Die Venezianerin und der Baumeister

Buchbesprechung: Gudrun Lerchbaum – »Die Venezianerin und der Baumeister«

Gelesen & Notiert von Ilka Stitz

Es ist der Roman einer unerfüllten Liebe. Einer Liebe, deren tragische Folgen das Leben dreier Menschen bestimmt.


»Die Venezianerin und der Baumeister«
Gudrun Lerchbaum

Inhalt:
»Die Venezianerin und der Baumeister«
Die Architektur des Glücks

Venetien im 16. Jahrhundert: Die junge Mariangela verliebt sich in den aufstrebenden Steinmetz Andrea Palladio. Der erwidert ihre Gefühle jedoch nicht und heiratet ihre Ziehschwester Allegra – ein Vertrauensbruch, der Mariangela ins Unglück stürzt. Um sie zu retten, nimmt Palladio große Schuld auf sich. Dennoch gelingt ihm der Aufstieg zum gefeierten Architekten – gegen alle Widerstände.

Vom Aufstieg und Werden einer der größten Ikonen der italienischen Baukunst: Andrea Palladio.

Leseprobe

Vor allem ist es die Geschichte der Waise Mariangela, die Gudrun Lerchbaum erzählt, deren Lebensgeschichte jedoch unlösbar mit der des Baumeisters Andrea Palladio verknüpft ist. Mariangela ist zwar in Venedig geboren, lebt jedoch in Vicenza, der Wirkungsstätte Andrea della Gondolas aus Padua, der – obwohl als Sohn eines Müllers und Schiffers aus Padua aus einfachen Verhältnissen, als Andrea Palladio Architekturgeschichte schreiben wird.
Doch so weit ist es noch nicht, als die beiden Hauptfiguren – die Venezianerin und der Baumeister – aufeinandertreffen. Mariangela, gerade von Allegra, der Tochter des Tischlers Marcantonio, von der Seite ihrer toten Mutter gerissen, wird wie ein eigenes Kind in deren Haushalt aufgenommen. Als sich ihre Wege erstmals kreuzen, arbeitet Andrea della Gondola als Geselle bei Maestro Giovanni da Pedemuro.

Die Tischlertochter Allegra betrachtet die kleine Mariangela als Schwester, sie wird ihr Freundin und Vertraute. Alles ist in bester Ordnung, bis das Schicksal einmal mehr zuschlägt, und die Harmonie zerstört.
Der junge Baumeistergeselle Andrea ist für Mariangela ein Lichtblick in der trüben Zeit. Ihm gehört ihr Herz, seine Fähigkeiten bewundert sie. Nichts wünscht sie sich sehnlicher, als dass er ihre Gefühle erwidert. Doch Schriftsteller sind grausam, so auch Gudrun Lerchbaum. Denn natürlich ist das Leben von Romanhelden nie einfach. Andrea liebt nicht sie, sondern ausgerechnet ihre Ziehschwester Allegra, sie ist es, die er heiratet. Mariangela ist am Boden zerstört.
Zu allem Überfluss stößt die wohl gemeinte Lösung, die Andrea und Allegra als Ausweg aus Mariangelas Dilemma gefunden zu haben glauben, die Waise nur noch tiefer ins Unglück – und reißt Allegra und Andrea mit sich.

Dass trotz aller Tiefschläge Andrea Palladio zu dem Baumeister geworden ist, als den wir ihn heute kennen, ist nicht zuletzt dem Zusammenhalt seiner Familie zu verdanken, einem Familienverbund, wie er damals oft anzutreffen war. In Zeiten, in denen der Tod allgegenwärtig ist, weil eine Geburt fast einem Todesurteil gleichkam, Seuchen, Unfälle oder Raubmord ein kalkulierbares Risiko darstellten, waren Patchwork-Familien – wie solche Familienverbände ja heute heißen – auch damals schon gang und gäbe. Und wie heute waren es auch damals meist die Frauen, die alles zusammenhielten und die Karriere ihres Mannes ermöglichten. Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine kluge Frau, heißt es doch auch heute.
Im Falle Palladios stehen sogar zwei Frauen hinter ihm, denn Mariangela lebt weiterhin an der Seite Allegras mit im Haus. Sie schaffen die Grundlage, auf der Andrea, genannt Palladio, seine Kunst entfalten kann, seine Baukunst, hinter der bei ihm alles andere in den Hintergrund tritt. Immerhin flammt die Leidenschaft für seine Frau Allegra stark genug, dass aus ihrer Ehe fünf Kinder hervorgehen. Die Aufgabe der Frau ist es, den Nachwuchs zu erziehen und das Haus zu hüten, während der Mann auf Reisen ist, sich bildet und der Lust mit Kurtisanen frönt.
Die Geschichte, die Gudrun Lerchbaum erzählt, ist historisch durchaus glaubhaft, aber sie ist auch in einer sehr feinen Sprache erzählt, die oft erheitert und ebenso oft sehr anrührt.

Zu Anfang beispielsweise, als das Schicksal Mariangela die Mutter nahm, aber ein erster Hoffnungsstrahl am Horizont des Mädchens erscheint: »Ein Leben in Keuschheit. Schon sah sich Mariangela majestätisch zur Sonntagsmesse schreiten, gefolgt von einer Schar ihr verfallener Männer, denen sie, und das war das Beste, in keiner Weise entgegenkommen musste. Mit etwas Glück, dachte sie, konnte eine Frau so gleich reihenweise Männer zur Keuschheit verführen.« {S. 48} Ein hübscher Gedanke, den Mariangela jedoch schnell wieder verwirft. Denn ihr Herz steht ja längst für Andrea in Flammen.
Es ist das Alltagsleben, das Gudrun Lerchbaum sehr liebevoll schildert, die kleinen Details, die dem Leser das Leben der Renaissance vor Augen führen. Wie Gudrun Lerchbaum es in ihrem Nachwort schreibt, war es ihr ein Anliegen, »die Ikone Andrea Palladio zum Menschen zu machen.« Und diesem Anliegen wird Gudrun Lerchbaum mehr als gerecht. Das gelingt ihr mithilfe Mariangelas, dem ebenso naiven wie geistreichen Mädchen, das schonungslos die Schwächen dieses Mannes aufdeckt, andererseits die Brillanz des Architekten erst so richtig zum strahlen bringt. Wer jedoch einen Roman über die Architektur Palladios erwartet, der wird enttäuscht werden. Gerade, weil Gudrun Lerchbaum eine Kollegin Palladios ist, könnte man in dieser Hinsicht mehr Einblicke erwarten. Vielleicht entspringt dieser Gedanke aber auch nur meiner persönlichen Neigung zur Renaissance-Architektur. Umso höher ist es wahrscheinlich der Autorin anzurechnen, dass sie den Roman nicht mit architektonischem Fachjargon überfrachtet hat. Aber ich freue mich dafür umso mehr, dass die Autorin uns einen sehr lesenswerten Artikel über Palladio und seine Bauten ergänzend zur Verfügung gestellt hat. {Online am 19. Februar}

Der Genuss am Roman ist auch ohne architektonischen Hintergrund gesichert, dafür sorgen allein die prallen Schilderungen des Alltags, im Haus und auf der Baustelle, und die Intrigen und Verflechtungen der Nobilität. Gudrun Lerchbaum bietet einen exzellenten Einblick in das Alltagsleben eines Renaissance-Haushaltes. Gespickt mit überraschenden, teilweise sehr modern anmutenden Details aus der weiblichen Gedankenwelt. Tatsächlich beginnt die Emanzipation bereits im Jahre 1588, in dem Moderata Fonte über »Das Verdienst der Frauen – Warum Frauen würdiger und vollkommener sind als Männer« schrieb und Christine de Pisan {wirkte Ende des 14. und Anfang des 15. Jahrhunderts} von einer »Stadt der Frauen« träumte. Damals für die Männer ein furchterregender Gedanke, der sie natürlich auf den Plan ruft, dagegen einzuschreiten.

Fazit:

Gudrun Lerchbaum ist mit ihrem Debut ein ausgezeichnet recherchierter, in feiner Sprache erzählter, farbenprächtiger Roman gelungen, der dem Leser authentische Einblicke in das Privatleben einer aufstrebenden Familie ermöglicht. Die Autorin schildert glaubhaft die Karriere Andrea Palladios zu einem Baumeister, der in den höchsten Kreisen Anerkennung fand, obwohl er nur aus einfachen Verhältnissen stammte. Dies gelang ihm durch Diplomatie und Schmeicheleien, wobei sicherlich auch sein freundlicher Charakter und eine angenehme Erscheinung hilfreich war. Vor allem aber gewann er aufgrund seiner großen Begabung die Unterstützer aus der Nobilität, die seine Fähigkeiten erkannten und förderten.
Ihm konnte der Aufstieg gelingen, weil ein neuer Geist Einzug gehalten hatte in dieser Zeit. Das Vorbild der wiedergeborenen Antike hatte die Freiheit des Denkens, die Wertschätzung von Wissenschaft und Kunst wiederbelebt. Und so bot die neue Zeit die Voraussetzung für zuvor Undenkbares: dass Standesschranken durchlässig wurden, dass Nobilität und Handwerker sich im Geiste der antiken Denker fanden, und gegenseitig zu befruchten und zu erhöhen vermochten.

Gudrun Lerchbaum
© Stephan Frisch

Die Autorin

Gudrun Lerchbaum, geboren 1965, wuchs in Wien, Paris und Düsseldorf auf und studierte Philosophie und Architektur. Sie lebt mit ihrer Patchwork-Familie in Wien und schreibt seit 2006. »Die Venezianerin und der Baumeister« ist ihr Debütroman.

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Gastbeitrag von Gudrun Lerchbaum