O Tannenbaum, o Tannenbaum!

O Tannenbaum, o Tannenbaum!

Egal wie man ihn anspricht, ob Tannen-, Christ- oder Weihnachtsbaum, kaum eine andere Tradition ist zur Weihnachtszeit so populär wie das Aufstellen und Schmücken dieses immergrünen Baumes. Doch ist dieser Brauch tatsächlich so ur-christlich, wie es scheint? Nun.

von Ilka Stitz

Die Zuneigung der meisten Histo Journal-Redakteurinnen für die Antike sollte mittlerweile jedem Leser aufgefallen sein. Und so dürfte es nicht wundern, dass wir auch für den Weihnachtsbaum ein antikes Vorbild gesucht, und sehr schnell gefunden haben: Natürlich waren es die Römer, die die Tradition begründeten, indem sie ihre Haustüren zum Jahreswechsel mit Lorbeerzweigen bekränzten. Und nicht nur das, sogar der Kult, einen Baum zu schmücken, taucht bereits in der Antike auf: Mit ihm ehrte man zur Wintersonnenwende dem Sonnengott Mithras. Dessen Kult leistete überhaupt einen immensen Beitrag zur Bereicherung des Christentums, so hat Mithras zum Beispiel am gleichen Tag Geburtstag wie Jesus, nämlich am 25. Dezember. – Aber das ist eine andere Geschichte.

Kommen wir in nördliche Gefilde. Der Weihnachtsbaum ist ja meist ein immergrüner Nadelbaum, und Fichten und Tannen nun gehören eher in die germanische Region. Hier wurden im Winter schon früh Tannenzweige ins Haus gehängt, um bösen Geistern das Eindringen zu erschweren, während das Grün Hoffnung auf die Wiederkehr des Frühlings machte. Bäume sind ja überhaupt sehr symbolträchtig und bei verschiedenen Feierlichkeiten unverzichtbar. Schon im Mittelalter bestand vielerorts der Brauch, zu bestimmten Anlässen Bäume aufzustellen und zu schmücken, wie zum Beispiel den Maibaum oder den Richtbaum.

Da man im Mittelalter zu Weihnachten in der Kirche die sogenannten Paradiesspiele aufführte – der 24. Dezember war ursprünglich der Gedenktag an Adam und Eva – liegt es nahe, einen Baum aufzustellen, der mit Äpfeln behängt wurde. Der Apfel, die verbotenen Frucht vom Baum der Erkenntnis, erinnerte an den Sündenfall. Darum schmückte man in Norddeutschland noch bis ins 19. Jahrhundert seinen Christbaum mit Figuren von Adam, Eva und Schlange aus Holz oder Gebäck.

Die erste urkundliche Erwähnung eines Christbaumes soll aus dem Jahre 1419 stammen, die Freiburger Bäckerschaft habe einen Baum mit allerlei Naschwerk, Früchten und Nüssen behängt, den die Kinder an Neujahr plündern durften. Doch ist das wohl widerlegt. Erst hundert Jahr später, 1521, gibt es in einem Rechnungsbuch der Humanistischen Bibliothek in Schlettstadt einen Hinweis, der sich auf die Weihnachtsbaumtradition beziehen könnte: »Item IIII schillinge dem foerster die meyen an sanct Thomas tag zu hieten.« {Ebenso vier Schillinge dem Förster, damit er ab dem St.-Thomastag, dem 21. Dezember, die Bäume bewacht.}
Die älteste sichere Erwähnung eines Weihnachtsbaums wird ins Jahr 1527 datiert, in einer Akte der Mainzer Herrscher ist von »die weiennacht baum« die Rede. Der nächste urkundliche Beleg datiert von 1539, demnach wurde im Straßburger Münster ein Weihnachtsbaum aufgestellt. Die Zünfte und Vereine waren es schließlich, die ein immergrünes Bäumchen in die Zunfthäuser stellten. Auch die ersten Aufzeichnungen über den Christbaum als einen allgemein üblichen Brauch stammen aus dem Elsass {1605}: »Auff Weihnachten richtet man Dannenbäume zu Straßburg in den Stuben auf. Daran henket man Roßen auß vielfarbigem Papier geschnitten, Aepfel, Oblaten, Zischgold [dünne, geformte Flitterplättchen aus Metall] und Zucker«.
Im 17. Jahrhundert geht dem Baum dann endlich ein Licht auf: 1611 schmückte Herzogin Dorothea Sibylle von Schlesien den Weihnachtsbaum erstmals mit Kerzen.
Dass der Baum nicht nur mit Freude betrachtet wurde, zeigt eine zwischen 1642 und 1646 verfasste Schrift des Predigers am Münster, Johann Conrad Dannhauer: »Unter anderen Lappalien, damit man die alte Weihnachtszeit oft mehr als mit Gottes Wort begehet, ist auch der Weihnachts- oder Tannenbaum, den man zu Hause aufrichtet, denselben mit Puppen und Zucker behängt, und ihn hernach abschüttelt und abblühen {abräumen} lässt. Wo die Gewohnheit herkommt, weiß ich nicht; ist ein Kinderspiel«.

Ab dem 18. Jahrhundert betritt der Weihnachtsbaum dann auch die literarische Bühne. Erstmals erwähnt ihn Johann Wolfgang von Goethe in dem Briefroman Die Leiden des jungen Werthers {1774}. Am Sonntag vor Weihnachten besucht der Protagonist die von ihm verehrte Lotte und spricht von den Zeiten, da einen die unerwartete Öffnung der Türe und die Erscheinung eines »aufgeputzten Baumes« mit Wachslichtern, Zuckerwerk und Äpfeln in paradiesisches Entzücken versetzte.« Friedrich Schiller schrieb 1789 Charlotte Buff, Vorbild besagter Lotte aus dem Werther: »Ihr werdet mir hoffentlich einen grünen Baum im Zimmer aufrichten.« 1805 erwähnt ihn Johann Peter Hebel in seinen »Alemannischen Gedichten«, ebenso E. T. A. Hoffmann in dem Märchen »Nussknacker und Mausekönig« aus dem Jahre 1816.

William-Adolphe
Bouguereau
Laurel Branch
{1900}

Der Baum wurde so populär, dass die Kirche, der große Waldgebiete gehörten, gegen das Plündern des Waldes zur Weihnachtszeit einschreiten musste, denn nicht jeder konnte sich einen Baum leisten.
Vollends gewonnen hatte der Christbaum, als er in das evangelische Brauchtum übernommen wurde und in die Kirchen Einzug hielt. Von Deutschland aus trat er seinen Siegeszug nun in die ganze Welt an. Der erste Weihnachtsbaum in Wien wurde 1814 von Fanny von Arnstein, einer aus Berlin stammenden angesehenen jüdischen Gesellschaftsdame, aufgestellt, in deren Hause auch Vertreter des Hochadels ein und aus gingen. 1815 verbot die niederösterreichische Landesregierung »das Abstämmeln und Ausgraben der Bäume zum Behuf der Fronleichnams-Prozessionen, Kirchenfeste, Weihnachtsbäume und dergleichen«. Mit »dergleichen« waren vermutlich die Nikolausbäumchen gemeint, die 1782 als »grüner Baum mit brennenden Kerzchen bestekket, auf welchem etwelche Pfunde candirtes Zuckerbacht ebenso glänzen wie der vom Reife candirte Kirschenbaum zur Winterszeit schimmert« beschrieben wurden.
Ob Neuengland {1832 durch den deutschstämmigen Harvard-Professor Karl Follen}, Old-England {durch Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, dem Gatten Königin Viktorias}, die Niederlande, Russland oder Italien verdanken ihren Weihnachtsbaum den Deutschen, Auswanderer brachten ihn bis Nordamerika.

Auch wenn wir hier den ökologischen Aspekt, beispielsweise die Folgen der Fichten-Monokulturen im Sauerland, unbeachtet lassen wollen, sei ein kleiner Abstecher zu den künstlichen Bäumen an dieser Stelle erlaubt: den ersten gab es in den USA, dort stellte man gegen Ende des 19. Jahrhunderts Christbäume aus Eisen her, teilweise beleuchtet: »Durch die hohlen Äste flutet das Gas und wo sonst Kerzen erstrahlen, zuckt aus schmaler Ritze die Gasflamme empor«.

Auf dem römischen Petersplatz indes leuchtet der Weihnachtsbaum erst seit 1982. Ein eindringlicher Beweis, dass der Brauch eben doch kein ursprünglich christlicher ist.