Römisches Fieber

Histo Journal Buchbesprechung: Christian Schnalke »Römisches Fieber«

Gelesen & notiert von T. Schurkus

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Inhalt
1818. Franz Wercker, dessen Traum es immer war, Schriftsteller zu sein, flieht vor einer unseligen Familiengeschichte. Als ihn am Gardasee die Kräfte verlassen, will er seinem Leben ein Ende setzen. Die zufällige Begegnung mit dem jungen Dichter Cornelius Lohwaldt, der mit einem Stipendium des bayerischen Königs auf dem Weg nach Rom ist, ändert alles: Franz nimmt seine Identität an. In Rom taucht er ein in die Gemeinschaft deutscher Künstler – junger, begeisterter Enthusiasten, die fern der Heimat hart arbeiten und glücklich leben. Franz findet Freunde, erlebt amouröse Abenteuer – und verliebt sich in eine junge Malerin. Doch als sich Lohwaldts Schwester Isolde auf den Weg nach Rom macht, um ihren Bruder zu suchen, droht das mühsam errichtete Lügenkonstrukt einzustürzen. Als ein Mord geschieht, zieht sich die Schlinge um Franz zusammen …

Eine Leseprobe gibt es auf der Website des Piper Verlages. Ein Blog des Autors gibt es auf dieser Seite des Verlages.

Hardcover 22,00 €
eBook 18,99 €
400 Seiten
Schutzumschlag
EAN 978-3-492-05906-0

Mama Miracoli wird’s freuen

Ein braver aber benachteiligter junger Dichter nimmt die Identität eines anderen an und wird so Teil der Künstlerszene in Rom am Beginn des 19. Jahrhunderts. Der Identitätsdiebstahl war schon für Patricia Highsmith, Daphne de Maurier und viele andere eine dankbare Vorlage für Geschichten, in denen die Protagonisten dazu gezwungen waren, darüber nachzudenken, was die Identität eines Menschen ausmacht. Die Summe seiner biografischen Daten? Seine Leistungen? Der Blick der anderen? Und es gibt wohl kaum einen Menschen, der sich nicht schon einmal vorgestellt hat, über Nacht die Identität einer anderen Person anzunehmen, sein Lebenskonto noch einmal auf Null zustellen oder eben herauszufinden, ob das überhaupt möglich ist und wie man es wohl anfangen würde, wenn man diese Gelegenheit bekommt {oder sie sich nimmt}.

Von solchen Fragen an die menschliche Existenz findet sich nichts in »Römisches Fieber«, zum Glück, werden manche sagen, schade und verschenkt, denken andere. Ich gehöre zu letzteren. Es ist immer bedauerlich, wenn man Fragen an einen Roman hat, die dieser nicht beantwortet. Stattdessen folge ich also Franz, der die Identität des ertrunkenen Cornelius Lohwald angenommen hat, durch die Gassen Roms. Ich lerne mit ihm allerlei klangvolle Namen kennen {die meisten historisch verbürgt}, ich sitze unter Zypressen, zwischen Ruinen, im Mondschein usw. Das ist nicht nur stimmungsvoll gemacht, es übersetzt auch in Sprache, was die Maler der Romantik auf die Leinwand brachten, und aus diesen Malern besteht die Künstlerszene vor allem. Wer schon einmal eine Gemäldegalerie besucht hat, kann hier ohne weiteres Szenerien ergänzen: Schafhirten unter Olivenbäumen, Mönche in antiken Ruinen, Wolkentürme über der Engelsburg, Goethe unter blühenden Zitronenbäumen. Zweifellos also das richtige Buch für alle, die Rom so sehen wollen, wie es nie war. Und wenn dann in einem Hinterhof in lauer Nacht mit einer lauten italienischen Familie getafelt wird, glaubt man Mama Miracoli rufen zu hören und hat die leichte Befürchtung, die Grenze zum Kitsch wurde überschritten.
Das dreckige Rom sehen wir nie. Und auch die Künstler untereinander sind edel, hilfreich und gut. Es gibt weder Neid noch Missgunst {bis auf einen bösen Literaturkritiker, aber die sind ja immer Spielverderber}. »Künstlerfreunde« ist vermutlich eines der am häufigsten verwendeten Hauptworte: Sie feiern einander, sie empfehlen einander, sie loben einander. Hach, die gute alte Zeit.

Wer wollte da kulturgeschichtliches Salz in die Suppe streuen und daran erinnern, dass Schiller in seinen »Horen« Spott und Häme über Kollegen brachte, Herr Merck spöttische Briefe schrieb und Goethe sich manches Mal über Werke von Kollegen lustig machte, wohl wissend, dass sie das ruinierte? – Nichts davon in der deutschen Kolonie in Rom.

Franz, jetzt also Cornelius, will es diesen guten Menschen und vor allem der hübschen Malerin Clara recht machen. Allerdings ist es ein Menschheitsgesetz, dass Figuren, die es vor allem richtig machen wollen, ziemlich langweilig sind – und jeder Bösewicht stiehlt ihnen mühelos die Show. In »Römisches Fieber« ist es eine Bösewichtin, eher noch: Zwei Bösewichtinnen. Mit Isolde, der kränkelnden höheren Tochter und ihrer abgründigen Begleiterin Theresa hat Franz gleich zwei Gegenspielerinnen, die die römische Suppe ordentlich versalzen: Isolde ist die Schwester des ums Leben gekommenen Cornelius, und ein Brief, den Franz unter seinem Namen an sie schreibt, macht sie misstrauisch. Sie reist nach Rom und beginnt Franz zu erpressen: Sie spielt das Geschwisterpaar mit ihm, und er hat dafür zu sorgen, das sie der Mittelpunkt der deutsch-römischen Künstlerszene wird. Als dieses Lügenspiel einen weiteren Mord nach sich zieht, soll Franz alles angehängt werden.
Während Isolde geschickt ihre Intrigen spinnt, protestiert Franz und ist verzweifelt – und nicht sehr viel mehr. Er bleibt damit als Hauptfigur seltsam blass und wirkt vor allem an den dramatischen Höhepunkten so posenhaft wie einige romantische Gemälde. Die Sprache trägt dazu bei, dass manches aufgesetzt wirkt: Sie imitiert den Ausdruck der Epoche, wirkt dabei auf den heutigen Leser mitunter unfreiwillig komisch, gerade da, wo es um große Gefühle geht.
Wer sich aber für die Schauerromantik und ihre typischen Szenarien begeistert, kommt in diesem Buch ganz und gar auf seine Kosten: Da gibt es einen buckligen Handlanger, Verschleppungen in die Katakomben, nächtliche Leichenzüge, Ratten belebte Kerker. Das alles übersetzt Franz wiederum in einen Roman, der den Titel »Römisches Fieber« trägt und ihn {bzw. Cornelius} über Nacht zum gefeierten Dichter macht, sogar von Goethe empfohlen. Nur ein Literaturkritiker hat etwas zu meckern, aber die sind ja alle Spielverderber. Auf dem Höhepunkt seines Ruhms droht ihm jedoch die Hinrichtung; aber wir wissen ja alle, dass im Weltbild der Romantik die Bösen ihre Strafe bekommen und die Guten ihre Belohnung. Was damals durchaus subversiv war und sogar politisch – heute wirkt es leider ein bisschen von gestern.

Fazit

Fan-Fiktion für Kunsthistoriker, sie werden viele Namen und Szenen entdecken, deren Wiederbelebung einfallsreich gelingt. Die durchaus originelle Geschichte hätte auch eine gewitzte Kulturkritik an den Ideen und dem Personal der Romantik sein können, entscheidet sich aber für die konventionelle Umsetzung von Motiven. Da Rom aber immer eine {Lese}Reise wert ist, kann man sich auch gut mit diesem Buch an den Tiber schmökern.

Zum Autor

autorChristian Schnalke
© Maigut Fotografie / Piper Verlag

Christian Schnalke, geboren 1965, verbrachte die meiste Zeit seiner Jugend im Internat mit Zeichnen und studierte dann Literatur und Philosophie. Er schrieb zwei Romane gemeinsam mit Volker Kutscher und probierte mehrere Jahre lang erfolgreich die verschiedensten Formen des Schreibens für Bühne und Film aus, was ihn bis nach Moskau und New York führte, wo ein Theaterstück am Broadway aufgeführt wurde. Danach zog er sich mit seiner Frau nach Tokio zurück, um Anlauf für umfassendere Geschichten zu nehmen. Nach zwei Jahren kehrte er mit Kind und vielen Ideen zurück und schrieb Drehbücher für große Mehrteiler und preisgekrönte TV-Events: unter anderem Die Patirarchin, Krupp – eine deutsche Familie, Afrika, mon amour, Duell der Brüder – die Geschichte von Adidas und Puma und Katharina Luther. Er schreibt seit jeher am liebsten unterwegs – in Cafés, auf Reisen oder in freier Natur.