Christiane Lind im Interview

Histo Journal Interview mit Christiane Lind zu »Die Medica und das Teufelsmoor«

»Es bot sich an, Alekes Gemahl von Piraten fangen und verschleppen zu lassen.«

von Alessa Schmelzer


Christiane Lind
Die Medica und das Teufelsmoor
Denn Liebe ist stärker als Hass

Bremen, 1381: Für Aleke ist ein Traum in Erfüllung gegangen. Sie hat sich in Salerno zur Medica ausbilden lassen und wagt nun ‒ gemeinsam mit ihrem Ehemann Righert ‒ in der Hansestadt Bremen einen Neuanfang. Doch plötzlich taucht eine Bedrohung aus der Vergangenheit auf und bringt ihr mühsam erkämpftes Glück in Gefahr. Alekes heilerische Kenntnisse werden auf eine harte Probe gestellt. Wird es ihr gelingen, das Leben ihrer Liebsten zu retten?

Die mitreißende Geschichte einer selbstbewussten Frau zur Blütezeit der Hanse.

Zur Leseprobe auf der Website des Aufbau Verlags.

Im Interview spricht die beliebte Autorin über die Medica Aleke, den Piraten Johnny Depp und verrät was ihr dicker Kater Graubrot in ihrem Roman zu suchen hat …

Histo Journal: Vor einiger Zeit ist mit »Die Medica und das Teufelsmoor« die Fortsetzung von »Die Heilerin und der Feuertod« erschienen. Für alle, die den neuen Roman noch nicht gelesen haben … magst du kurz erzählen, worum es in diesem Teil geht?

Christiane Lind

Christiane Lind {CL}: Ich nutze die Chance, beide Romane vorzustellen, und beginne mit der Heilerin. Die Geschichte spielt in Braunschweig, im Jahr 1374. Meine Heldin Aleke ist ein uneheliches Kind und lebt bei den Beginen, wo sie auch die Heilkunst lernt. Überraschend bittet sie ihr Vater Acchem van dem Broke, ein mächtiger Kaufmann und Ratsherr, um Hilfe: Sein Sohn sitzt wegen Mordes im Kerker und kann sich an nichts erinnern. Allerdings ist Aleke nicht die Einzige, die hinter die vielen Geheimnisse der van dem Brokes kommen will. Immer wieder begegnet sie bei ihrer Suche Righert van Anhald, einem jungen Kaufmann, der einer eigenen Agenda folgt. Als der Mörder Aleke entführt, kann nur Righert sie retten. Doch dafür müsste er auf seine Rache verzichten …
Alekes Geschichte spielt vor dem Hintergrund der »Großen Schicht«, dem Aufstand der Braunschweiger Bürger gegen die Ratsherren, einer sehr spannenden Zeit. So wie die Stadt Braunschweig eine turbulente Zeit erlebt, wird auch das Leben meiner Heldin durchgerüttelt.
»Die Medica und das Teufelsmoor« spielt sechs Jahre nach den dramatischen Ereignissen von »Die Heilerin und der Feuertod«. Aleke und ihre Familie haben Braunschweig verlassen und in Salerno gelebt, wo Aleke ihre Medica-Ausbildung beendete. Nun versuchen sie und ihr Gemahl in Bremen einen Neuanfang. Leichter gesagt als getan. Die Bremer stehen der Medica skeptisch gegenüber und auch Righert gelingt es nicht, als Händler Fuß zu fassen. Daher reist er von Bremen nach Brügge. Piraten kapern sein Schiff und alle glauben ihn tot. Nur Aleke will die Hoffnung nicht aufgeben und begibt sich auf die Suche nach ihrem Gemahl. Ihr Weg führt sie nach Friesland und schließlich ins Teufelsmoor. Hier sieht sie sich einem alten Feind gegenüber, der vor nichts zurückschreckt …

Histo Journal: Also hat sich Aleke von der Heilerin zur examinierten Medica entwickelt. Stand der Verlauf ihrer Karriere von Beginn an fest?

Kater Graubrot ist: Der Pate

CL: Nicht unbedingt – eine Weile sah es so aus, als ob Aleke in »Die Heilerin und der Feuertod« sterben würde, was ich dann doch nicht übers Herz brachte.
Nachdem ich durch die Recherche erfahren hatte, dass Frauen in Salerno studieren durften und Rina von Bremhen {eine meiner Lieblingsfiguren} auftauchte, die eine examinierte Medica ist, war Alekes weiterer Lebensweg vorgezeichnet. Außerdem hat sie sich in Braunschweig nie heimisch gefühlt, so dass es sich anbot, sie und ihre Familie ins sonnige Salerno zu verpflanzen. Außerdem gefällt mir die Vorstellung, dass Alekes Gemahl sie unterstützt und für sie und mit ihr nach Salerno reist.

Histo Journal: In der neuen Geschichte muss sich Aleke indes nicht nur als Medica behaupten … was hat es mit den Piraten auf sich, die damals Nord- und Ostsee unsicher gemacht haben?

CL: Oh, das ist ein spannendes Thema, das mir sehr viel Spaß machte, weil ich als Kind die wirklich, wirklich gruselige Geschichte von Klaus Störtebekers Hinrichtung gelesen habe. {Das hat mir Albträume beschert.} Trotzdem waren meine Vorstellungen von Piraten geprägt durch Erol Flynn {ja, ich bin etwas älter} und Johnny Depp. Daher habe ich durch die Recherche für die Medica die deutschen Seeräuber wieder neu entdecken können. Klaus Störtebeker, und die Vitalienbrüder allerdings betraten erst Jahre nach den Geschehnissen des Romans die Bühne.
Im 14. Jahrhundert war es gang und gäbe, dass Landesherren oder Städte in Konflikten Kaperbriefe ausstellten. Diese gaben Schiffskapitänen das Recht, alle Schiffe der Gegenseite zu überfallen und die Beute zu behalten. Wenn der Konflikt endete, endete – jedenfalls theoretisch – auch der Kaperbrief. Oft jedoch blieben die Kapitäne Piraten, da sie keinen Sold erhielten, sondern nur die Prise – ihren Anteil an der Beute.
Hintergrund der Seeräuberei, die in der Medica eine Rolle spielt, waren Thronstreitigkeiten nach dem Tod des dänischen Königs Waldemar IV. 1375. Dessen Tochter Margarete, verheiratet mit dem norwegischen König Håkon VI., beanspruchte den dänischen Thron für ihren Sohn Olaf IV. Damit stellte sie sich gegen Albrecht IV, Sohn von Ingeborg von Dänemark mit dem Mecklenburger Herzog Heinrich III. 1376 erfolgte Olafs Krönung zum dänischen König, was die Mecklenburger und Kaiser Karl IV. sehr verärgerte.
Die Mecklenburger begannen mit einem Kaperkrieg gegen Dänemark, indem sie Seeräubern Kaperbriefe ausstellte. Auch von dänischer Seite wurden Seeräuber ins Spiel gebracht, die insbesondere Kaufschiffe überfielen. 1380 kam es zu einem Streit zwischen Margarete und der Hanse, in dem die Königin Seeräuber nutzte, um den Handel zu stören. Ein Jahr später änderte die Königin ihre Politik und war als Vermittlerin zwischen Hanse und Seeräubern tätig.
Es hieß, dass die ostfriesischen Herrscher entweder selbst als Seeräuber tätig waren oder aber den Piraten auf ihren Höfen Unterkunft gaben und die gekaperten Waren verkauften.
Daher bot es sich an, Alekes Gemahl von Piraten fangen und verschleppen zu lassen.

Histo Journal: Im Teufelsmoor hast du dich auch umgesehen, schreibst du in der Danksagung. In einem Artikel in der ZEIT las ich, man könne heutzutage nicht mehr in diesem Moor versinken, weil nicht tief genug.* An einer besonderen Stelle könne man seilgesichert ›so tun, als ob man im Moor versinke‹. Hast du das im Zuge deiner Recherchen ausprobiert?

Bella figura in jeder Lebenslage:
Graubrot auf dem Rücken

CL: Oh, da weißt du mehr als ich. Dabei hätte ich gerne ausprobiert, wie sich das anfühlt, im Moor zu versinken. Leider gab es diese Möglichkeit bei der Führung durchs Moor nicht, an der ich teilgenommen habe.
Aber ich habe dort dank einer wunderbar kundigen Führerin erfahren, dass meine Idee, jemanden im Moor dramatisch untergehen zu lassen, zu meinem großen Bedauern nicht umzusetzen ist. Das Teufelsmoor ist ein Hochmoor mit viel Wasser unter einer dünnen Schicht Erde und Pflanzen, die an vielen Stellen »Moorlöcher« aufweist. Das sind Schlammstellen, in denen man – sehr theoretisch – versinken kann, was allerdings ein paar Tage dauern würde. Damit ist es für einen dramatischen Schluss nicht wirklich geeignet. Die Bilder, die ich im Kopf hatte – von Menschen, die ins Moor gezogen werden, bis nur noch ihre Hand hilfeheischend herausschaut – das ist wohl eher Treibsand.
Spannend und empfehlenswert ist eine Tour durch das Teufelsmoor auf jeden Fall, selbst wenn man nicht dort versinken kann. Ich habe viel über Flora und Fauna und das Problem des Torfabbaus erfahren. Seitdem kaufe ich nur noch torffreie Blumenerde.**

Histo Journal: Auch Katzenliebhaber*innen kommen in deinem Buch auf ihre Kosten. Maustod ist der Kater der Stunde – und er hat ein reales Vorbild. Welcher deiner fünf Kater stand für ihn Pate?

Dieses Foto zeigt die ungeschminkte Wahrheit:
Autor*innen mit Katze{n} müssen jeden Tag
um ihren Stuhl kämpfen.

CL: Für Maustod stand unser dicker Kater namens Graubrot Pate. Nicht für Maustods Farbe, aber für dessen – ähem – ausgeprägten Charakter. Wir nennen Graubrot auch den dicken Groll, weil er so häufig schlechte Laune hat und grundlos faucht. Da wir ihn im zarten Alter von vier Jahren adoptierten, können wir nur raten, woher sein Temperament kommt. Aber durch seine starke Persönlichkeit bietet er idealen Stoff für Geschichten und verdient sich so sein Futter.

Histo Journal: Aber Graubrot ist gnädig genug sich fotografieren zu lassen. ;-) Vielleicht fände er auch Gefallen an einer Hörfassung der Medica, wenn er schon Pate stand … »Die Medica und das Teufelsmoor« gibt es aber leider nicht als Hörbuchfassung. War dieses Format schon einmal ein Thema?

CL: Bisher leider nicht. Ich fände es sehr spannend, eine Geschichte zu hören, weil es sie noch einmal neu interpretieren würde. Aber noch hat sich kein Hörbuchverlag für eines meiner Bücher interessiert. Hallo, liebe Hörbuchverlage, falls ihr das lest … Aleke und ich sind bereit. :-)

Histo Journal: Hoffentlich lesen sie es – und handeln dementsprechend! Du schreibst nicht nur historische Romane, sondern bist in verschiedenen Genres unterwegs. Wie viele offene Pseudonyme hast du? In welchen Genres schreibst du?

CL: Ich lese querbeet und kann und mag mich daher beim Schreiben nicht auf ein Genre begrenzen. Inzwischen gibt es in vielen Verlage die Politik, für unterschiedliche Genres unterschiedliche Pseudonyme zu nutzen, damit die Leserinnen und Leser eine klare Orientierung erhalten. Daher habe ich inzwischen so viele Pseudonyme wie Kater:
Chris Lind war das erste, unter dem ich Kurzgeschichten veröffentlicht habe. Ich habe mich für ein Pseudonym entschieden, da ich in meinem Hauptberuf auch Bücher veröffentliche und mir eine klare Trennung wünschte. Chris Lind habe ich noch einmal genutzt für meinen freche-Frauen-Roman mit griechischen Göttern. Das nächste Pseudonym kam mit meiner ersten Veröffentlichung, einem historischen Roman bei Rowohlt. Christiane Lind verbinde ich mit historischen Romanen und Katzengeschichten. Ein kurzer Ausflug ins Jugendbuch brachte Laura Antoni in die Welt, die allerdings nach dem einen Roman die Welt auch wieder verlassen hat. Clarissa Linden ist das neueste Pseudonym, das Droemer Knaur für Bücher des Genres »neuer historischer Roman«.
Und last, but not least habe ich Carolyn Lucas erfunden, unter deren Namen ich Phantastik-Romane als Indie-Autorin veröffentlicht habe.

Histo Journal: Über Clarissa Linden und den neuen historischen Roman müssen wir uns zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal ausführlicher unterhalten … Gibt es ein Genre mit dem du noch liebäugelst?

CL: Auf jeden Fall möchte ich ein Kinderbuch schreiben, weil lesen für mich als Kind sehr wichtig war. Ehrenamtlich bin ich in der Leseförderung aktiv und liebäugele daher schon seit längerem mit einer phantastischen Geschichte für Kinder.

Histo Journal: Woran arbeitest du aktuell?

CL: Vor zwei Wochen habe ich einen historischen Roman, der im 16. Jahrhundert spielt, an den Verlag gegeben und bin jetzt mit »Aufräumarbeiten« beschäftigt. Ich benötige immer ein wenig Zeit, mich von einer Geschichte zu verabschieden, bevor ich eine neue beginnen kann.
Als nächstes steht die Recherche für einen modernen historischen Roman an, wie Clarissa Linden ihn schreibt.

Histo Journal: Das klingt spannend! Vielen Dank für dieses Interview, liebe Christiane! – Übrigens: Graubrot im Karton ist ein tolles Foto. Ob er sich wohl fragt, welche Rolle er im neuen Roman ergattert?

* Achtung! Das heißt nicht, dass das Teufelsmoor ungefährlich ist! {Anm. d. Red.}
** Warum auf Torf verzichten? Zum Beispiel um vorm Aussterben bedrohte Tierarten – deren Lebensraum ausschließlich Moorlandschaften sind – zu schützen. Infos zum Thema gibt es z.B.hier. {Anm. d. Red.}