David Foenkinos – Charlotte

»Leben? Oder Theater? Ein Singspiel«

Histo Journal Hörbuchbesprechung: »Charlotte« von David Foenkinos

Gehört & notiert von Alessa Schmelzer

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»Charlotte«
Autor: David Foenkinos
Sprecher: Devid Striesow
Regie: Joachim Hoell
Fassung: ungekürzte Lesung
Übersetzung: Christian Kolb
Laufzeit: 4 Stunden und 57 Minuten {4 CDs}
Verlag: Der Hörverlag 2015

Das schön gestaltete Digifile enthält 4 CDs. Informationen zur Malerin, dem Autor und dem Sprecher sind auf auf der Innenseite des Digifiles abgedruckt.

Inhalt
»Das ist mein ganzes Leben« – mit diesen Worten übergibt Charlotte einem Vertrauten kurz vor ihrem Tod einen Koffer voller Gemälde. Bilder, die ihre viel zu kurze Geschichte erzählen: von ihrer Kindheit im Berlin der 20er Jahre, dem frühen Tod der Mutter, dem Zugang zu Berlins Künstlerkreisen durch die neue Frau des Vaters, dem Studium an der Kunstakademie, dem Leben als Malerin. Und dann: Flucht vor den Nationalsozialisten nach Südfrankreich, Liebe, Hochzeit und schließlich Tod im KZ Auschwitz. Nur Charlottes Bilder überleben – und damit ihre Geschichte, die David Foenkinos anrührend erzählt. »Charlotte« ist das Porträt eines verheißungsvollen Lebens, das viel zu früh beendet wurde.

Ein Leben in Bildern

David Foenkinos ist ein Bestsellerautor. Ein Schriftsteller, der sich mit teils skurrilen, teils melancholischen Geschichten in die Herzen unzähliger Leserinnen und Leser geschrieben hat. Seine Romane sind nicht nur in etliche Sprachen übersetzt worden, ein paar dienten auch als Vorlage für ein paar Verfilmungen. Jetzt überrascht der Autor mit einem nachdenklich stimmenden Buch über die Malerin Charlotte Salomon, die mit nur 26 Jahren – und zudem im fünften Monat schwanger – im Oktober 1943 im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ermordet wurde.

Charlotte Salomons Leben war ein von tragischen Erlebnisses durchsetztes. Gerade neun Jahre war sie alt, als ihre Mutter starb. Erst 1940 im Exil in Südfrankreich, wohin auch ihre Großeltern geflohen waren, erfährt die Malerin die tragische Wahrheit. Auslöser ist der Tod ihrer Großmutter, die sich durch einen Fenstersprung das Leben nahm. Jetzt erfährt Charlotte Salomon die ganze Wahrheit: Nicht nur die Großmutter verübte Suizid, auch Charlottes Tante hatte den Freitod gewählt und – besonders schmerzhaft – sogar die eigene Mutter. Fortan ist Charlotte Salomon ängstlich; wird dieser Wahnsinn, der die Frauen ihrer Familie überfällt und in die Selbsttötung führt, auch sie heimsuchen? All das Leid und die eigene Angst überwindet Charlotte Salomon schließlich mit Kunst. Im Malen und mehr noch, im Malen ihres eigenen Schicksals findet sie Zuflucht und Erlösung. Zwischen 1940 und 1943 entstehen über 1000 Guoachen expressionistischen Stils, in denen Salomon ihre eigene Lebensgeschichte dezidiert wiedergibt. »Leben? Oder Theater? Ein Singspiel«, nennt die Künstlerin ihr Werk.

Gleich als Foenkinos’ Roman erschien sorgte er für Aufregung, denn er kleidete seine Geschichte in eine besondere Form. Jeder Satz beginnt in einer neuen Zeile. Anders, so erklärte der Autor in einem Interview, hätte er den Roman nicht schreiben können. Für Foenkinos ergab sich diese Form zwingend aus seinem Sujet. Doch wie gelingt die Umsetzung dieser formalen Vorgabe für das Hörbuch? Nun. Wer um den just genannten formalen Aspekt nicht weiß, der wird das Hörbuch unter dieser Prämisse freilich nicht hören. Alle anderen können sich glücklich schätzen, dass die Produktion Devid Striesow als Sprecher hat für das Projekt gewinnen können. Einfühlsam und mit ruhiger Stimme erzählt er Salomons Geschichte, lässt seine Hörer nicht nur tief in die Erlebnis- und Gedankenwelt der Malerin eintauchen, sondern auch in die des Autors selbst. Denn dieser hat – ein weiteres ungewöhnliches Unterfangen für einen Autor – sich selbst auch in diesen Roman eingebracht. Foenkinos hat seine eigenen Empfindungen – wie er auf das Thema kam, was er denkt und fühlt – eingebracht. So wird die Geschichte immer wieder von persönlichen Einschüben Foenkinos unterbrochen.

Fazit

Foenkinos’ Roman ist eine Hommage an die Malerin Charlotte Salomon. »Sie spricht zu mir«, sagte der Autor in einem Interview. »Sie verkörpert alles, was ich liebe, sie hat mich aufgewühlt.« Das ist es, was der Hörer diesem Hörbuch anmerkt. Die Liebe Foenkinos zu dieser außergewöhnlichen Malerin. Mit diesem Buch hat er Charlotte Salomon und ihre Kunst für viele Menschen wiederentdeckt.
Wieder einmal eine gelungene Sprecherbesetzung des Hörverlags. Devid Striesows unaufgeregter Erzählton lässt dem Hörer genügend Zeit, die Geschichte aufzunehmen und zu verarbeiten.

David Foenkinos, 1974 geboren, lebt als Schriftsteller und Drehbuchautor in Paris. Seit 2002 veröffentlicht er Romane, darunter den Millionenbestseller »Nathalie küsst«, der von Foenkinos selbst {zusammen mit seinem Bruder Stéphane} mit Audrey Tautou und François Damiens in den Hauptrollen verfilmt wurde. Seine Bücher werden in rund vierzig Sprachen übersetzt. Sein neuer Roman, »Charlotte«, wurde 2014 mit dem Prix Renaudot und dem Prix Goncourt des lycéens ausgezeichnet und hat sich allein in Frankreich rund eine halbe Million Mal verkauft.

Weitere Informationen sowie eine Hörprobe auf der Website des Hörverlags.