Histo Journal Special: Ilka Stitz – Teil 2

Ilka Stitz im Interview

»Pertuzzi lockt mich nicht sonderlich zur gemeinsamen Freizeitgestaltung.«

Seit April ist »Harzblut« nun im Handel. In Teil 2 unseres Histo Journal Specials mit Ilka Stitz sprechen wir über das Seelenheil im ausgehenden Mittelalter, mangelnde Risikobereitschaft von Verlagen und ihre besondere Vorliebe für einen ebenso brillanten wie gut aussehenden Feldherrn.

von Alessa Schmelzer

Histo Journal: Mit »Harzblut« blätterst du ein neues Epochenkapitel in deinem Autorenleben auf. Wie fühlt es sich an, in dieser neuen Zeit unterwegs zu sein?

Ilka Stitz (IS): Zunächst fremd. Um nicht zu sagen: überaus fremd. Wenn man wie ich seit Jahren in der Antike zu Hause ist, eine eher rational bestimmte Zeit, die sich logisch erschließen lässt, erscheinen die darauf folgenden Jahrhunderte eher emotional. Man muss bedenken, dass nach der Antike der Mensch erst in der Renaissance wieder als Individuum wahrgenommen wird, vorher zählte ja nur die Gemeinschaft. Das geschieht in Italien früher, etwa mit Petrarca, in Deutschland später. Das gleiche gilt für die Wahrnehmung von Landschaft, die nicht mehr nur als Gottes Werk und nutzbare Ackerfläche gesehen wird, sondern deren Schönheit entdeckt wird, die einen ästhetischen Wert bekommt und würdig wurde, gemalt zu werden.

»Dieses von der Kirche provozierte und kultivierte schlechte Gewissen zur Kontrolle des Volks, das alles war mir schon sehr fremd.«

Insgesamt scheint mir das Denken der Menschen im Mittelalter – und ich meine damit die fast tausend Jahre von der Spätantike bis zur Neuzeit – sehr vom christlichen Gedankengut bestimmt, und wie das auszusehen hatte, bestimmte der Papst. Alles andere war Ketzerei. Dazu war die Religiosität sehr viel emotionaler besetzt, vor allem im ausgehenden Mittelalter, in dem Harzblut spielt. Zum Beispiel die ständige Mahnung der Kirche vor Hölle und Teufel, die Sündenlast, an der ein jeder trägt und von der er sich mit Ablässen freikaufen konnte, dieses von der Kirche provozierte und kultivierte schlechte Gewissen zur Kontrolle des Volks, das alles war mir schon sehr fremd. – Um Missverständnisse zu vermeiden, auch in der Antike waren die Menschen sehr religiös. Aber da die Römer sehr tolerant waren, gab es viele verschiedene Götter, deren Kulte gleichberechtigt nebeneinander existierten, von vielen Menschen sogar gleichzeitig ausgeübt wurden. Der Gedanke an so etwas wie Ketzerei war da undenkbar. Hexenverfolgung indes war dagegen auch schon bei den Römern Thema. Das fällt dann allgemein unter Zauberei. Und Angebote von Zauberinnen und Zauberern wurden vom Volk gern angenommen, man war allgemein sehr abergläubisch. Zauberer erfreuten sich so großer Beliebtheit, dass sie regelmäßig aus Rom verbannt werden mussten. – Und jetzt bin ich schon wieder bei der Antike gelandet …

Histo Journal: Was hat dich denn am ausgehenden Mittelalter gereizt?

IS: Das ist nicht so einfach zu erklären, da spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Es ist ja nicht nur die Zeit, sondern der Roman spielt ja auch in unterschiedlichen Regionen, die gegensätzlicher nicht sein können. Um 1500 beginnt in Deutschland gerade die Renaissance, die in Italien ja schon seit gut 200 Jahren die Kultur bestimmt. Diese Gegenüberstellung fand ich spannend. Ebenso reizvoll fand ich aber zu beobachten, wie sich (nicht nur) in Deutschland längst die Reformation ankündigt, dass der Klerus, die Klöster durchaus kritisch gesehen wurden und des öfteren zur Reform aufgefordert wurden. Zum Beispiel bedenkt der Graf von Stolberg zwar ein Kloster in seinem Testament, knüpft an die Erbschaft jedoch die Bedingung einer Reform.

Histo Journal: Zu jener Zeit ist das ja nicht ungewöhnlich. Bei den Römern hieß so etwas: Ich gebe, damit du gibst. Der Mensch opfert der jeweiligen Gottheit oder errichtet einen Tempel o.ä. und die Gottheit revanchiert sich. Im Mittelalter haben Betuchte Klöster eingerichtet und die Nonnen oder Mönche revanchierten sich damit diese in ihre Gebete einzuschließen…

IS: Eben. Der Graf von Stolberg und seine Frau ließen sich allerdings schon zu Lebzeiten die Messe lesen, sie waren sehr um ihr Seelenheil besorgt.

»Wenn einem das Leben lieb war, musste man wider besseren Wissens schließlich zugeben, dass sich die Sonne um die Erde dreht und die Erde eine Scheibe ist.«

Histo Journal: Worin würdest du die größten Unterschiede zwischen Antike und Renaissance ausmachen?

IS: Ich denke, dass die Mentalität der Menschen gänzlich unterschiedlich war. Allerdings, wenn man oberflächlich schaut, scheinen die Unterschiede zunächst gar nicht so groß. Die Menschen waren zu allen Zeiten experimentierfreudig, sie erforschten ihre Umwelt und verbesserten sie. Dennoch denke ich, dass der Mensch im Mittelalter sich in engeren, von der Kirche gesetzten, Bahnen bewegte, als der Mensch der Antike. Während der Mensch des Mittelalters kaum eine Möglichkeit zu sozialem Aufstieg hatte, hatte in der Antike jeder – zumindest theoretisch – die Möglichkeit, Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen. Damit eröffnete sich ihm die Möglichkeit der Bildung. Es gab zwar Sklaven, aber die konnten bis an die Spitze des Staates aufsteigen und sogar anstelle des Kaisers herrschen. Die Sklaven des Mittelalters rangierten indes in der untersten Schicht. So im Vergleich ist das schwer zu bewerten, denn natürlich gibt es immer gewisse soziale Schichten, denen es besser oder schlechter geht. Immer gibt es Gesetze, die das Zusammenleben regeln, und Willkür gab es hier wie dort. Und dennoch denke ich, herrschte in der Antike ein freierer Geist als im Mittelalter und das, ich erwähnte es schon, liegt meiner Meinung an dem extrem unterschiedlichen Umgang mit Religion und Glauben. Und hier spielt vor allem der Einfluss der Kirche die wichtigste Rolle, die es in der Antike als vergleichbare Organisation nicht gab. Im Altertum war die Religion eher Privatsache, die vor allem im Hause ausgeübt wurde. Im öffentlichen Leben war sie zwar formal präsent, in Form von bestimmten Ritualen, sie beeinflusste aber nicht die politischen Entscheidungen. Dagegen kontrollierte im Christentum zunehmend die Institution Kirche das private ebenso wie das öffentliche Leben. Ihre Lehren und Glaubenssätze bestimmten die Wissenschaft, Kunst, das Gesetz und schließlich das gesamte Denken. Was nicht zur gängigen Glaubenslehre passte – und dadurch das Gemeinwohl gefährdete – war Ketzerei und musste ausgemerzt werden. Wenn einem das Leben lieb war, musste man wider besseren Wissens schließlich zugeben, dass sich die Sonne um die Erde dreht und die Erde eine Scheibe ist.

Histo Journal: Dein großes Thema ist der Bergbau. Seit wann begeisterst du dich für das Thema?

IS: Da muss ich mal überlegen … Seit ich ein Praktikum bei der Ruhrkohle AG gemacht habe, das ist lange her … Damals waren die Bergwerke noch im Betrieb.

»Der historische Roman wird immer seine Leser finden. Denn das Geheimnis der Vergangenheit wird immer seine Faszination bewahren.«

Histo Journal: Also nicht schon seit der Schulzeit…

IS: Nein. Bergbau war in unserem Lehrplan nicht vorgesehen. Im Rahmen meiner Fortbildung zur Journalistin habe ich in Essen ein Praktikum im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Die Mitarbeiter-Zeitung hatte ansehnliche Auflage. Ich habe zum Beispiel Artikel über Ausstellungen und die Renovierung von Zechenhäusern geschrieben. Drei Mal bin ich ›eingefahren‹… und habe noch Tage später Kohlenstaub aus den hintersten Winkeln meiner Ohren gewaschen. Aber die Menschen dort waren supernett.

Histo Journal: Du recherchierst ja alles selbst. Was wäre ein Grund für dich, trotzdem die Dienste eines Recherchebüros in Anspruch zu nehmen?

IS: Da gäbe es für mich keinen Grund. Ich muss wenigstens einmal vor Ort gewesen sein. Und die Recherche ist für mich auch mit das Lustvollste am Bücherschreiben.

Histo Journal: Kann ich gut nachvollziehen. Du hast für »Harzblut« ja u.a. auch einen Fachmann zum Thema Bergbau befragt. War der eigentlich irritiert, dass eine Autorin den Bergbau in ihren Roman einfließen lässt?

IS: Nein, irritiert nicht. Ich glaube, er war einfach sehr begeistert, dass sich jemand für seine Arbeit interessiert.

Histo Journal: Auf deinen Lesungen lässt du deine Leserinnen und Leser immer freimütig an deinem Wissen teilhaben – und schlägst auf diese Weise immer auch eine Brücke zur Antike. Wie verwoben sind z.B. beim Thema Bergbau Antike, Mittelalter und Frühe Neuzeit?

IS: Sehr eng. Technik und Werkzeug ist ja in der Hauptsache gleich geblieben. Nur durch Augenschein kann man einen antiken Stollen nicht von einem mittelalterlichen oder gar neuzeitlichen unterscheiden. Die Datierung gelingt nur, wenn ein Arbeiter etwas darin vergessen oder verloren hat, eine Münze zum Beispiel, oder wie bei dem antiken Stollen im saarländischen Wallerfangen, eine Schaufel.

Histo Journal: Ist das Lesepublikum anders als jenes, das du von deinen antiken Romanen kennst?

IS: Ja. Es sind vor allem sehr viel mehr Leser. Aber sonst sind es hier wie dort eindeutig mehr Frauen. Es gab eine einzige Ausnahme, das war ein ganzer Tag mit Lesungen und Gesprächen aus meinem ersten eigenen Roman. Da stellte sich am Ende heraus, dass die Frauen ihren Männern den Tag geschenkt hatten und selbst nur zur Begleitung mitgekommen waren. Antike und Bergbau, das schien ihnen definitiv eine Männersache zu sein.

Histo Journal: Wie äußerte sich das?

IS: Bei der erwähnten Veranstaltung war schon zu bemerken, dass sich Männer allgemein für das Thema interessierten und sich deswegen gut in der Antike auskennen. Sie stellten eher inhaltliche Fragen im Sinne von: unterscheidet sich das Werkzeug? Waren nur Sklaven im Bergwerk? Und dass sie Beispiele zur Hand haben. Manchmal sind auch Bergleute darunter, die dann freudig feststellen, dass ich einmal statt Schlägel und Eisen fälschlicherweise Hammer und Meißel gesagt habe, wobei die Werkzeuge gleich sind, sie nur im Bergbau anders heißen. So etwas ist für Männer wichtig. Frauen wollen eher wissen, woher man seine Ideen nimmt und ob man vor Ort gewesen ist …

Histo Journal: Kennen »Harzblut« Leserinnen und Leser deine antiken Romane?

IS: Mein Eindruck ist, dass ich mit Harzblut tatsächlich auf ein ganz anderes Publikum treffe. In Gesprächen sagen mir viele, dass sie mich vorher nicht kannten, aber nun auch meine anderen Romane lesen wollten.

Histo Journal: Zu »Harzblut« gab es eine große Leserunde auf einem Leseportal. Welche Erfahrungen hast du da gemacht? Und – würdest du wieder eine Leserunde machen?

IS: Eine Leserunde bietet eine Möglichkeit, sozusagen live beim Lesen dabei zu sein, und an den Gedanken und Überlegungen der Leserinnen und Leser teilzuhaben. Das fand ich schon sehr spannend. Als Autor hat man natürlich sehr bedacht bestimmte Wendungen eingebaut, falsche Spuren gelegt und beobachtet dann bang, ob das auch funktioniert. Umso größer ist dann die Freude, wenn es klappt wie geplant. Deswegen würde ich jederzeit wieder eine Leserunde machen.

Histo Journal: Mit welcher Figur aus »Harzblut« würdest du gerne einen Abend verbringen – und warum?

IS: Bestimmt mit Lina. Als Zwergin steht sie außerhalb der Gesellschaft, sie hat viel durchgemacht, ist herumgekommen, hat viel gesehen und kann bestimmt sehr spannend darüber erzählen. Ich schätze ihre Haltung. Federico, eine andere Hauptfigur, sagt mal über sie: sie ist auf ihre Weise treu. Das stimmt, sie ist verlässlich, im Guten wie im Bösen. Wenn es sein muss, geht sie über Leichen, und ist doch zu Empathie fähig.

Histo Journal: …und mit welcher Figur aus »Harzblut« nicht und warum?

IS: Pertuzzi lockt mich nicht sonderlich zur gemeinsamen Freizeitgestaltung. Er ist zu sehr Geschäftsmann und auf seinen Vorteil bedacht. Auch wenn er sicher intelligent ist und ein interessanter Gesprächspartner wäre, mir ist seine Welt eher fremd.

Histo Journal: Welche Figur ist dein heißer Kandidat für eine Fortsetzung zu »Harzblut« – und warum?

IS: Es wundert sicher nicht, dass Lina dafür eine gute Kandidatin ist. Sie ist ein vielschichtiger Charakter, der viel Spannung verspricht. Aber auch Luca bietet noch Potenzial.

»Alleine schreiben ist ein einsames Geschäft.«

Histo Journal: Du schreibst schon seit vielen Jahren historische Romane. Vor »Wer Fortuna trotzt« und »Harzblut« hast du im Team mit Karola Hagemann geschrieben. Wie hat sich dein Arbeiten dadurch verändert?

IS: Alleine schreiben ist ein einsames Geschäft. Es fehlt der unmittelbare Austausch mit einem Partner, der so wie man selbst in dem Thema drin ist. Viele Fehleinschätzungen oder Irrwege werden im Team sehr schnell klar. Seit ich allein schreibe, laufe ich schon mal eine Weile im Kreis.

Histo Journal: …quasi eine Art ›Schreibblockade‹?

IS: Ja. Da komme ich nur wieder heraus, indem ich innehalte, stehenbleibe. Pausiere und über alles noch einmal nachdenke. Die Handlung vor- und zurückgehe und versuche auch mal meinen eigenen Standort dazu zu wechseln.

Histo Journal: Warum habt ihr das Thema ›Bergbau‹ nicht in einem eurer gemeinsamen Romane aufgenommen? Durch dein Praktikum bei der Ruhrkohle AG warst du doch schon ›angefixt‹.

IS: Für das Thema Bergbau konnte ich Karola nicht begeistern. Letztlich kam immer ein anderes spannendes Thema dazwischen…

Histo Journal: Aber immer ein antikes Thema. Und auch dein erster Roman im Alleingang hatte den antiken Bergbau zum Thema. »Der Antike gehört meine Liebe«, sagst du. Zu welchem antiken Stoff würdest du gerne noch einen Roman schreiben?

IS: Nachdem ich in Harzblut ja eine Art Ödipus-Geschichte geschrieben habe, dann vielleicht Laokoon und Troja …

»Vielleicht denken bei Antike viele noch an einen quälenden Lateinunterricht, die Schlachten im Geschichtsunterricht, und das ist sehr schade!«

Histo Journal: Schenkt man den Verlagen Glauben, interessiert sich das Lesepublikum aber nicht sonderlich für historische Romane, deren Handlung in der Antike angesiedelt sind. Es sei denn, ein Gladiator oder Legionär ist der Protagonist. Wie siehst du das? Teilst du diese Meinung?

IS: Das ist so, weil es an Beratung fehlt. Mittelalter glaubt jeder zu kennen, man weiß, was man bekommt und somit verkaufen die entsprechenden Bücher sich von selbst. Vielleicht denken bei Antike viele noch an einen quälenden Lateinunterricht, die Schlachten im Geschichtsunterricht, und das ist sehr schade! Da hat die Schule viel versäumt, weil die wirkliche Antike zu kurz kommt. Es ist ja so, als würde man im Deutschunterricht ausschließlich Goethe und Schiller lesen und glauben, alle Deutschen wären entweder Faust oder Karl von Mohr. Antike ist nicht nur Caesar und Cicero sondern auch Juvenal und Martial, und bei denen geht es saumäßig zur Sache.

»Die Leser sind gar nicht so festgelegt.«

Histo Journal: Wohl wahr. Letztere nehmen nur selten ein Blatt vor den Mund… Es gibt natürlich auch Buchhandlungen, die ihre Kunden ausgezeichnet beraten und einer Leserin auch mal »Ich zähmte die Wölfin« von Marguerite Yourcenar in die Hand drücken. Wäre es nicht auch wünschenswert, zeigten die Verlage mehr Risikobereitschaft?

IS: Ja. Definitiv. Ich finde es immer traurig, dass, kaum wird ein Roman einer bestimmten Epoche ein Erfolg, nur noch diese gefördert wird. Es gibt so viele spannende Themen, aber keiner will sie haben … Dabei denke ich, die Leser würden das schätzen, wenn man ihnen den Zugang ermöglicht. Aber da ist natürlich auch der Buchhandel gefragt. Ein Buch, das nicht dem Mainstream folgt im Sinne von, wenn Ihnen dies gefallen hat, dann gefällt ihnen auch jenes … muss man ja gelesen haben, um es zu empfehlen. Da ist der Aufwand größer als beim sechsten Aufguss eines Bestsellers.

Histo Journal: Wie meinst du das?

IS: Zum Beispiel die Sache mit den starken Frauenfiguren. Es gab einen Roman, der spielte im Mittelalter und hatte als Heldin eine Frau, die allen Widrigkeiten trotzte, kämpfte und sich durchsetzte. Dieser Roman wurde ein Bestseller und fortan wünschten sich die Verlage, ein Roman solle im Mittelalter spielen und eine Frau als Heldin haben, weil sie davon ausgehen, dass das viele Leser findet. Allerdings spielen Frauen im Mittelalter ja kaum eine Rolle, somit fallen diese Romane eher in den Bereich Fantasy. Ich meine das jetzt nicht wertend, ich denke nur, der Leser muss sich im Klaren darüber sein, dass solch ein Roman mit der Historie nicht viel zu tun hat, und bestenfalls eine »Ausnahme« beschreibt. Ich denke ja, die Leser sind da gar nicht so festgelegt. Mir, als Leserin, ist das Geschlecht einer Hauptfigur völlig egal. Sogar die Epoche spielt keine große Rolle, sofern der Charakter überzeugt, die Handlung spannend und gut erzählt ist.

Histo Journal: Na ja, nicht immer ist die Haupt- oder Identifikationsfigur mit einer Frau besetzt. In den historischen Romanen von Thomas Mann oder Lion Feuchtwanger stehen Männer im Vordergrund.

IS: Eben. Man denke nur an die Josephus Trilogie von Lion Feuchtwanger. Seine Romane sind von literaturwissenschaftlicher Relevanz.

Histo Journal: Seine Josephus Trilogie habe ich auch verschlungen. – Bleiben wir kurz beim antiken Roman. Ein Roman von Malachy Hyde war vor ein paar Jahren für den Sir-Walter-Scott-Preis nominiert. Autorenkreis als auch Preis sind passé. Eine neue Autorengemeinschaft verlieh nun erstmals den HOMER. Wie bewertest du so einen Preis?

IS: Ich finde einen Preis nicht unbedingt nötig, aber wenn man ihn als Autor verliehen bekommt, ist das sicher eine großartige Sache. Interessant finde ich an dem »Homer«, dass es unterschiedliche Kategorien gibt, somit die ganze Bandbreite des historischen Genres gewürdigt wird. Und ich sehe das mit großem Respekt, schließlich muss für jeden Preis eine Jury besetzt werden.

Histo Journal: Du bist nicht nur bei HOMER sondern auch im SYNDIKAT Mitglied. Was bedeutet eine solche Mitgliedschaft für dich?

IS: Das wichtige ist der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, das vertrauensvolle Miteinander in Freud und Leid. Das ist für jemanden, der einem einsamen Beruf nachgeht, schon wichtig. Jedenfalls bestätigen mir das auch meine Kollegen immer wieder.

Histo Journal: Carlo Feber initiierte vor einigen Jahren (das war noch zu Zeiten von Quo Vadis) eine Tagung in Wolfenbüttel. Für das kommende Jahr organisierst du die Veranstaltung gemeinsam mit Carlo Feber, Sabine Klewe und Martin Conrath. Worum wird es gehen und was können und sollen solche Tagungen leisten?

IS: Ja, sie findet am Wochenende vom 30. Mai und 1. Juni statt. Auf dem Programm stehen auch diesmal wieder genreübergreifende Themen. Zum Beispiel wie ›Chick Lit‹, ›Gender im Kriminalroman‹ oder ›Humor‹ im Comedy Bereich. Tagungen wie diese erweitern auf jeden Fall den Horizont. Sie schaffen Klarheit, zeigen Strukturen und ermöglichen einen Blick über den Tellerrand. Es werden ja unterschiedliche Genre behandelt, da gibt es zwar viele Überschneidungen, aber eben auch Unterschiede, manches ist sehr erhellend, manches öffnet die Augen, anderes ist einfach interessant.

»Alleine schreiben ist ein einsames Geschäft.«

Histo Journal: Bleiben wir beim Genre historischer Roman. Wie siehst du die Zukunft des historischen Romans/Krimis?

IS: Ich denke, der historische Roman wird immer seine Leser finden. Denn das Geheimnis der Vergangenheit wird immer seine Faszination bewahren.

Histo Journal: Den Geheimnissen der Vergangenheit wollen nicht nur historische Romane auf den Grund gehen. Es gibt natürlich noch viele andere Stätten des historischen Wissens wie zum Beispiel Museen. Welches ist das schönste archäologische Museum, das du bisher besucht hast?

IS: Das kommt drauf an, was man unter »Schönsten« versteht. Eines der besten deutschen Museen ist zweifellos das Römermuseum in Xanten. Am faszinierendsten fand ich das Museum in Kairo, auch wenn es das unaufgeräumteste war … aber es ist auch schon lange her, dass ich dort war. Sicher das Museum in Selcuk, in dem die Funde aus Ephesos präsentiert werden, ein Museum mit schöner Atmosphäre. Aber auch das Istanbuler ist schön, mit seinem lauschigen Teegarten. Wenn ich es überlege, ist eigentlich jedes Museum schön, sofern es archäologische Funde präsentiert …

Histo Journal: Daneben gibt es Zeitschriften, die sich mit Geschichte und historischen Romanen und Krimis beschäftigen. Wir sind eines davon. Was macht dir beim Histo Journal besonders viel Spaß?

IS: Als Leserin vor allem die Vielfalt der Themen! Bei der Mitarbeit die Freiheit, über Themen zu schreiben, die mich interessieren. Und dass die durchaus auch völlig abseitig sein dürfen, solange sie etwas mit Geschichte zu tun haben.

»Am faszinierendsten fand ich das Museum in Kairo, auch wenn es das unaufgeräumteste war … aber es ist auch schon lange her, dass ich dort war.«

Histo Journal: Zum Abschluss zwei Fragen, die sich noch einmal mit dem Thema Antike beschäftigen. Unsere lange »ROM« Nacht steht ja noch aus. Was begeistert dich an dieser Serie?

IS: Ach! Wie viel Platz ist hier? Diese Serie ist meines Wissens die Einzige, die die vielen Facetten der Antike sehr authentisch und dabei sehr unterhaltsam darbietet. Tolle Schauspieler, tolle Kulissen, tolle und spannende Handlung … Sie bietet einen Einblick in die Antike, weit ab von dem, was man im Lateinunterricht von den wohlgesetzten Versen gelernt hat. Einen Blick in den Alltag, wie er – soweit man das heute beurteilen kann – wirklich hätte gewesen sein können.

Histo Journal: Wir wollten ja mal eine Pro/Contra Augustus (Alessa) und Pro/Contra Marcus Antonius (Ilka) Aufstellung für das Histo Journal schreiben. In diesem Sinne – Nenne mir drei gute (!) Gründe, warum Marcus Antonius gegen Gaius Octavius (= Kaiser Augustus) hätte gewinnen sollen.

IS: Drei? Wie soll das gehen?
Also gut: Er war absolut integer. Er hat seine Versprechen immer eingehalten. Er wusste zu leben und zu genießen. Er war intelligent. Er war charmant und sah blendend aus. Er war weder grausam noch skrupellos. Er war ein brillanter Feldherr. Alles in allem war er das genaue Gegenteil von Augustus.
Das waren jetzt drei, oder?

Histo Journal: Nein, aber darüber reden noch… – Vielen Dank für das Gespräch, Ilka!


»Harzblut«
Ilka Stitz

Im Harz fließt Blut für den Reichtum Venedigs

Harz, Winter 1492/93: Bei der Gastwirtin Anna wächst die Verzweiflung. Schon vor Monaten verschwand ihr Mann Paul. Allmählich wird es zur Gewissheit, dass ihm etwas zugestoßen sein muss. Zudem droht nun auch noch der Vogt, ihr das Lehen für das Gasthaus zu entziehen. Anna schreibt ihrem Sohn Luca und bittet ihn, seine Ausbildung bei der Familie Manzoni in Venedig abzubrechen und ihr zur Seite zu stehen. Lucas Ziehvater Federico Manzoni, Erzsucher und Agent der Serenissima, quält indes seine aussichtslose Liebe zur verheirateten Anna. Außerdem muss er erfahren, dass sich der machthungrige Ratsherr Pertuzzi das Vermögen der Manzonis und das Wissen über die Bodenschätze im Harz aneignen will. Pertuzzi zwingt Federico, für ihn nach Deutschland zu reisen, denn nur der kennt die Fundstätten für Mangan und Kobalt – Erze, die die blühende venezianische Glasindustrie benötigt. Auch Luca macht sich in den Norden auf. Unterwegs schließt sich ihm eine merkwürdige Frau an: Lina ist eine Zwergin und will sich angeblich mit Gauklerfreunden treffen. Aber in Wahrheit steht sie in den Diensten Pertuzzis, dem jedes Mittel recht ist, sein Ziel zu erreichen …