Hörbuch Rezension: Bühlerhöhe

Hörbüch Rezension: »Bühlerhöhe«

Gehört & notiert von Alessa Schmelzer


Autor: Brigitte Glaser
Hörspielbearbeitung: Regina Carstensen
Regie: Elias Koraus und Johanna Steiner
Aufnahme, Schnitt, Mastering: Eimsbütteler Tonstudio, Hamburg, Juni 2016
Sprecherin: Anne Moll
Verlag: Ullstein Buchverlage – HörbucHhamburg

Inhalt:
Rosa Silbermann wird 1952 mit einem geheimen Auftrag in das Nobelhotel Bühlerhöhe geschickt. Die in den 1930ern aus Köln nach Palästina emigrierte Jüdin arbeitet für den israelischen Geheimdienst. Ihre Gegenspielerin ist die misstrauische Hausdame Sophie Reisacher. Sie musste 1945 das Elsass verlassen und sucht nun in der Bühlerhöhe ihre Chance zum gesellschaftlichen Aufstieg. Beide haben erlebt, was es heißt, wenn ein Land einen Neuanfang wagen will. Keine von ihnen vertraut der beschaulichen Schwarzwaldidylle. Beide wissen von einem geplanten Attentat auf Bundeskanzler Adenauer, und jede verfolgt ihre eigenen Ziele …
Ein besonderer Spannungsroman basierend auf wahren Begebenheiten, gelesen von Anne Moll.

Ab 12 Jahren
8 CDs, 582 Minuten Laufzeit
ISBN 978-3-95713-047-1
Erschienen am 12.08.2016
Preis: 20,00 Euro

Hörprobe auf der Website des HörbucHHamburg Verlages.

»Wenn du Angst hast, kannst du alles.«

Nach vielen Jahren kehrt die Jüdin Rosa Silbermann als Agentin des Mossads ins Land der Schlächter zurück. Ihr Auftrag ist so einfach wie kompliziert. Als Ehefrau des Agenten Ari Goldberg getarnt, soll sie ein geplantes Attentat auf den deutschen Bundeskanzler Adenauer verhindern. Dabei ist weniger ihr Geschick als Agentin gefragt, sie ist nämlich keine, sondern ihre profunden Ortskenntnisse. Vor der Machtübernahme der Nazis mitsamt ihrer begeisterten Anhängerschaft verbrachte sie als Kind mehrfach mit ihren Eltern und Geschwistern unbeschwerte Ferien im Schwarzwald. Ab und an auch mit ihrem Großvater, der im Nobelhotel Bühlerhöhe logierte. Rosas Erinnerung an diese Urlaube sind lebendig und so ist ihre Furcht vor diesem Ort verständlich. Denn auch wenn sich Rosa und ihre Schwester retten konnten, anderen war dies nicht gelungen. Jetzt, nur sieben Jahre nach Ende des Krieges, zurück nach Deutschland zu reisen und dort womöglich noch mit Menschen verkehren zu müssen, die den Schlächtern zuvor in die Hände spielten – das ist ein emotionaler Drahtseilakt. Das Fokussieren auf den Auftrag – Adenauer retten, um das Luxemburger Abkommen nicht zu gefährden – gelingt ihr angesichts dieser Problematik nicht immer …

Zumal die Hausdame der Bühlerhöhe, Sophie Reisacher, in Rosa mehr als nur die Ehefrau Ari Goldbergs zu sehen glaubt. Immer muss sie über ›alles‹ informiert sein, muss jedes noch so gut gehütete Geheimnis über die Gäste des Nobelhotels herausbekommen. Reisachers Charakter als neugierig zu beschreiben wäre hier bei Weitem noch untertrieben. ›Die Reisacher‹ ist vielmehr eine Frau mit Ambitionen, auf der Suche nach dem richtigen Mann, der ihr ein sorgenfreies Leben garantieren und neben dem sie als Dame von Welt glänzen kann. Und den glaubt sie auch gefunden zu haben, wenn nur diese Goldberg nicht wäre!

Und dann gibt es da noch ›die› Agnes, ebenso naiv wie jung. Sie wirkt wie ein scheues Reh, stets darauf bedacht nicht aufzufallen, sich unter allen Umständen im Hintergrund zu bewegen. Sie arbeitet im Hotel Hundseck, das weniger mondän als die Bühlerhöhe ist. Rosa, Sophie und Agnes begegnen sich als Fremde, es gibt auf den ersten Blick nichts, das sie miteinander verbinden könnte. Und dennoch sind ihre Vergangenheit und Schicksale auf vielfältigste Art und Weise miteinander verbunden.

»Die haben ihre brutale Methode nicht an der Garderobe der neuen Republik abgegeben.«

Vor diesem Hintergrund entwickelt sich eine spannende Geschichte, deren Sogwirkung sich der Hörer nur schwerlich zu entziehen vermag. Durchaus, denkt der geneigte Hörer, so hätte es wirklich passieren können, denn Glaser versteht es blendend Fiktion und Realität miteinander zu verbinden. Auch wenn ein Attentat auf Adenauer auf der Bühlerhöhe zu keinem Zeitpunkt stattgefunden hat, er war 1952 nicht einmal dort, diskutierte man im September des Jahres 1952 in Deutschland das Wiedergutmachungsgesetz mit Israel {Luxemburger Abkommen}. Adenauer, sozusagen der ›Architekt‹ dieser Versöhnung zwischen Deutschland und Israel, zwischen Juden und Deutschen, erntete für seinen Willen einer materiellen Entschädigung für das erlittene Leid der Juden unter den Nazis nicht nur Wohlwollen. Es glich vielmehr einem zähen Ringen, denn niemand gedachte »das große Maß an Vertrauen und Freundschaft, das Deutschland seit langer Zeit in der mohammedanischen Welt«{1} genoss, für dieses Abkommen auf’s Spiel zu setzen. Und auch Israel war nicht einstimmig dafür. Jüdische Partisanen weigerten sich das ›Blutgeld‹ anzunehmen. Insgesamt drei Briefbombenattentate gab es während der Verhandlungen zum Wiedergutmachungsgesetz. Adenauer ließ sich davon nicht einschüchtern.

Anne Moll in Bestform

Auch wenn Adenauer 1952 weder mit seiner Tochter im Nobelhotel Bühlerhöhe logierte noch demzufolge ein Attentat hätte verübt werden können, so entspinnt Glaser hier ein packendes und schnell an Fahrt aufnehmendes Szenario, das äußerst real wirkt.
Zudem hat die Produktion in der Sprecherin Anne Moll einen Glücksgriff getan. Sie erzählt die Geschichte so glaubhaft, schlüpft so souverän in die verschiedenen Frauenrollen, dass es eine wahre Freude ist ihr zuzuhören. Und – ganz ehrlich gesagt – man auch überhaupt nicht mehr aufhören möchte ihr zuzuhören. Moll verleiht jeder der drei Frauenfiguren eine eigene Stimmfärbung, die nicht nur wunderbar auf den jeweiligen Charakter abgestimmt ist, sondern den Hörer nie im Unklaren darüber lässt, aus wessen Perspektive just erzählt wird. Es ist ein wenig als verschmelze sie mit Rosa, Sophie oder Agnes. Mag der Begriff auch ein wenig überstrapaziert sein – Moll kreiert dank der warmen Klangfärbung ihrer Stimme und der fein modulierten Sprechweise allerfeinstes Kopfkino.

HörbucHHamburg wirbt zu Recht mit dem Slogan ›Qualität, die man hören kann‹. An der hochwertigen Produktion gibt es fast nichts auszusetzen. HörbucHHamburg bietet das Hörbuch in einer Klappdeckel-Box an. Bis auf ein abgedrucktes Kurzinterview {bestehend aus vier Fragen} gibt leider wenig Zusatzmaterial. Wünschenswert – kaum verwunderlich – wäre zudem eine ungekürzte Lesung gewesen.

Fazit

Das Hörbuch »Bühlerhöhe« gehört zu den Hör-Highlights 2016. Glaser liefert eine spannungsgeladene Geschichte aus dem Nachkriegsdeutschland, die all die Schwierigkeiten jener Zeit am Beispiel der drei Frauenfiguren fein seziert und deren innewohnende Dramatik schonungslos offenlegt.
Anne Moll erweist sich als ideale Sprecherin für diesen zeitgeschichtlichen Thriller. Absolut fesselnd und sophisticated.

Anne Moll, 1966 geboren, studierte an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. Sie ist dem Fernsehpublikum bekannt aus der ARD-Serie Rote Rosen und leiht als Synchronsprecherin Mariah Carey und Carmen Electra ihre Stimme. Für ihre Lesungen von Dan Browns Meteor und Iny Lorentz’ Die Wanderhure erhielt sie die Goldene Schallplatte.

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Die Autorin

autorFoto ©MEYER ORIGINALS

Geboren 1955 in Offenburg. 1974 Abitur in Achern. 1975-1980 Studium der Diplom-Sozialpädagogik in Freiburg. 1980 Wechsel nach Köln. Dort Arbeit in der offenen Jugendarbeit, im Medienbereich und in der Erwachsenbildung. 1996 erscheint mit »Kölsch für eine Leiche« der erste Krimi, 2001-2008 »Tatort Veedel – Orlando & List ermitteln« eine Kurzkrimi-Serie im Kölner Stadtanzeiger, 2003 mit »Leichenschmaus«, der erste Katharina-Schweitzer-Krimi, 2010 mit »Schreckschüsse«, das erste Jugendbuch, 2016 mit »Bühlerhöhe« erster Roman.

Seit 2008 freie Schriftstellerin in Köln.

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Der Roman »Bühlerhöhe« war unser Histo Journal Tipp im Monat August 2016!

Die Zitate in den Überschriften stammen aus »Bühlerhhöhe«. {1} Dr. Walther Hasemann, FDP, Dokumente, Deutscher Bundestag.