Die Verschwörung der Ketzer

Buchbesprechung: T.M. Schurkus »Die Verschwörung der Ketzer«

Gelesen & Notiert von Ilka Stitz


T.M. Schurkus
Die Verschwörung der Ketzer

Inhalt:
Wohin kannst du fliehen, wenn der Tod auf dich wartet?
Wenn Schatten sich verdichten … Ein Hotel in Rennes, 1806: Vizeadmiral Villeneuve verstirbt unter mysteriösen Umständen. Während die örtlichen Beamten von einem Selbstmord ausgehen und jegliche Untersuchung des Falls untersagen, erkennt der Pariser Gendarm Jean-Louis Picaud: Das war Mord! Gegen die Befehle der Obrigkeit beginnt er auf eigene Faust mit den Ermittlungen – und stößt dabei auf die letzte Person, die den Vizeadmiral lebend gesehen hat: die ebenso schöne wie geheimnisvolle Arousha. Warum erhielt sie von ihm ein überaus wertvolles Artefakt? Musste Villeneuve deshalb sterben? Als Arousha überfallen und die geheimnisvolle Tontafel gestohlen wird, ahnt Picaud: Der Gegner, mit dem er es diesmal aufnehmen muss, ist weitaus gefährlicher als angenommen …
Leseprobe auf der Website des Verlages.
Erschienen als E-Book.

Mysteriöser Todesfall eines gedemütigten Admirals

Es ist der zweite Fall des Jean-Louis Picaud, der seine Premiere mit »Der Dichter des Teufels« hatte. Diesmal hat es den Pariser in die Normandie, nach Rennes verschlagen, wo er auf einen Posten in der örtlichen Gendarmerie hofft. Doch alles kommt anders als gedacht. Ein mysteriöser Todesfall kommt ihm in die Quere: Kein geringerer als der Admiral Villeneuve ist tot. Von eigener Hand gerichtet, in den Tod getrieben durch die schmachvolle Niederlage gegen die englische Flotte, der berühmten Schlacht von Trafalgar. Selbstmord liegt auf der Hand, so will es scheinen. Doch nein, nichts ist so, wie es scheint. Zwar findet man den Toten in einem verschlossenen Raum in einem Hotel in Rennes, wohin sich der gedemütigte Admiral zurückzog, doch den hinzugerufenen Picaud erscheint dieser Fakt allein nicht maßgeblich zu sein, um auf einen Selbstmord zu schließen. Das Rätsel des verschlossenen Raumes ist für ihn marginal. Und er hat gewichtige Gründe, der offiziellen Meinung der örtlichen Polizei zu widersprechen. Was diese nicht erfreut. Zumal Picaud als Privatmann in Rennes ist, weil seine Beförderung zum Gendarm auf sich warten lässt. Nicht unbedingt zu Picauds Verdruss, muss man hinzufügen, denn Rennes ist schließlich nicht Paris, und einem Pariser ist alles Provinz, was sich außerhalb der Stadtgrenze befindet und ein jeder ein Barbar, der nicht aus dieser Metropole stammt.

Picaud, der Held von T.M. Schurkus, besticht durch seine Beredsamkeit, seine Schlagfertigkeit und sein – im Gegensatz zu seiner eher geringen Körpergröße – übergroßes Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen. Warum auch immer, auf das weibliche Geschlecht macht er umso größeren Eindruck, bei seiner langjährigen, ebenso schönen wie unberechenbaren Geliebten Amélie ebenso wie bei der weltfremden, aber hochgebildeten Koptin Arousha Al-Masati.
Zu guter Letzt erscheint auch noch die Gattin des verblichenen Admirals auf der Bildfläche. Von Villeneuves unfreiwilligen Hinscheiden durch Mörderhand überzeugt, findet sie in Picaud einen Verbündeten und bittet ihn, den Mord – und nichts anderes kommt auch für Picaud in Betracht – an ihrem Gemahl aufzuklären.
Die entscheidende Spur scheint ein Artefakt zu sein, das sich in Besitz des Admirals befand und nun verschwunden ist. Eine Scherbe aus dem alten Ägypten, diesem wundervollen Land, das seit dem Feldzug Napoleons und den darauf folgenden Berichten ganz Europa in Begeisterung versetzt.

Die Jagd führt bis ins französisch besetzte Köln

Madame Amélie de Marée, in deren Boudoir nur Auserwählte – also auch Picaud – Zutritt erlangen, weiß mehr, als sie preisgibt, davon ist der Gendarm in spe überzeugt. Und ist diese weltgewandte Dame, auf deren Soirees geladen zu sein eine Auszeichnung bedeutet, wirklich nur aus reiner Freundlichkeit an der jungen Koptin interessiert? Die jedenfalls ist die einzige, die die Inschrift auf der Tafel lesen kann. Zudem kennt sie das Geheimnis dieses schon in alter Zeit zerstörten Dokumentes. Jede der beiden Damen ist bei der Aufklärung des Falles an Picauds Seite, was sich nicht immer als hilfreich für ihn erweist.
Die Jagd geht von der Normandie zurück nach Paris, von den Polstern in Amélies Himmelbett weiter durch die mit Unrat verschmutzten Gassen der Stadt Paris in das französisch besetzte Köln. Man folgt ihm gern, dem selbsternannten Gendarm, denn die Frage, was es mit der Scherbe auf sich hat, will außer Picaud schließlich auch der Leser beantwortet sehen.

Zweifellos bietet der Roman denjenigen Lesern den größten Genuss bei der Lektüre, die ein wenig in der napoleonischen Geschichte zu Hause sind. Und wer sich überdies noch mit den Gepflogenheiten des gesellschaftlichen Lebens im Paris zum Anfang des 19. Jahrhunderts auskennt, für den entfaltet die Geschichte sicher noch zusätzlichen Charme. Aber auch ohne diese Kenntnisse vermittelt die Lektüre einen unterhaltsamen Eindruck in das Leben im Frankreich des frühen 19. Jahrhunderts.
Amüsant sind auch die Namen, die Schurkus für einige ihrer Protagonisten auswählte. Wenn zum Beispiel die Salonlöwin Amélie mit Nachnamen de Marées heißt – liegt der Gedanke an de Marais nahe, was »aus dem Sumpf« bedeutet …
Beiläufig bekommt der Leser noch einen Einblick in die Geschichte der Entschlüsselung der Hieroglyphen. Denn kein geringerer als Jean-François Champollion bekommt in T.M. Schurkus’ Roman eine entzückende Nebenrolle. Der Wunderknabe, der mit 14 in Paris studierte, mit 18 bereits acht alte Sprachen fließend beherrschte, bis es ihm tatsächlich gelang die ägyptischen Hieroglyphen zu entziffern, besticht durch seine Weltfremdheit. In Schurkus’ Roman ist von dem späteren Ruhm dieses Genies noch nichts zu spüren, Champollion ist nichts weiter als ein – wenn auch äußerst begabter – Student, der zufällig in der gleichen Unterkunft logiert wie Picaud. – Und Picaud wäre nicht Picaud, wenn er sich nicht auch die besondere Begabung dieses Hausgastes zunutze machte. Aber man verzeiht ihm gern die Tricks und Finten, derer er sich bedient, um seine Feinde ebenso wie den Leser aufs Glatteis zu führen.

Bibelfeste Leser

Die Personen des Romans wirken sehr authentisch und scheinen unmittelbar der napoleonischen Zeit entsprungen zu sein. Geistreiche, oft witzige Dialoge, die aber gelegentlich in ihrer Verspieltheit auch etwas über das Ziel hinausschießen, versetzen den Leser in den Salon der reichen Amélie, deren scharfe Zunge Picaud zu Wortduellen reizt. Wie auch Lord Emerald Bastings – die Wortspiele liegen auf der Hand – ein undurchsichtiger Fremder, noch dazu aus dem feindlichen England, der nicht nur deswegen bei Picaud Verdacht erregt. Immerhin weiß er die Zunge ebenso wie die Fäuste zu nutzen. Darum, vor allem aber wegen seiner Schlagfertigkeit wächst er Picaud mit der Zeit immer mehr ans Herz.

Was es allerdings mit der Ketzerei auf sich hat und wer nun alles an der besagten Verschwörung beteiligt war, blieb in meinen Augen ein wenig unscharf. Hilfreich war es mir, zu vergegenwärtigen, wann genau Gott die Welt erschuf …

Fazit

Eine äußerst kurzweilige Lektüre, die den Leser in eine bewegte Epoche entführt. Eine Epoche, in der dank Napoleon Frankreich und das deutsche Rheinland einen Teil ihres historischen Weges unter einer Fahne gehen.
Den größten Genuss entfaltet der Roman sicherlich bei den Liebhabern der napoleonischen Ära. Und bei den Freunden des Alten Ägyptens, dessen phantastischer Ruhm und schillernde Berühmtheit ohne Frankreich, ohne Napoleon kaum vorstellbar wäre. Und ganz nebenbei bekommt der Leser noch einen Einblick in die Geschichte der Entschlüsselung der Hieroglyphen.

Ein Wermutstropfen ist der seltsam luftige Satz dieses ebooks. Die jeweils durch Leerzeilen getrennten Absätze bzw. Dialogzeilen erschweren den Lesefluss und sorgen an manchen Stellen auch für Verwirrung, weil die Zuordnung des jeweils Sprechenden erst mühsam rekonstruiert werden muss. Das ist gleichermaßen schade wie überflüssig.