Bonn 1991.
Empfehlenswert: Der grosse Legenschatz. Hrsg. v. Barbara Glökler. Der Hörverlag