Anne Breckenridge – Engel der Themse

Kurz & Knapp: Anne Breckenridge »Engel der Themse«

Gelesen & Vorgestellt von Ilka Stitz


Inhalt
England, 1864: Im viktorianischen London werden immer wieder Kinder vermisst, die Kinder der Ärmsten. Der Schatten holt sie, sagen die Leute. Die Polizei unternimmt nichts.

Auch nicht, als der neugeborene Bruder von Gladys verschwindet.
Dann verschwindet der Sohn eines Lords und diesmal wird die Polizei aktiv. Das vorlaute Küchenmädchen Emma gerät in Verdacht und muss fliehen. In den Straßen von London trifft sie Gladys. Keine traut der anderen. Doch als auch der zweite Sohn des Lords vermisst wird und die Polizei alle Schuld bei Emma sucht, müssen sie sich zusammenraufen. Nur gemeinsam können sie den Schatten besiegen und das Kind retten. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt …

Buchinfo:
Dryas Verlag TB, 06. September 2016
272 Seiten, Dreiseitiger Farbschnitt in Blau
EUR 12,00
ISBN 9783940855664

Erschienen im Dryas Verlag. Leseprobe auf der Website des Verlages.
Weitere Informationen finden Sie auf der Website der Autorin.

Wenn der Nebel durch Londons Gassen kriecht …

Es ist das Jahr 1864 als eine Reihe von Kindesentführungen London in Unruhe versetzt. Doch nein, nicht alle in der Stadt sind in Angst versetzt, sind es doch nur die Armen, die den Verlust ihrer Kinder verschmerzen müssen. Es heißt, der „Schatten“ hole sie. Hilflosigkeit herrscht allenthalben, denn was kann man gegen einen Schatten schon ausrichten? Die Polizei schaut tatenlos zu, verschwundene Kinder von Säuferinnen und Huren sind offenbar die Mühe nicht wert.
Das muss auch die junge Gladys erfahren, deren neugeborener Bruder ebenfalls ein Opfer des „Schattens“ wird. Nur für eine Minute ließ das Mädchen ihn aus den Augen, während sie vor der Tür eines Lokals auf ihre Mutter wartete, eine Unaufmerksamkeit, die sie bitter bereut.

Doch dann verschwindet der Sohn eines Lords und es kommt Bewegung in die Ermittlungen. In dem Haus des besagten Lord Collingwood ist seit neustem die junge Emma als Küchenhilfe tätig. Eine gute Stellung bei einer angesehenen, noblen Familie, findet ihre Mutter und auch Emma gefällt nach anfänglichem Widerstand – eigentlich träumt sie von einer Stellung als Ladenhilfe – ihre Arbeit. Alles könnte gut laufen für Emma. Doch kaum ist der kleine Lord Collingwood verschwunden, fällt sogleich der Verdacht auf die neue Küchenhilfe. Nur der stattliche Constable Kelly ist von ihrer Unschuld überzeugt. Oder erschleicht er sich nur das Vertrauen der naiven Emma, um ihr ein Geständnis zu entlocken?
Alles weist auf das Mädchen als Täterin, und Emma muss selbst etwas unternehmen, um ihre Unschuld zu beweisen.

Die atmosphärisch dichte Erzählung der Geschichte fesselt den Leser von der ersten Seite an. Und das nicht nur, weil sie im nebeligen und daher zwangsläufig unheimlich und geheimnisvollen London des viktorianischen Zeitalters spielt. Die Handlung ist stimmig, ebenso das Ambiente, aber besonders die Figuren sind mit ihren Eigenarten und ihrer eigenwilligen, im rechten Maße anglizistisch gefärbten Sprache eine große Stärke des Romans.

Sie wachsen dem Leser, der Leserin schnell ans Herz. Allen voran die behütet aufgewachsene Emma, in der doch mehr steckt als zunächst vermutet, und Gladys, das Mädchen mit der rauen Schale, dem lockeren Mundwerk und dem zarten Kern. Als sie sich begegnen herrscht von Anfang an Abneigung und Misstrauen zwischen ihnen. Nur Gladys halbwüchsiger Bruder Tom findet Gefallen an Emma, vergisst über seine Zuneigung indes nicht, aus ihrem Dilemma eigene Vorteile für sich herauszuschlagen.

In diesem Roman steht kein historische Ereignis – bedeutend oder unbedeutend – im Mittelpunkt der Handlung. Es ist eine fiktive Geschichte, die Anne Breckenridge erzählt, die aber in einem historisch überzeugenden Ambiente angesiedelt ist, und dies so überzeugend, dass man die große Geschichte keine Zeile lang vermisst.

Auch wenn man von der Autorin bisher noch nichts gehört haben mag, braucht man sich über die routiniert erzählte Geschichte nicht zu wundern. Denn Anne Breckenridge kennt der Krimifreund wahrscheinlich eher als Christiane Dieckerhoff, die seit vielen Jahren Kriminalromane schreibt, und dies quer durch die Jahrhunderte.

Fazit

Aus jeder Seite weht der neblige Dunst der Themse, erhellt das matte Gaslicht die Finsternis der schmalen Gassen nur halbherzig. Im Ohr tönt die Stimme der Gosse oder das Näseln der Lords und Ladies und vermittelt dem Leser den Eindruck, mitten im London zu Zeiten Königin Viktorias zu stehen, und erfüllt ihn mit wohligem Schaudern.

Dazu verheißt die Geschichte Spannung und überraschende Wendungen und bietet, last but not least, sogar noch eine entzückende Liebesgeschichte.
Alles in allem very British! Und damit, – und darüber hinaus – eine spannende Lektüre und gelungene Unterhaltung.