Die Mantel und Degen Version

Buchbesprechung: Péter Esterházy »Die Mantel und Degen Version. Einfache Geschichte Komma hundert Seiten.«

Gelesen & Notiert von T.M. Schurkus

Ein Abend mit Péter Esterházy und seinem neuen Roman »Die Mantel und Degen Version« im Kölner Literaturhaus.

Ungarn unchained


»Die Mantel und Degen Version. Einfache Geschichte Komma hundert Seiten.«

Geheimagenten und Doppelspione, Kabale, Liebe und Verrat im 17. Jahrhundert – Péter Esterházys fulminanter neuer Roman
Was geschieht, wenn Péter Esterházy sich vornimmt, eine einfache Geschichte zu erzählen? Er schreibt einen historischen Roman: Kutschen rauschen, von Spionen verfolgt, durch ein Mitteleuropa avant la lettre – wir befinden uns in den Jahren der Rückeroberung Budas zur Zeit der Türkenherrschaft –, kein noch so geheimes Treffen bleibt unbespitzelt. Denn sowohl Pál Nyáry, der über die Geschicke von Ungarn verhandeln soll, als auch sein Vertrauter, Hauptmannn Mihály Bárány, haben ihre Herzen leichtsinnigerweise der Liebe geöffnet … Natürlich pfeift Esterházy auf das historische Genre und hält sich an die Gegenwart, natürlich nutzt er jede sich bietende Gelegenheit für Abschweifungen voll wunderbarer Einfälle.

Leseprobe auf der Hanser Literaturverlage Website.

Ich gebe zu, ich habe Tristam Shandy nie ganz gelesen, dieses Buch mit den Fußnoten und Abschnitten die aus **** bestehen und Kapiteln, die nur drei Sätze haben oder die der Buchhändler/ Verleger gleich ganz verschlampt hat. Ich habe nur hinein gelesen, um mitreden zu können {was ich dann – bis auf diese Gelegenheit – nie getan habe}. Aber Literaturwissenschaftler haben dieses Buch immer geliebt, weil man die Postmoderne dann auf 1770 vordatieren darf {so what?}.
Meine Kenntnisse über Ungarn beschränken sich außerdem auf Sissi-Filme und auf Gulasch. Zum Glück kommt Gulasch auch in diesem Roman von Peter Esterházy vor, zum Glück, weil man dann mal etwas wiedererkennen darf. Ansonsten ist das nämlich schwierig. Pál Nyáry könnte man – da er mehrfach auftaucht – als Hauptfigur der Geschichte bezeichnen – ein {erfundener} Spion, der inmitten der Türkenkriege Ende des 17. Jahrhunderts durch sehr lange Fußnoten geistert, die den Text {bloß nicht!} ergänzen, auf John Lennon, Thomas Mann {mehrfach} und Saul Bellow verweisen {alles zwangsläufig Nachfahren des 17. Jahrhunderts}, über englische Butler-Romane philosophieren oder über James Bond Filme. Darüber hinaus bieten sie Autor {Erzähler????} und Übersetzerin {Heike Flemming} die Gelegenheit, ihre Zweifel am Text {und aneinander} auszudrücken.
Am 25. März nun war Peter Esterházy mit diesem Buch im Kölner Literaturhaus zu Gast und Michael Kothes vom WDR-Radio stellte ihm die – im Literaturbetrieb leider viel zu selten gestellte oder vom Aussterben bedrohte – Frage: Warum?

Peter Esterházy erklärt, dass er immer schon einmal einen Mantel-und-Degen-Roman hatte schreiben wollen, so in der Art der Drei Musketiere, jedoch: »Ich würde gerne normale Bücher schreiben, aber es gelingt mir nicht, und dieses Gelingt-mir-nicht ist dann das Buch.«
Daher der Untertitel: Einfache Geschichte Komma hundert Seiten. {n.b: das Buch hat 238 Druckseiten, der Verlag zählt anders als der Autor, der nach eigener Auskunft »zu Fuß« schreibt, also auch andere Seitenumfänge erzeugt, man bekommt mit diesem Buch – vor allem in den Fußnoten – also auch ein Making of geliefert}.

Weshalb?
Weil, so erklärt Esterházy, ein Buch seine eigene Wahrheit erzeugt.

{eine interessante Frage an das historische Genre: Was war zuerst da? Die Historie oder das Schreiben darüber? Gäbe es eine Geschichte, wenn niemand über sie berichten würde? Aber wann ist ein Berichterstatter zuverlässig? Was ist überhaupt zuverlässig?}

»Natürlich hängt manchmal das Schicksal des Vaterlandes von einem Wort ab«, heißt es in dem Roman {im vorliegenden Fall geht es um ein kleines Wörtchen mit "f"}. Esterházy erläutert, dass die europäische Geschichte den meisten Wörtern eine Menge aufgebürdet hat, daher sei die Fußnote eine zutiefst europäische Angewohnheit {Laster? – mir fehlen entsprechende interkulturelle Kenntnisse für einen Vergleich}. Dieses Buch ist mit dem Blick des 21. Jahrhunderts geschrieben, auch wenn darin Schweigekutschen fahren und auf Burgmauern herum gestanden wird. Außerdem baut Michelangelo Brücken für den Sultan. Sehr historisch {denn beide leben nicht mehr}, nur natürlich nicht wahr. Man lernt also aus diesem Buch, dass Historie und Wahrheit{sanspruch} nicht das Selbe sind.

Wozu?

Um sich zu amüsieren. Oder zu diskutieren {kann dasselbe sein, muss es aber nicht}. Ist dieses Buch nun postmodern? historisch? ernst gemeint? eine Satire? Medienkritik? ungarisch?

Meine Erwartungen waren romantisch: Peter Esterházy, dessen Namen {und Abkunft} an sich ja schon ein historischer Roman sind, dessen Vorfahren mir in manchen k-und-k-Tableau begegnet sind, der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels schreibt also einen Mantel- und-Degen-Roman. Und dann habe ich nach zehn Seiten gedacht: Dieses Buch lese ich nicht weiter! Und das habe ich bis zur letzten Seite gedacht {und davon gibt es dank der unterschiedlichen Seitenzählung zwei; mein liebster letzter Satz lautet: »Katze, hörst du mich?« – was sehr geschickt ist, denn wir wissen alle: Katzen gehen immer gut!}
Der Leser in mir blieb ratlos {ein sehr inspirierender Zustand}, der Autor fühlte sich befreit und hat sich gefreut.

Péter Esterházy wurde 1950 in Budapest geboren, wo er auch heute lebt. Für Harmonia Cælestis (dt. 2001) erhielt er u. a. den Ungarischen Literaturpreis, 2004 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.