Constanze Wilken über »Camille Claudel«

In diesem Gastbeitrag erinnert die Autorin Constanze Wilken an die großartige Bildhauerin und Malerin Camillie Claudel, die am 8. Dezember vor 150 Jahren geboren wurde.

Gastbeitrag von Constanze Wilken

Könnte Camille Claudel {1864 – 1943, Todestag 8. Dezember} diese Zeilen lesen, sie hätte vielleicht triumphierend gelacht, wäre für einen Moment glücklich gewesen. Es hätte ihr Genugtuung verschafft, endlich Anerkennung als die großartige Künstlerin zu erhalten, die sie zweifelsohne war.

Aber Camille Claudel wurde 1864 geboren, in einer Zeit, in der Frauen, die sich vom engen Gesellschaftskorsett befreiten, bestraft wurden. Auf vielerlei Arten wurden mutigen, freigeistigen Frauen die Schwingen gestutzt, oftmals bis sie gebrochen zu Boden sanken und keinen Widerstand mehr leisteten. Besonders starke Frauen, die einfach nicht zur Raison gebracht werden konnten und deren Familie sich gegen sie stellte, wurden in Irrenanstalten gesperrt. So auch Camille Claudel. Die letzten dreißig Jahre ihres Lebens musste sie einsam in der Anstalt Montdevergues verbringen. Manch einer will heute beweisen, dass die Bildhauerin schizophren war. All das sind Mutmaßungen. Camille Claudel war eine rebellische, leidenschaftliche junge Frau, eine Nonkonformistin, deren überbordendes Temperament als unschicklich galt und die in eine fatale Liebe zu einem egozentrischen Bildhauerkollegen verstrickt war – Auguste Rodin.

Brief von Camille Claudel aus der Anstalt: »Ich möchte so schnell es geht von hier fort… Ich weiß nicht, ob du die Absicht hast, mich hierzulassen, aber das wäre sehr grausam für mich!«*

Wie konnte es soweit kommen? Das Verhältnis zu ihrer Mutter war von Anfang an schwierig. Camilles Mutter Louise-Athenaïs hatte sich einen Sohn gewünscht, doch der erstgeborene Charles Henri starb mit zwei Wochen. Louise-Athenaïs war ganz dem traditionellen Frauenbild verpflichtet und stellte sich gegen Camilles künstlerische Ambitionen. Ihr Vater Louis-Prosper Claudel, vergötterte Camille, förderte das Talent seiner Tochter. Zu ihm und ihrem Bruder Paul, einem Dichter, hatte Camille ein inniges Verhältnis. Als Kind war sie bereits besessen vom Modellieren und Zeichnen, vergrub sich in ihrer Arbeit, knetete aus Lehm und Sand erste Skulpturen. 1879 zeigte ihr Vater Camilles Jugendarbeiten Alfred Boucher, Bildhauer an der Pariser Kunstakademie. Boucher war von ihren Werken angetan und empfahl den Besuch der Akademie Colarossi.

Camille Claudel

Gegründet von dem Bildhauer Filippo Colarossi {1841-1914} stellte die private Akademie eine Alternative zur staatlichen Ècole des Beaux-Arts dar. Ähnlich, wie die Akademie Julian, wurden in der Kunstschule Colarossi weibliche Studenten zugelassen, denen man auch das Malen nach männlichen Aktmodellen erlaubte. Knapp 17jährig tritt Camille der Akademie bei und stellt 1882 den ›Kopf einer alten Frau‹ und ›Die alte Helene‹ aus.
Weil Alfred Boucher 1883 nach Rom ging, verpflichtete er Rodin als seinen Nachfolger und ermöglichte so die erste Begegnung von Camille als Schülerin mit dem zwanzig Jahre älteren Meister. Es begann eine fünfzehn Jahre dauernde stürmische Beziehung, sowohl auf künstlerischer wie auf erotischer Ebene.
Rodin hatte seit Jahren eine feste Lebensgefährtin, Rose Beuret, die ihn in Notzeiten durch ihre Arbeit als Näherin unterstützt hatte. Der Beziehung mit Rose entsprang der Sohn Auguste Beuret, der gemeinsam mit Camille und deren englischer Freundin Jessie Lipscomb an den Meisterklassen in Rodins Atelier teilnahm. Beuret erzählt über die Zusammenarbeit seines Vaters mit der jungen Camille, dass Rodin sie in allen künstlerischen Belangen zu Rate zog und Entscheidungen über wichtige Schritte stets mit Camille besprach.

»Seit sieben Jahren erschaffe ich Skulpturen und bin Monsieur Rodins Schülerin.«

Zwischen 1884 und 1889 fand die intensivste Zusammenarbeit der beiden Künstler statt. Es stellte sich bald heraus, dass Camille weit mehr als Muse und Geliebte des Meisters war, obwohl ihre Arbeiten in dieser Zeit Rodins Einfluß zeigen. Dazu gehören ›Torso einer stehenden Frau‹ {ca 1888}, ›Torso einer Kauernden‹ {1884-85}. Doch auch Rodin erweiterte sein Ausdrucksspektrum, seine Arbeiten gewinnen an Sensibilität, werden feinfühliger, zarter, wie die Galatea von 1889 zeigt. Der direkte Vergleich mit einer Gipsfigur von Camille Claudel ›Young Girl with a Sheaf‹ {Mädchen mit Garbe}, vor 1887, zeigt ganz deutlich, wie sehr Rodin sich an der Skulptur seiner Assistentin orientiert hat.

Camille hat die Gipsskulptur 1890 in Bronze gegossen und zeigt in dieser Arbeit ihre Meisterschaft in kleinformatigen intimen Skulpturen und ebenso ihr kaufmännisches Talent. Sie stellte zwölf Bronzeabgüsse her und erschuf verschiedene Versionen von ›Young Girl with a Sheaf‹, darunter auch eine in Terrakotta. Die Bildhauerin erwarb sich den professionellen Ruf, die Kontrolle über die gesamte Ausführung der Bronzeabgüsse zu haben. Damals gaben die meisten Künstler ihre Tonmodelle noch an Kunsthandwerker zum Gießen ab.

Die heimliche Liebesbeziehung zwischen Camille und Rodin war von dramatischen Auseinandersetzungen und Versöhnungen geprägt. Im Sommer 1886 reiste Rodin seiner jungen Geliebten nach Peterborough in England nach, wo Camille bei Jessie Lipscombs Familie weilte. Das Wiedersehen verlief unglücklich und nach ihrer Rückkehr kam es zu einem Vertrag zwischen Rodin und Camille, in dem er sie unter anderem als einzige Schülerin verpflichtete, sie seiner Unterstützung bei Ausstellungen versicherte und sich bereit erklärte, bis zum Mai 1887 keine andere Liebesbeziehung einzugehen. Im Gegenzug sollte Camille ihn viermal im Monat in ihrem Atelier empfangen. Eingehalten wurden diese Abmachungen jedoch nicht vollständig.

»Seit sieben Jahren erschaffe ich Skulpturen und bin Monsieur Rodins Schülerin«**, schreibt Camille in einem Brief, der auf den 27. Oktober 1889 datiert ist, an den Minister für Öffentlichkeitsarbeit und die Schönen Künste. Diese Aussage sollte nicht über Camilles wachsende Eigenständigkeit hinwegtäuschen, wie bereits die Ähnlichkeit von Rodins ›Galatea‹ und Camilles ›Mädchen mit Garbe‹ bewies. Rodin ließ Camille sogar Teile seiner Werke ausarbeiten. Der Kopf des Geiz in Geiz und Wollust wird ihr zugeschrieben, auch die Köpfe in Sklave und lachender Mann. Während dieser beinahe symbiotischen Zusammenarbeit erschafft Rodin einige seiner bedeutendsten Arbeiten ›Der Denker‹, ›Die Bürger von Calais‹ und den ›Kuss‹. Und immer wieder tauchen Camilles Gesicht oder ihr Körper in seinen Werken auf.

Camille porträtierte ihren Mentor 1889 in einer Büste, erfuhr Lob durch die Salonkritiker und die großartige Gruppe ›Sakuntala‹ entsteht um 1888. Wieviel in Rodins ›Kuss‹ ist von Camille? Die Arbeit spricht ganz ihre Sprache. Die beiden Künstler haben sich gegenseitig zu neuen Höchstleistungen angespornt. In den Augen der Öffentlichkeit jedoch war Camille zuerst die Frau, Geliebte, Assistentin, dann Künstlerin. Sie kämpfte gegen die Ablehnung von Mutter und Schwester, für die sie einen Schandfleck darstellte. Bis dahin lebte sie noch zu Hause, reiste in den Sommern 1890 und 1891 mit Rodin zum Chateau l’Isette. Sie nutzte jede Gelegenheit, der häuslichen Enge zu entfliehen, wollte nur arbeiten, dem Geliebten nahe sein und fühlte sich gleichzeitig erdrückt.

Rodin weigert sich Rose Beuret zu verlassen, es kommt zu entsetzlichen auch handgreiflichen Auseinandersetzungen und 1892 zieht Camille in eine eigene Wohnung am Boulevard d’Italie. Sicher auch deshalb, weil Rodin in der Nähe im Palais Folie-Neufbourg, ein geheimes Atelier unterhielt, in dem sich die beiden Künstler trafen. Im schriftlichen Nachlass von Jessie Lipscomb wird angedeutet, dass aus der Verbindung zwei uneheliche Kinder hervorgegangen sind. Die Sommerreisen können auch diesen heimlichen Geburten geschuldet sein.

Rodin setzte sich weiter für Camille ein, schickte Empfehlungsschreiben an Zeitungen und verwandte sich bei der nationalen Gesellschaft der bildenden Künste für sie. Doch das Dreiecksverhältnis zwischen ihm, Rose und Camille zermürbte die Beteiligten. Camille wünschte sich nicht nur die künstlerische Gemeinschaft mit dem Geliebten, sondern auch die offizielle Anerkennung als Ehefrau. Doch Rodin verweigerte ihr diesen sehnlichen Wunsch. Für Camille bedeutete diese Weigerung, dass sie für ihre bürgerliche Familie eine Mätresse und damit der Inbegriff der Liederlichkeit war. Solange sie zu Hause wohnte, versuchte sie, das Verhältnis zu verbergen.

»Heute vor vierzehn Jahren hatte ich die unangenehme Überraschung, zwei bis auf die Zähne bewaffnete, behelmte, gestiefelte und in jeder Beziehung bedrohliche Schergen in mein Atelier eindringen zu sehen.«

1893 trennte sich Camille beruflich und privat von Rodin. Sie verließ sein Atelier und arbeitete nur noch in ihrer Wohnung. Eine kurzfristige Liaison verband Camille 1888-89 mit dem Musiker Claude Debussy. Camille war sehr musikalisch, lobte auch Mussorgski und schuf ›Der Walzer‹, ›Der Geiger‹ und ›Die kleine Sirene‹. Weitere Meisterwerke dieser Jahre sind ›Die Kleine von Islette‹, ›Clotho‹, die Dreierfigur ›Das reife Alter‹. Die Gipsversion des reifen Alters wurde im Juni 1899 im Salon des Beaux-Arts gezeigt. Interessant ist, dass Rodin zu dieser Zeit Präsident der Jury war und eine Bronze nicht in Auftrag gegeben wurde. Auch 1900 auf der Weltausstellung, auf der Rodin im Pavillon de l’Alma triumphierte, wurde Camille Claudels Werk abgelehnt und es hieß, dass er persönlich für den Ausschluss gesorgt hatte.

Für Camille begannen Jahre der einsamen Kämpfe in ihrem Atelier, sie zog sich zurück, verbittert, wütend auf sich, Rodin, die Gesellschaft. Sie wurde zur Meisterin verinnerlichter Bildhauerei, wie ihr Bruder Paul später schrieb. Gleichzeitig schimpfte sie auf Rodin, nannte ihn das Frettchen, gab ihm die Schuld an ihrer finanziellen Not. Doch er war es, der 1895 einen staatlichen Auftrag für ›Sakuntala‹ in Marmor erbat, allerdings ohne Erfolg. Unterstützung fand sie nun durch private Mäzen wie Mathias Morhardt, Léon Gauchez, oft mit Rodins diskreter Hilfe, die Rothschilds bestellten eine Bronze von ›Das reife Alter‹ und die Herzogin de Maigret gab Portäts in Auftrag und kaufte ›Perseus und Gorgon‹.

Was trieb die enttäuschte Camille dazu, sich in Unrat und Chaos in ihrer winzigen Wohnung zu verbarrikadieren? War es tatsächlich eine leichte Form von Schizophrenie oder hat sie sich einfach aufgegeben, ist an der Welt, den Normen, und letztlich sich selbst zerbrochen? Rodin lebte so, wie sie es gewollt hätte, er nahm sich Mätressen, stellte aus, lehrte, fand öffentliche Anerkennung – während man sie schmähe und belächelte, später verstieß.

Camille Claudel bei der Arbeit
in ihrem Atelier

1913 schließlich kam es zur Katastrophe. Rodin ist inzwischen selbst ein alter Mann, vom ausschweifenden Leben gezeichnet. Nie vergaß er Camille, schickte ihr Geld durch Morhardt. Doch Camille spricht von Verfolgung, traut sich nicht mehr aus ihrer Wohnung, wähnt Giftanschläge, ernährt sich nicht mehr richtig und zerstört viele Werke selbst. Sie öffnet Briefe nicht, erfährt so nicht vom Tod ihres geliebten Vaters am 4. März. Ihr Vater hatte immer schützend seine Hand über sie gehalten. Kaum ist er unter der Erde, lassen ihre Mutter und ihre Schwester die verhasste Schwester zwangseinweisen. Die gewaltsame Einweisung der Künstlerin erregte schon damals Kritik, doch das Attest von Dr. Mischaux reichte aus, sie dreißig Jahre wegzusperren. Niemand besuchte sie und ihre Mutter und Schwester lehnten ihre Entlassung, die 1920 von den Ärzten empfohlen wurde, ab.
Camille schreibt 1927 aus der Anstalt: »Heute vor vierzehn Jahren hatte ich die unangenehme Überraschung, zwei bis auf die Zähne bewaffnete, behelmte, gestiefelte und in jeder Beziehung bedrohliche Schergen in mein Atelier eindringen zu sehen. Traurige Überraschung für eine Künstlerin; statt einer Belohnung ist mir das passiert! Ausgerechnet mir muß so etwas passieren…«***

Wie muss diese talentierte leidenschaftliche Frau gelitten haben – ihre wundervollen Skulpturen erzählen uns alles und mehr.

Literatur
Anne Delbée Der Kuss – Kunst und Leben der Camille Claudel, Goldmann Verlag 1985
Reine-Marie Paris: Camille Claudel, S. Fischer Verlag 1989; 8. Auflage 1999; 1984 französische Originalausgabe; Verlag Gallimard
Informationen zum Werk.
Camille Claudel, Film von 1989 mit Isabelle Adjani, Gérard Depardieu
{*} Zitiert aus: Anne Delbée, Seiten 69, 382