Ilka Stitz – Harzblut

Historisches zu »Harzblut«

Histo Journal Special: Ilka Stitz – Teil 3

In diesem Interview spricht Ilka Stitz über Kaiser Prophetien, venezianisches Nationalbewussstein und warum die Entdeckung der Laokoon-Gruppe die Renaissance erst so richtig in Schwung brachte.

von Alessa Schmelzer

Histo Journal: Die meisten wissen, dass Venedig damals eine reiche Handelsmetropole war. Mit welchen Ländern hat Venedig Handel betrieben?

Ilka Stitz {IS}: Venezianische Kaufleute handelten mit der ganzen bekannten Welt. Aber sie waren zu der Zeit die einzigen, die noch mit Byzanz Handel treiben durften. Und Byzanz war die reichste Stadt ringsum, der Handel entsprechend lukrativ.

Histo Journal: In Venedig wohnte man als reicher Bürger in einem Palazzo. Sammelte Kunst, spielte Schach. Es ging alles sehr kultiviert zu. Doch selbst alter Adel und Reichtum scheint vor skrupellosen Machenschaften eines Mannes vom Schlage eines Pertuzzi nicht zu schützen. Muss man sich den ›Rat der Zehn‹ heute als einen durch und durch korrupten Haufen vorstellen?

IS: Ach nein. Ich denke, es ist wie überall gewesen, unter den Mitgliedern gab solche und solche. Aber manchmal reicht es ja bereits, das Beste zu wollen, um das Schlimmste zu schaffen. Der Rat der Zehn wollte Schaden vom Staat abwenden, das ist ja erst einmal nicht verwerflich. Heikel wird es bei der Frage, was für den Staat schädlich ist, oder was beziehungsweise wer ihm schaden könnte. Das kann dann zu gutgemeinten, aber für den Betroffenen natürlich grausamen Strafe führen. Aber dergleichen geschieht wahrscheinlich immer und überall.

Histo Journal: Und was schädlich war oder nicht, das legte der Rat fest?

IS: Es ergibt sich aus der Sachlage, dass wahrscheinlich viele Entscheidungen nach Ermessen getroffen wurden. Wie bei jedem Geheimdienst gilt es ja, Schaden abzuwenden, dass also präventiv eingriffen werden muss. Das bedeutet vor allem, Informationen auswerten, Verdächtige beobachten, Nachrichten sammeln, abwägen … Wohin das führt, erleben wir ja heute noch. In Venedig der frühen Neuzeit war es eine Handvoll adliger Familien, die den Rat der Zehn stellten und die Entscheidungen trafen. Dass die mitunter parteiisch waren oder zum eigenen Vorteil gerieten, liegt auf der Hand. Diese Geheimniskrämerei wurde den anderen Adligen letztlich auch zuviel, und sie beschnitten im Laufe des 16. Jahrhunderts die Kompetenzen des Rates wieder.

Infobox: Bildmaterial

Laokoon

Laokoon Gruppe

Theresa

Heilige Theresa

Barbarossa

»Barbarossa erwacht – die Raben fliegen davon« Das Wandbild von Wislicenus gehört zum Bilderzyklus der Kaiserpfalz Goslar {um 1880}. Der Maler bezieht die Kyffhäusersage auf die Reichsgründung von 1871.

Flagellanten

Holzschnitt, 15. Jahrhundert

Mönchstein

Ilka Stitz neben dem Mönchstein


Histo Journal: Gibt es Aufzeichnungen über derart zwielichtige Umtriebe? Bist du in etwaigen Quellen auf eine authentische Vorlage Pertuzzis gestoßen?

IS: Es gibt Aufzeichnungen über die Aktivitäten des Rates der Zehn. Die betreffen in der Hauptsache den Umgang mit Hochverrätern, also hochpolitische Delikte. Einzelpersonen sind mir nicht begegnet, der Vorsitz des Rates wechselte ja auch regelmäßig.

Histo Journal: ›Der Rat der Zehn‹ ist nicht der einzige Rat in Venedig gewesen, oder? Gab es für die verschiedenen Angelegenheiten eigene Räte? Und wenn ja, kontrollierte diese alle ein Doge?

IS: Ja, es gab außer dem Staatsoberhaupt, dem Dogen, noch den großen Rat, den Senat und natürlich als Oberhaupt den Dogen, der in allen Gremien saß.

Histo Journal: Venedig und Harz – da prallen wirklich Welten aufeinander. Im Interview (Link) hast du schon einiges zur Renaissance in Italien gesagt. Trotzdem möchte ich noch einmal kurz darauf zu sprechen kommen. Renaissance heißt Wiedergeburt der Antike. Was haben der Beginn der Renaissance und die ›Domus Aurea‹ Kaiser Neros miteinander zu tun?

IS: Es gibt viele Bezüge zur Antike … Ich nehme an, Du spielst konkret auf die Grotesken an? Die die Buchmaler sehr inspirierten. Oder die Puttenfriese, die als Engelreigen christliche Gemälde schmücken. Oder die Entdeckung des Laokoon, der überhaupt die Renaissance erst in Schwung brachte.

»Ich denke hier zum Beispiel an die Heilige Therese von Avila von Bernini, die man seit Dan Browns Da Vinci Code kennen mag.«

Histo Journal: Exakt darauf zielte meine Frage ab ;-) Aber eines musst du natürlich näher erklären: Warum brachte die Entdeckung des Laokoon die Renaissance erst in Schwung?

IS: Da muss ich jetzt ein wenig in dem verschütteten Wissen meines Kunstgeschichtsstudiums kramen … Mal sehr verkürzt gesagt: Wenn man den Laokoon betrachtet, fällt einem ja sofort die Dynamik der Skulptur ins Auge, da ist der Körper gewunden, ringt mit den Schlangen, die sich ihrerseits winden. Da ist sehr viel Bewegung in der Figur. Betrachtet man dagegen die Plastik des 13. und 14. Jahrhunderts, sind die Bewegungen sehr verhalten, eher statisch, erhaben in sich ruhend. Wenn man den Vergleich zur Antike ziehen möchte, kann man eher an die Skulptur der Klassik denken, den Doryphoros vielleicht.
Es ist ja nicht so, dass man vor der Laokoon-Gruppe gar keine antiken Skulpturen gekannt hätte, aber nun erst war die Zeit reif, war eine andere Sichtweise möglich. Der Laokoon wurde 1507 in der Nähe von Neros Goldenem Haus gefunden. Michelangelo war einer der ersten, der ihn zu Gesicht bekam. Von da an beschäftigten sich alle großen Geister der bildenden Kunst und der Kunsttheorie mit diesem Kunstwerk. Es regte unter anderem im Jahre 1766 den Dichter Lessing zu seiner Abhandlung Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie an, in der er die Unterschiede zwischen bildender Kunst und Literatur herausarbeitete. Auch Johann Joachim Winckelmann und Goethe beschäftigten sich in eigenen Arbeiten dezidiert mit der Laokoon-Gruppe. Ich erinnere mal an den bekannten Spruch Winckelmanns von der »stillen Einfalt, edle Größe …«: »Laokoon war den Künstlern im alten Rom eben das, was er uns ist: des Polyklets Regel; eine vollkommene Regel der Kunst … Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt und eine stille Größe, sowohl in der Stellung als im Ausdruck. So wie die Tiefe des Meeres allezeit ruhig bleibt, die Oberfläche mag noch so wüten, ebenso zeigt der Ausdruck in den Figuren der Griechen bei allen Leidenschaften eine große und gesetzte Seele. Diese Seele schildert sich in dem Gesichte des Laokoon, und nicht in dem Gesichte allein, bei dem heftigsten Leiden. Der Schmerz, welcher sich in allen Muskeln und Sehnen des Körpers entdeckt und den man ganz allein, ohne das Gesicht und andere Teile zu betrachten, an dem schmerzlich eingezogenen Unterleibe beinahe selbst zu empfinden glaubt, dieser Schmerz, sage ich, äußert sich dennoch mit keiner Wut in dem Gesichte und in der ganzen Stellung. Er erhebt kein schreckliches Geschrei, wie Virgil von seinem Laokoon singt. Die Öffnung des Mundes gestattet es nicht; es ist vielmehr ein ängstliches und beklemmtes Seufzen, wie es Sadolet beschreibt. Der Schmerz des Körpers und die Größe der Seele sind durch den ganzen Bau der Figur mit gleicher Stärke ausgeteilt und gleichsam abgewogen. Laokoon leidet, aber er leidet wie des Sophokles Philoktetes: sein Elend geht uns bis an die Seele, aber wir wünschten, wie dieser große Mann das Elend ertragen zu können.« {Johann Joachim Winckelmann}
Zu meiner Studienzeit war die stille Einfalt und edle Größe schon sehr verallgemeinernd anzutreffen, bezogen auf die griechische Plastik allgemein. Vor allem aber muss man berücksichtigen, dass Winckelmann sich auf die weißen Marmorskulpuren bezieht. Und die hat es in der Form gar nicht gegeben. Die antike Plastik war bunt bemalt, eine Farbigkeit, die die stille Einfalt massiv störte und die man deshalb lange ignorierte.
Dennoch, wie Winckelmann sagt: Der Laokoon ringt um sein Leben, da ist alles in Bewegung, da geht es um Leben und Tod, das ist existenziell. Und im Zusammenhang mit der noch nicht so lange zurückliegenden Entdeckung des ›Ichs‹ also des Individuums und der Landschaft, und des Zusammenspiels von Mensch und Natur war die Laokoon-Gruppe eine Sensation. Aber er kam auch zur rechten Zeit, um den den Künstlern die Welt neu zu erschließen, eine Welt, die sie zwar kannten, aber nie in dieser Weise wahr genommen haben. So findet sich die Idee des Laokoon – den ich jetzt mal als eine Art pars pro toto aller Skulpturen dieser Zeit nehme – in vielen Skulpuren der Neuzeit wieder. Ich denke hier zum Beispiel an die Heilige Therese von Avila von Bernini, die man seit Dan Browns Da Vinci Code kennen mag. Von der man durchaus sagen könnte, sie sei im Augenblick des Orgasmusses dargestellt. So eine Darstellung wäre hundert Jahre vorher unmöglich gewesen. Ich würde sogar soweit gehen zu behaupten, kein Künstler wäre auf die Idee gekommen, eine Frau, noch dazu eine Heilige, auf diese Weise darzustellen.

Histo Journal: Eine der Hauptfiguren in deinem Roman ist der Prospektor Federico. Er ›spioniert‹ quasi im Harz für Venedig. Sein Auftrag bestand darin Metalle für Venedig zu beschaffen. Du hast ausgiebig recherchiert und Beweise dafür gefunden, dass die Serenissima wirklich Spione wie ihn ausgesandt hat, überdies nicht nur in den Harz. Führte der Rat der Zehn richtige Listen?

IS: Ich hatte deswegen das Venezianische Archiv angeschrieben, leider nie eine Antwort bekommen. Vielleicht fürchteten sie eine nachträgliche Entschädigungsforderung … Allerdings bin ich sehr sicher, dass es Aufzeichnungen darüber gibt. Die Venezianischen Behörden arbeiteten, wenn man der Fachliteratur glauben schenken kann, sehr akkurat.

Histo Journal: Den Gedanken an so eine Entschädigung finde ich irgendwie hübsch. Schade, dass dir niemand eine Antwort geschickt hat. Es hätte ja sein können, dass irgendwo eine Anspielung auf so eine Liste existiert …
Flog die wahre Identität dieser Spione auf, waren sie auf sich alleine gestellt, oder? Gibt es Aufzeichnungen darüber?

IS: … Wenn sie Probleme haben, weiß ich nichts über ihren Auftrag … Nein, wie gesagt, ich habe da keinen Einblick bekommen. Ich kann mir vorstellen, dass in solchen Fällen die Diplomatie die Wogen glättete. In den Akten des Grafen zu Stolberg ist jedenfalls nicht vermerkt, dass jemals ein Erzdieb gefangen worden wäre.

Histo Journal: Dessen Akten du gelesen hast. Wäre denn ein Erzdieb als solcher identifiziert worden?

IS: Das ist die Frage! Möglicherweise schon, es sind durchaus kuriose Fälle aufgezeichnet. Andererseits, wenn der Dieb dem Grafen allerdings ein lukratives Angebot unterbreitet hätte – das anzunehmen jedoch sein Seelenheil nicht gefährden durfte – nicht unbedingt.

Histo Journal: Soweit ich mich erinnere hatte der Graf doch ganz andere Sorgen, oder?

IS: Eben. Graf Heinrich der Ältere konnte nicht mit Geld umgehen und war stets knapp bei Kasse. Er war sich dieses Problems aber durchaus bewusst und hatte deswegen im Verwandtenkreis nach Hilfe gefragt. Die schickten tatsächlich auch Experten, die die Ausgaben des Grafen eine zeitlang kontrollierten und stark einschränkten. Was bei dem Grafen Stolberg immer wieder auffällt, ist seine große Sorge um sein Seelenheil, und die ging ziemlich ins Geld. Er verteilte Essen an Bedürftige, schenkte seine Kleider an Kirchen, stiftete Kerzen, ließ Messen lesen, alles kostspielige Angelegenheiten.

Histo Journal: Warum hat Venedig nicht offiziell mit z.B. dem Harz ein Abkommen über die Ausfuhr von Mangan usw. getroffen? Wegen der Geheimhaltung der Glasherstellung oder der anfallenden Kosten? Die Prospektoren ›sammelten‹ ja vermutlich nicht nur im Harz …

IS: Zum einen wollten die Venezianer den Nutzen von Mangan nicht an die große Glocke hängen. Sie waren ja die einzigen, die das Verfahren zur Herstellung von Kristallglas kannten, für das Mangan – Glasseife – nötig war, oder die es zumindest im großen Stil anwandten. Wäre der Wert des Mangan bekannt geworden, wäre der Preis vermutlich innerhalb kürzester Zeit in astronomische Höhe geschnellt. Zudem wäre das Einholen von Abkommen wahrscheinlich sehr aufwendig gewesen. Allein im Harz gibt es schon etliche Grafen und Herzöge, die sich die Ländereien aufteilen. Und die Venezianer waren ja nicht nur dort, sondern auch in Baden-Württemberg, Bayern, Österreich, der Schweiz, und überall waren andere Grafen oder Kirchenfürsten zuständig.
Es hätte vermutlich eine eigene Behörde gebraucht, um das zu organisieren. Da war es leichter, einen Dieb zu schicken.

Histo Journal: Federico ist ein Spezialist – in einer Szene beschreibst du ziemlich anschaulich, wie er Edelmetalle findet. Ich fand das sehr interessant, denn ich hatte überhaupt keine Ahnung von solchen Dingen. Warum hast du so viel Wert auf diese ausführliche Darstellung gelegt?

IS: Oh, sie war ursprünglich noch viel ausführlicher … Nun ja, ich fand es schwierig, die Stelle zu kürzen, ich fürchtete, man würde den Prozess dann nicht mehr verstehen. Außerdem wollte ich damit zeigen, wie mühsam der Bergbau damals war, dass aber sogar eine solche Analyse durchaus auch mit einfachen Mitteln zu bewerkstelligen war. Letztlich habe ich befürchtet, dass diese Stelle von meiner Lektorin als »der Handlung nicht förderlich« gestrichen würde. Aber mich erreichte die Rückmeldung, dass gerade diese Stelle als ganz besonders interessant empfunden wurde. Das freut mich natürlich.

Histo Journal: Nicht nur dich! Übrigens fand ich die Szene der Handlung durchaus förderlich, denn es verdeutlicht zum einen Federicos Spezialwissen und zum anderen macht es noch einmal ganz klar, warum Pertuzzi ausgerechnet ihn braucht. Prospektoren wie Federico verfügten mit ihrem speziellen Wissen letztlich ja auch über eine gewisse Macht gegenüber Venedig. Jemand wie Federico hätte viel Geld verdienen können …

»Da hätte es wahrscheinlich eine eigene Behörde gebraucht, um das zu organisieren. Da war es leichter, einen Dieb zu schicken.«

IS: Ja, darum macht die Stelle aber – hoffentlich – auch das Nationalbewusstsein, die Identifikation der Bürgers mit ihrem Staat deutlich, trotz aller Widrigkeiten.

Histo Journal: Die Bevölkerungsdichte im Harz ist durch die Pest enorm dezimiert worden. Wie hängen Pest und das Aufkeimen neuer religiöser Sekten / Kaiserprophetien zusammen?

IS: Es ist ja nicht nur die Pest, jegliches Ungemach fördert den Glauben an höhere Mächte. Anhaltende Unwetter, Überflutungen, Seuchen, Missernten … Wer sich von solchen Naturereignissen bedroht sieht, sucht entweder einen Schuldigen, oder einen Erlöser aus der Not. Kaiser Barbarossa ist so eine Erlöserfigur, der im Kyffhäuser schläft. Viele Sektenführer wurden als Kaiser verehrt, und die sahen die degenerierten Kirchenfürsten als Ursache allen Übels und forderten die Rückkehr zu Keuschheit und Armut. Das sah die Kirche indes ganz anders. Für sie gehörten Prunk und Kult zusammen, nur mit angemessener Pracht ließ sich der Ruhm und die Macht Gottes angemessen präsentieren. Daher waren die, die vom sanktionierten Glauben abwichen, die Ketzer, schuld an jeder möglichen Katastrophe. Das gipfelte dann in den Ketzerverbrennungen.
Was die Pest betrifft, hat sie dem Venezianer die Arbeit natürlich sehr erleichtert. In einem fast entvölkerten Harz war die Gefahr der Entdeckung sehr gering.

Histo Journal: Erinnert mich natürlich an den ›falschen Nero.‹! Aber vielleicht kennen nicht alle die Kyffhäusersage, Kaiser Barbarossa mit seinem langen Bart und was Vögel mit all dem zu tun haben … Magst du sie kurz erzählen?

IS: Die Sage spiegelt den Glauben des Volkes an die Rückkehr eines Friedenskaisers. Kaiser Friedrich I, genannt Barbarossa, schläft mitsamt seinen Getreuen im Kyffhäuser, um den fortan etliche Raben kreisen. Während er schläft, wächst sein Bart weiter. Alle hundert Jahre wacht der Kaiser auf und wenn dann die Raben noch immer fliegen, schläft er ein weiteres Jahrhundert. Bis er irgendwann endlich die letzte Schlacht gegen das Böse schlägt und hoffentlich gewinnt.
In der Höhle kann man mit etwas Phantasie den Kaiser schlafen sehen, während sein Bart bereits durch den Steintisch hindurch gewachsen ist.. Allerdings war es nicht immer Kaiser Barbarossa, der hier ruht. Bis zum 16. Jahrhundert war es Kaiser Friedrich II, später auch Karl der Große.
Vor allem im Mittelalter gab es immer wieder Hochstapler, die sich als auferstandener Kaiser ausgaben und viele damit täuschten. Uns beiden fallen in dem Zusammenhang natürlich sofort die Geschichten um Nero ein. Nach dessen Tod gab es ja auch einige, die sich für diesen umstrittenen Kaiser ausgaben.
Vielleicht kennt noch der ein oder andere das Gedicht Friedrich Rückert »Der alte Barbarossa …«

Histo Journal: Eine Erscheinung fand ich sehr spannend – die Doktor Schmidt Sekte.

IS: Ja, die hat mich auch sehr fasziniert. Es war nicht ganz einfach, darüber Material zu finden. Letztlich fand ich eher zufällig einige Erläuterungen.

Histo Journal: Wer war dieser Doktor Schmidt?

IS: Auch einer, der als zurückgekehrter Kaiser angesehen wurde. Zunächst war er wahrscheinlich gar kein Doktor. Nachrichten über ihn gibt es in der Mitte des 14. Jahrhunderts. Seine Sekte war im Raum Thüringen sehr populär. Zu seinen Anhängern gehörten hauptsächlich die Bauern der Umgebung. Und er starb vermutlich eines natürlichen Todes. Viel mehr ist über ihn allerdings nicht bekannt.

Histo Journal: Was wollten er und seine Anhänger?

IS: Die Doktor-Schmidt-Sekte gehört zu den sogenannten Geißlersekten. Sie steht in der Tradition der Hussiten und Waldenser. Diese Sekten glaubten, dass der Weltuntergang unmittelbar bevorstehe und man sich entsprechend vorbereiten müsse, seine Sünden büßen und in Keuschheit und Armut leben. Besagter Doktor Schmidt nun war der einzige bekannte Sektenführer, der sich dazu hinreißen ließ, eine genaues Datum für den Weltuntergang zu verkünden. Jetzt im Nachhinein wissen wir natürlich, dass er sich irrte. Damals jedoch glaubten seine Anhänger an seine Worte. Selbst als der erste Termin folgenlos verstrich und er noch einen zweiten nannte, blieben ihm seine Anhänger weiterhin gewogen. Für uns heute ist das schwer vorstellbar. Natürlich gab Schmidt Erklärungen dafür, Rechenfehler oder dergleichen, dennoch beließ er es nach der zweiten falschen Prognose wie alle anderen mit der vagen Angabe, des ›unmittelbar bevorstehenden‹ Unterganges. Dabei muss man natürlich bedenken, dass die Anhänger dieser und anderer Sekten aus den unteren Bevölkerungsschichten stammten. Sie waren des Lesens und Schreibens unkundig, stammten aus armen Verhältnissen. Aber sie waren durchaus in der Lage, die Diskrepanz zwischen der Lehre der Kirche und den Lebensumständen ihrer Vertreter wahrzunehmen. Daraus entwickelte sich eine eigene Glaubenslehre. Wir kennen sie zum Teil aus den Inquisitionsprotokollen, in denen die befragten Ketzer sehr freimütig ihre Ansichten formulierten. Auf uns heute wirken sie absurd oder naiv. Wir sollten dabei bedenken, dass für die meisten von uns Geißeln als Buße auch keine Option ist, jedoch nur, sofern wir nicht dem vom Papst geförderten Opus Dei angehören, wo solcherlei auch heute noch gepflegt wird.

Histo Journal: »Tret herzu wer büßen will …« singen die Geißler in deinem Roman. Ist das ein authentisches Lied?

IS: Ja, das ist ein überliefertes Ketzerlied.

Histo Journal: Wie reagierte die Kirche auf derlei Ketzer? Haben sie im Harz kurzen Prozess mit ihnen gemacht?

IS: Ich kann nur den Umgang des Grafen Heinrich von Stolberg beurteilen. Für ihn, einen überaus gläubigen Mann, war Ketzerei ein Sakrileg. Bereits unter seinem Vater wurden unter seiner Beteiligung einige Ketzer gefangen genommen, verhört und hingerichtet. Dem Chronisten aus dem 19. Jahrhundert war es spürbar unangenehm berichten zu müssen, dass Graf Botho und seine Familie speisten und scherzten und Heinrich sich die Reliquien der Ketzer bringen ließ, während diese nebenan unter der Folter schrieen. Ausführlicher überliefert ist eine Verhaftung im Jahr 1493, dem Jahr, in dem Harzblut spielt. Die Akten berichten davon, dass gegen Mittag, nach dem Gottesdienst, 1000 Männer, Frauen und Kinder, gefangengenommen und eingekerkert wurden. Einigen gelang die Flucht, einige verstarben bereits während der Gefangenschaft. Nach einer Gerichtsverhandlung wurden einige freigesprochen, und die übrigen anschließend auf dem Marktplatz von Stolberg auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Für diese Gerichtsverhandlungen war die Anwesenheit eines Inquisitors Pflicht. Die Verhandlungen wurden ordnungsgemäß protokolliert, deswegen sind etliche Aussagen und Prophezeiungen überliefert.

Histo Journal: Der Harz hält nicht nur Geißlerzüge für Federico bereit. Auf deiner Website gibt es ein Bild, da sitzt du neben dem sogenannten Mönchstein. Was hat es damit auf sich?

IS: Solche Venedigersteine, wie sie im Harz heißen, bezeugen heute noch die Anwesenheit der ausländischen Erzdiebe. Sie gelten als Wegweiser zu ihren Fundstätten. Dass auf dem genannten Stein ein Mönch zu sehen ist, wird allgemein damit erklärt, dass die Zisterziensermönche den Harz erschlossen, Landwirtschaft betrieben, und Bergbau. Somit ist die Geschichte des Harzes eng mit diesem Orden verbunden. Dass ein Venediger die Darstellung eines Mönches wählte, mag eine Anspielung darauf sein, eine Würdigung und ein Zeichen von Respekt, oder schlicht ein Scherz.

Histo Journal: Die Religion nahm in jener Zeit {in der dein Roman spielt} eine andere Rolle ein als heute. Der Eindruck entsteht, der ganze Alltag sei von der Kirche strukturiert und somit bis ins kleinste Detail vorgegeben. Verändert sich das im Zuge der Renaissance?

IS: Mein Eindruck ist, dass das erst im 20 Jahrhundert aufhört.

Histo Journal: Eine der Figuren ist Reliquienhändler – Solche Reliquien erfreuten sich unter den Katholiken großer Beliebtheit. Nicht nur die ›einfache‹ Bevölkerung kaufte solchen Reliquien. Was versprachen sich die Menschen denn von einem solchen Kauf?

IS: Reliquien brachten den Besitzer im wahrsten Sinne des Wortes in unmittelbare Nähe zu dem jeweiligen Heiligen, der sich dadurch dessen Fürsprache im Himmel erhoffte. Die Reliquie repräsentierte den Heiligen, so wie der Papst Stellvertreter Gottes auf Erden ist.
Der Besitz einer Reliquie versprach die Teilhabe an der Heiligkeit des Märtyrers, und dessen Glanz, dessen Heiligkeit überträgt sich auf den Besitzer. Im Prinzip brachte er ihn dem Himmel ein deutliches Stück näher, unabhängig vom Lebenswandel.

Histo Journal: Vielen lieben Dank, Ilka.


»Harzblut«

Im Harz fließt Blut für den Reichtum Venedigs

Harz, Winter 1492/93: Bei der Gastwirtin Anna wächst die Verzweiflung. Schon vor Monaten verschwand ihr Mann Paul. Allmählich wird es zur Gewissheit, dass ihm etwas zugestoßen sein muss. Zudem droht nun auch noch der Vogt, ihr das Lehen für das Gasthaus zu entziehen. Anna schreibt ihrem Sohn Luca und bittet ihn, seine Ausbildung bei der Familie Manzoni in Venedig abzubrechen und ihr zur Seite zu stehen. Lucas Ziehvater Federico Manzoni, Erzsucher und Agent der Serenissima, quält indes seine aussichtslose Liebe zur verheirateten Anna. Außerdem muss er erfahren, dass sich der machthungrige Ratsherr Pertuzzi das Vermögen der Manzonis und das Wissen über die Bodenschätze im Harz aneignen will. Pertuzzi zwingt Federico, für ihn nach Deutschland zu reisen, denn nur der kennt die Fundstätten für Mangan und Kobalt – Erze, die die blühende venezianische Glasindustrie benötigt. Auch Luca macht sich in den Norden auf. Unterwegs schließt sich ihm eine merkwürdige Frau an: Lina ist eine Zwergin und will sich angeblich mit Gauklerfreunden treffen. Aber in Wahrheit steht sie in den Diensten Pertuzzis, dem jedes Mittel recht ist, sein Ziel zu erreichen …


*Der Gewinner wird nach Ablauf des Gewinnspiels ausgelost und via Email benachrichtigt. Der Gewinn wird per Post zugestellt. Bei dem Gewinn handelt es sich um einen Sachpreis, dieser wird nicht entsprechend seinem Wert als Bargewinn ausgezahlt. Die Teilnehmer erklären sich damit einverstanden im Falle eines Gewinnes nach der Auslosung namentlich auf der Website des Histo Journals sowie auf Facebook und Twitter veröffentlicht zu werden. Vergessen Sie bitte nicht Ihren Namen sowie Ihre Post (!) Adresse anzugeben, damit Sie im Falle eines Gewinnes benachrichtigt und Ihnen der Gewinn zugesendet werden kann! Fehlt die Postadresse wird ein anderer Gewinner ausgelost. Wir versenden innerhalb von Deutschland. Alle Daten werden streng vertraulich behandelt und nach Beendigung der Buchverlosung gelöscht.
Teilnahme ab 16 Jahren.
Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.