Revolution Jungsteinzeit

Es ging nicht immer ohne Gewalt

Histo Journal Ausstellungsbesprechung {inkl. Katalogbesprechung}: »Revolution Jungsteinzeit« – eine Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum in Bonn

von Ilka Stitz


2,5 Millionen Jahre lebte der Mensch als Jäger und Sammler. Abhängig von den Jahreszeiten und den Wanderungen seiner Jagdbeute bewegte er sich durch verschiedene Landschaften und passte sich unterschiedlichsten Klimabedingungen an. Vor 12.000 Jahren, mit dem Ende der letzten Eiszeit, vollzog sich ein fundamentaler Wandel: Der Mensch wurde sesshaft, errichtete Siedlungen mit festen Gebäuden, begann Getreide anzubauen und Vieh zu züchten. Diese jungsteinzeitliche Revolution steht am Anfang der modernen Zivilisation nicht nur in Europa und ist zugleich Ausgangspunkt für viele Errungenschaften, aber auch Probleme unserer Gegenwart. Der Begleitband zur Ausstellung stellt eine der faszinierendsten Epochen der Menschheitsgeschichte vor. Er zeichnet erstmals für eine der besterforschten Regionen des Neolithikums in Europa ein umfassendes und lebendiges Bild von der Jungsteinzeit – mit überraschenden Bezügen zu unserer Welt heute.

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{Klappentext des Buches}

Steinzeit läuft

Steinzeit läuft, so scheint es. Somit war es eine ausgezeichnete Idee, das Thema »Jungsteinzeit« aus der regelmäßig wiederkehrenden Archäologischen Landesausstellung Nordrhein-Westfalen {Die Leistungsschau der nordrhein-westfälischen Archäologie} auszukoppeln, zumal verknüpft mit dem rebellisch anmutenden Zusatz »Revolution«.

Auerochsenschädel
Mönchengladbach-Geneicken
um 9400 v. Chr.
Foto: Jürgen Vogel
LVR-LandesMuseum Bonn

Gerade zur Zeit erfährt die Jungsteinzeit endlich die Aufmerksamkeit, die sie verdient. Und es gibt viel geradezurücken, was unsere steinzeitliche Vorstellung betrifft. Zunächst der Begriff: Er ist natürlich ebenso vereinfachend, wie es die Bezeichnungen Antike oder Mittelalter sind. Für ein Zeitalter, das mehrere tausend Jahre umfasst, ist der Begriff, auch wenn man ihn in die Abschnitte Alt- {Paläo-}, Mittel- {Meso-} und Neusteinzeit {Neolithikum} unterteilt, erst recht unzutreffend. Allein der Werkstoff Stein scheint allen drei gemein. Davon abgesehen sind schon die letzten beiden, Mesolithikum und Neolithikum, so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Und »Stein« als namengebend zu wählen, ist ebenso willkürlich, wie das Mittelalter in irgendeiner »Mitte« anzusiedeln. Die Steinzeit könnte ebenso gut Holzzeit heißen, oder mit gleicher Befugnis Knochenzeit. Doch die organischen Materialien sind vergangen, übrig geblieben ist der Stein, und da ist von winzigen Feuersteinsplittern bis hin zum Monolithen alles vertreten. Die Funde reichen von Stonehenge in England bis hin zu der Urmutter oder besser, dem Urvater, aller Steinkreise auf dem Göbekli Tepe in der Süd-Ost-Türkei, dem ersten architektonischen Monumentalbau der Welt, entstanden vor rund 12.000 Jahren. Und die dort gefundenen Stelen, fein bearbeitet und mit aufwendigen Tierreliefs verziert, stellen die rund 7000 Jahre jüngeren Monolithen von der britischen Insel weit in den Schatten. Und sie treiben allen matriarchatsgläubigen Tränen in die Augen, denn die Stelen selbst wie auch die darauf dargestellten Tiere zeigen aller Wahrscheinlichkeit nach ausschließlich männliche Spezies.

Vom Eiszeitjäger zum Bauern und Viehzüchter

Dreschschlitten {Detail}
Spanien, 19./20. Jh.
Foto: Jürgen Vogel
LVR-LandesMuseum Bonn

Die Bonner Ausstellung nun beschränkt sich auf die revolutionären Aspekte der Jungsteinzeit. Dennoch, oder gerade deswegen, gibt sie einen guten Überblick über das Herausragende dieser Epoche. Das wichtigste Kapitel der Menschheitsgeschichte wird hier geschrieben: Der Mensch entdeckt den Ackerbau, die Viehzucht, er wird sesshaft. Welche Revolution dies bedeutet, welche Entwicklungen, gesellschaftliche Umwälzungen damit einhergehen und welche Folgen sich daraus ergeben, zeigt die Ausstellung auf vielfältige Weise. Denn Ackerbau und Viehzucht, diese auf den ersten Blick so ortsfeste Sesshaftigkeit, bedeutet keinen Stillstand. Nein, in Wirklichkeit beginnt jetzt – noch intensiver als zu den Zeiten der wandernden Jäger – ein Prozess der Migration, damit einhergehend der des Wissens- und Techniktransfers. Fortschritt ist also im eigentlichen Sinne des Wortes zu verstehen, und als Ergebnis einer Revolution zu werten, deren Bedeutung die Wissenschaft gemeinhin mit der der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts gleichsetzt.

Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Zig Jahrhunderte der Kälte liegen hinter uns, endlich wird es wärmer, die Gletscher weichen zurück. Das »Holozän« beginnt, das Zeitalter, in dem wir immer noch leben. Das Klima ist ja ein maßgeblicher Faktor jeglicher zivilisatorischer Entwicklung. Es macht den Schritt vom Eiszeitjäger – dem kürzlich ebenfalls eine Ausstellung in Bonn gewidmet war – zum Bauern und Viehzüchter zunächst einmal theoretisch möglich. Dem Menschen bleibt es überlassen, diese theoretische Möglichkeit in die Tat umzusetzen.

Revolutionen bedeuten Wandlung innerhalb einer Gesellschaft. Dem einen gereicht dieser Veränderungsprozess zum Vorteil, dem anderen nicht. Blicken wir zunächst dorthin, wo alles seinen Anfang nahm, in die Region des sogenannten »fruchtbaren Halbmonds«. Diese sichelförmige Region, die sich von der südlichen Levante, über Israel, Syrien, die südliche Türkei und Mesopotamien bis zum Irak erstreckt. In dieser Gegend wuchsen all jene Tiere und vor allem Pflanzen, die die Grundlage der Produkte bildeten, die wir bis heute auf unseren Tellern finden. Fleisch, Gemüse, Getreide.

Feuersteine
Veltmannplatz, Aachen, 3500–3000 v. Chr.
Foto: Jürgen Vogel
LVR-LandesMuseum Bonn

Drei »revolutionäre« steinzeitliche Errungenschaften sind es letztlich, auf denen die ganze künftige Entwicklung beruht: Ackerbau, Viehzucht und Lagerhaltung. Es hört sich simpel an, und doch wird damit ein konsequentes Umdenken der Lebensweise nötig. Während man in Europa dem Wild nachspürte, Fische fing und Beeren sammelte, also von der Hand in den Mund lebte, begann man im Zweistromland bereits damit, aus dem heimischen Wildgetreide das Einkorn zu züchten, man erfand die Vorratswirtschaft, baute Lebensmittelspeicher. Das Ergebnis war eine gewisse Planbarkeit und Sicherheit für schlechte Zeiten. Vielleicht war dieser Vorteil der Auslöser – die Menschen hatten ausreichend Nahrung und vermehrten sich, doch die Ackerflächen waren begrenzt – jedenfalls begannen eben diese Menschen sich auszubreiten, und machen sich auch auf den Weg in den Westen. Was auch immer letztlich der Grund war, die Menschen erobern von Generation zu Generation neue Gebiete, schaffen sich neue Siedlungsräume, und tragen ihre Neuerungen weiter. Wohlgemerkt, aus heutiger Sicht sind diese Neuerungen gleichbedeutend mit Verbesserungen. Damals wird die Meinung dazu geteilt gewesen sein … Denn Sprüche wie: Früher war alles besser … oder die Rede von den guten alten Zeiten dürften auch den Menschen damals sinngemäß vertraut gewesen sein. Daher hießen nicht alle Mitteleuropäer die Neuankömmlinge herzlich willkommen.

Denn es kommt wie es kommen muss: Irgendwann treffen die innovativen Menschen aus dem Osten – die Neolithiker – auf die bei uns heimischen Jäger und Sammler, die mitteleuropäischen Mesolithiker. Angesichts der Flüchtlingsströme, die momentan Europa erreichen, können wir uns heutzutage leicht vorstellen, was diese Migration für die heimische Bevölkerung Mitteleuropas bedeutet hat. Auch wenn sich damals der Prozess sehr viel langsamer vollzog und die Zahl der Ankömmlinge überschaubar war, bleibt doch der Umstand, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft, Heimische und Fremde, sich denselben – damals noch beschränkten – Lebensraum teilen mussten.

Geschichte, die sich wiederholt

Umso aktueller ist diese Ausstellung, die durchaus auch unter dem Gesichtspunkt Migration zu betrachten ist. Und es ist erstaunlich, wie sich die Geschichte immer zu wiederholen scheint. Wieder kommen die Menschen aus eben jener Region: Syrien und Irak. Und schon damals wanderten die Menschen auf einer Landroute über die Türkei und den Balkan oder auf dem Seeweg über das Mittelmeer bis Spanien nach Europa ein. Damals hatten sie das Wissen um Viehzucht und Getreideanbau im Gepäck – wie gesagt, nicht jedem leuchtete der Nutzen dieser Erfindung unmittelbar ein, wenn zunächst die eigene Lebensgrundlage bedroht ist. Und diese Fremden dringen nun wie es scheint von allen Seiten in die Welt der Jäger und Sammler ein. Die waren vermutlich nicht begeistert über die Neuankömmlinge, noch dazu mit einer völlig anderen Lebensweise als man selbst. Doch gerade dieses andere Lebensmodell erwies sich als als ein gewisser Schutz, denn aufgrund der unterschiedlichen Ansprüche kam man sich vorerst nicht in die Quere. Zumal die Einheimischen das neue Modell ihrem eigenen nicht als überlegen ansahen. Tatsächlich beweisen DNA-Untersuchungen, dass beide Lebensmodelle längere Zeit parallel existierten, das heißt, dass die mitteleuropäischen Mesolithiker sich nicht mit den vorderasiatischen Neolithikern vermischten.

Langhaus vor dem Mueseum
Foto: Jürgen Vogel
LVR-LandesMuseum Bonn

Das Bild der Gegensätze – alt und neu, damals und jetzt – zieht sich durch die gesamte Ausstellung. Wie arbeitete man damals – vor rund 10.000 Jahren, wie heute? Wie unterscheidet sich ein Ur-Rind von einem gezüchteten, wie die Lebensweise der Bauern und Viehzüchter von denen der Jäger und Sammler? Ja, wie unterscheiden sich die Menschen selbst voneinander?

Gleich zu Anfang der Ausstellung kann man sich bereits ein lebensgroßes Bild davon machen, was Domestikation bedeutet. Zur linken kann man das Skelett einer Auerochsenkuh bestaunen, Opfer einer Jagdgesellschaft, wie die Pfeilspitzen bezeugen, die man quasi noch an Ort und Stelle fand. In der Vitrine gegenüber nimmt sich der Schädel eines Hausrindes geradezu bescheiden aus. Domestiziertes Vieh ist stets kleiner als die Ursprungsform. Allerdings muss man in diesem Fall bedenken, dass unser Hausrind nicht vom Auerochsen abstammt, sondern ein Import aus eben dem fruchtbaren Halbmond ist – und, das sei hier noch am Rande erwähnt, ausschließlich über den Landweg zu uns einwanderte.

Die Wiege der Zivilisation

Daneben wird die Wiege der Zivilisation gewürdigt, die im Original am Göbekli Tepe in der Nähe der Stadt Şanlıurfa in der Südost-Türkei gefunden wurde. Nachempfunden wird der sogenannte »Erste Tempel der Welt« durch einen Kreis stilisierter Kopfpfeiler, eben jene bearbeiteten Pfeiler, die die rund 5000 Jahre jüngeren Stonehenge-Steine verblassen lassen. Etwa 15 Kilometer von dieser Stelle entfernt, hat man die Geburtsstätte des Getreides, und damit des Ackerbaus geortet, und eben dies soll in der Ausstellung das kleine Getreidefeld im Zentrum des Stelenkreises vor Augen führen.

Viel gibt es zu sehen, auszuprobieren und an Erkenntnissen zu gewinnen in dieser Ausstellung: Geräte, wie Äxte und Beile, Messerklingen und dergleichen, die bis heute nahezu unverändert im Gebrauch sind. Es bieten sich Einblicke in die Kunst des Bäumefällens, des Brunnenbaus, oder in den damit verwandten Bergbau, oder aber in Religion und Kunst durch geschnitzte Figuren von Menschen und Tieren. Nicht zuletzt vollzieht sich jetzt auch ein weiterer entscheidender Schritt: die Erfindung der Keramik in der letzten Phase des Neolithikums, und damit einhergehend die Mode der Linearbandkeramik. Deren Muster von in Streifen angeordneter Punkte, die an die Verzierungen der australischen Aborigines erinnern und ebenso wie diese nicht allein dekorativen Charakter zu haben scheinen.

Brunnen von Kückhoven, Eichenholz
Erkelenz-Kückhoven, 5.090 v. Chr., Foto: S. Taubmann
LVR-LandesMuseum Bonn

Es sind nicht zuletzt die Details, die diese Ausstellung so sehenswert und erlebbar werden lassen. Der Nachbau eines neolithischen Hauses beispielsweise, der den Besucher bereits vor dem Museum empfängt. Oder das naturalistische Lebensbild zu Beginn der Ausstellung, das detailgetreu eine steinzeitliche Siedlung zeigt, so, wie die Archäologen sie rekonstruiert haben. Auf diese Weise wird der Besucher perfekt in die Zeit eingestimmt und hat schon vor Betreten der eigentlichen Ausstellung ein Bild vor Augen, das im weiteren Fortgang immer erweitert und bereichert wird.

Fazit

Ein Besuch lohnt unbedingt! Die Ausstellung ist ausgezeichnet gemacht, anschaulich und auch für Steinzeitlaien – oder gerade für diese! – eine Bereicherung. Für Kinder wie für Erwachsene bieten sich erstaunliche Einblicke in eine Zeit, von der man sich oftmals keine oder oft falsche Vorstellungen gemacht hat. Und wer nach dem Besuch der Ausstellung so richtig auf den Geschmack gekommen ist, dem möchte ich unbedingt den Katalog ans Herz legen! Er bietet einen umfänglichen Überblick des aktuellen Forschungsstandes, noch dazu – und das verdient besondere Erwähnung – unterhaltsam und verständlich. Die behandelten Themen vertiefen alle Bereiche der Ausstellung und reichen weit darüber hinaus. Von der Entstehung der Jungsteinzeit in Vorderasien bis zu steinzeitlichen Funden in Nordrhein-Westfalen. Sie beleuchten natürlich allgemeine Themen wie die Domestikation, aber auch so spezielles wie Körperbemalungen, Frisuren, Essgewohnheiten oder wissenschaftliches wie die Herstellung und Einordnung von Steinartefakten. Allein die Bilder machen bereits das Durchblättern schon zur schieren Freude.
Dieser Katalog bleibt wahrscheinlich für die nächsten zwanzig Jahre das umfänglichste, aktuellste und beste Handbuch zum Neolithikum, und allein deswegen ist er schon zu empfehlen.

Archäologische Landesausstellung NRW bis 03.04.2016


Offizieller Begleitband zur Archäologischen Landesausstellung in Bonn {5. September 2015 – 3. April 2016}
Detmold {2. Juli 2016 – 26. Februar 2017} und
Herne {3. Juni – 22. Oktober 2017}.
Hrsg. von Thomas Otten, Jürgen Kunow, Michael M. Rind, Marcus Trier im Auftrag des Ministeriums für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen

Theiss Verlag – WBG 2015. 452 S. mit über 250 farb. Abb., Karten und Umzeichnungen

Adresse
Colmantstr. 14-16, 53115 Bonn
Öffnungszeiten:
Di – Fr & So. 11 -18 Uhr
Sa 13 -18 Uhr
{Montags geschlossen}

Website des Museums

Weitere Informationen zum Katalog finden Sie auf der Website des Theiss Verlages.