Buchbesprechung: Veneda Mühlenbrink – Odéonia, Paris

Histo Journal Besprechung: Veneda Mühlenbrink – »Odéonia, Paris«

Gelesen & Notiert von Alessa Schmelzer

Inhalt
Odéonia, Paris
Eine Liebe, zwei Buchhändlerinnen und die Welt der Bücherfreunde

Inhalt
Paris, 1917. Im Herzen der Stadt begegnen sich zwei passionierte Buchhändlerinnen: Sylvia Beach und Adrienne Monnier. Fast vierzig Jahre lang wird das Paar in der Rue de l’Odéon seine Buchläden betreiben, Sylvia ›Shakespeare & Company‹, Adrienne schräg gegenüber das ›La Maison des Amis‹ des Livres. Ihr Straßenzug, von Adrienne Monnier »Odéonia« getauft, wird zum Treffpunkt einer regen Literaturszene, in der neben freiheitsliebenden Mäzenatinnen, amerikanischen Autorinnen und Intellektuellen wie Djuna Barnes, Gertrude Stein oder Nathalie Barney auch angehende Schriftsteller verkehren, darunter Ernest Hemingway und Thornton Wilder. An der Rive gauche entsteht eine Gemeinschaft aus Menschen, die als »Lost Generation« schreibend die Alte Welt verändert, von den Goldenen Zwanzigern über die Weltwirtschaftskrise, dem Zweiten Weltkrieg bis hin zur Nachkriegszeit. Sylvia Beach ist es, die James Joyce’s »Ulysses« verlegt, den sich niemand zu verlegen traute – ihre mutige Tat wird zum grandiosen Erfolg, aber auch zur größten Belastungsprobe für die Beziehung der beiden Frauen.
Veneda Mühlenbrink erzählt erstmals in einem Roman die facettenreiche Geschichte dieses Paares nach, so wie sie anhand der historischen Fakten vorstellbar wird.

Paperback
ca. 198 Seiten
ISBN 978-3-89741-392-4
Auch als eBook erhältlich
Preis: 15,00 Euro

Eine Leseprobe finden Sie auf der Website des Ulrike Helmer Verlages.

»Ich habe Adrienne verloren – es ist sehr traurig hier ohne sie.« {Prolog, Sylvia Beach an Ernest Hemingway}

Allein sitzt Sylvia Beach 1961 im »Les Deux Magots«. Es ist der 3. Juli und die ›New York Times‹ titelt an jenem Tag: »Hemingway Dead of Shotgun Wound; Wife Says He Was Cleaning Weapon.« Sylvia indes weiß es besser. Mitnichten hat sich ein Schuss beim Säubern aus Hemingways Waffe gelöst und ihn getötet. Sie kannte Hem besser, denn damals in Paris sprach er oft und gerne über den Freitod. Und nicht nur er. Nur war Paris, war das »Les Deux Magots« damals ein anderer Ort … 

»Eine Liebe, zwei Buchhändlerinnen und die Welt der Bücherfreunde« – So lautet der Untertitel dieses Romans. Ein dezenter Hinweis vielleicht für all jene, die mit dem eigentlichen Titel »Odéonia, Paris« nicht sogleich die Buchhändlerinnen – sowieso eine ein wenig irreführende Bezeichnung, waren doch beide so viel mehr als das – Adrienne Monnier und Sylvia Beach sowie die gesamte Pariser Literaturszene {inklusive des legendären Salons der Schriftstellerin Gertrude Stein, die den Begriff ›Lost Generation‹ erdachte hatte} der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts verbinden. Beach und Monnier, über viele Jahre lang ein Liebespaar, bildeten so etwas wie das literarische Zentrum jener Zeit. In ihren Läden in der Rue l’Odéon – Beach gehörte das »Shakespeare & Company«, Monnier das »La Maison des Amis des Livres« – trafen sich Schriftsteller wie Andre Gidé, Ernest Hemingway oder Paul Valéry und viele andere. Gekonnt kleidet die Autorin ihr reichhaltiges Wissen um Beach, Monnier, deren Liebe zur Literatur sowie das Geflecht des gesamten Pariser Zirkels in eine spannende Geschichte, in der Fiktion und Wahrheit auf elegante Art und Weise miteinander verwoben werden und das intellektuelle Paris somit zu neuem Leben erweckt.

»Mein Anliegen war nicht, diese reichhaltige Literatur nachzuerzählen, sondern der treibenden Kraft hinter alledem nachzuspüren: der Liebe zwischen Sylvia und Adrienne.«

So die Autorin im knapp gehaltenen Nachwort des Romans. Eine Liebe, die in Büchern zumeist nicht sonderlich ausführlich thematisiert wird, wenn sie überhaupt erwähnt wird. Das ist sehr bedauerlich, haben Sylvia und Adrienne doch das Potential einer echten ›true love story‹ inklusive aller Höhen und Tiefen, die eine solche Beziehung mit sich bringt. Nicht zu vergessen der berühmte ›love at first sight‹ Moment, den die Autorin wunderbar erzählt. Beachs und Monniers zweites Zusammentreffen ist sodann intensiv, die Anziehung zwischen beiden deutlich spürbar und der gemeinsam verbrachte Abend, so wie die sich daran anschließende Nacht ist als durchaus stürmisch zu bezeichnen. Beach, die eigentlich in New York eine französische Buchhandlung eröffnen wollte, beschließt am Morgen kurzerhand in Paris zu bleiben: »Voilà! Darling, ich geh hier nicht mehr weg.« Wie heißt es so schön? Der Liebe wegen …

»Syl – einige Frauen haben Kinder, du hast jetzt Ulysses. Bis der groß und stark ist, bist du berühmt oder pleite.« {S. 114}

Die erste – und letztlich wohl auch einzige – echte Bewährungsprobe dieser Liebe lässt allerdings nicht lange auf sich warten. Sie kommt in Gestalt eines Mannes daher. Sein Name lautet James Joyce. Sylvia Beach ist wie elektrisiert – und zwar von seinem Talent als Schriftsteller. Beach erkennt in seinem noch unfertigen Roman »Ulysses« etwas Großartiges. Also das, was die Literaturwissenschaft heute feiert: einen Schlüsselroman der modernen Literatur. Virginia und Leonard Woolf mochten Joyces Geschichte aufgrund seines skandalösen, weil als obszön geltenden, Inhaltes in ihrem Verlag ›Hogarth Press‹ nicht publizieren. Anders als die Woolfs verfügt Beach zwar über keinerlei verlegerische Erfahrung, geschweige denn über das dafür nötige finanzielle Startkapital, dennoch bietet sie Joyce auf einer Party kurzerhand an seinen »Ulysses« herauszubringen {allerdings wird auch sie die heftigsten Stellen nicht publizieren}. Aus unternehmerischer Sicht ein echtes Himmelfahrtskommando, denn die Arbeit mit dem blasierten Autor ist zeitraubend, unrentabel und darüber hinaus Mehrkosten verursachend. Denn die verlegerische Arbeit am »Ulysses« ist ein anstrengender Kraftakt, sowohl für den Autor als auch für Beach, die für Joyce vieles in einem war: Lektorin, Verlegerin, Kontaktherstellerin und – last but not least – eine Privatbank. Und überdies es ist auch eine Herausforderung für Adrienne Monnier, denn dieses ›Joyce hier, Joyce da‹ Getue bringt sie so manches Mal an den Rand ihrer Geduld. Keine Frage, sie ist eifersüchtig auf den irischen Autor, um dessen Werk die Gedanken ihrer Geliebten Tag und Nacht kreisen …
Mit »Odéon, Paris« begibt sich der Leser auf eine sinnliche Zeitreise in das Paris 20er und 30er Jahre und verliert beim Lesen das Hier und Heute vollkommen aus dem Blick. Am Ende des Romans angelangt, denkt der Leser: Ja, so hätte das alles sein können, die Liebes- und Lebensgeschichte von Sylvia Beach und Adrienne Monnier und ist traurig, dass er ihre Welt schon wieder verlassen muss.

Extras

Das besondere Extra ist in diesem Fall das äußerst gelungene Cover des Romans. Der Ulrike Helmer Verlag – der 2017 übrigens sein 30jähriges Jubiläum feiert {Gratulation!} – hat dem Buch ein schönes Cover verpasst, das die Lesefreude auf die Geschichte noch verstärkt. Beim Betrachten drängt sich überdies der Gedanke an Sylvia Beach auf, ohne deren verlegerischen Mut und anhaltenden Enthusiasmus Joyces »Ulysses« 1922 sicherlich nicht das Licht der Welt erblickt hätte … 

Fazit

»Odéonia, Paris« ist vor allem eines: eine wunderbar erzählte Liebes- und Lebensgeschichte der beiden Frauen Sylvia Beach und Adrienne Monnier, in der Fiktion und Wahrheit kunstvoll miteinander verwoben sind. Mit viel Fein- und Sprachgefühl zeichnet die Autorin ihre Figuren und erweckt diese im Paris der 20er und 30er Jahre zum Leben. Fern des Mainstreams ist Mühlenbrinks Roman eine echte Entdeckung. Unbedingt lesenswert!

Die Autorin

Autorin
Foto: ©Ulrike Helmer Verlag

Veneda Mühlenbrink debutierte 2001 mit dem Roman »Connys Reise«. Ihr bislang größter Erfolg wurde »Irgendwo auf der Welt fängt mein Weg zum Himmel an«, die Lebensgeschichte einer 98-Jährigen, die über zwei Jahre bis zu ihrem Tod begleitet wurde {Helmer, 2010}. Die Autorin lebt nahe Hannover sowie in Berlin. Teile ihres neuen Romans »Odéonia, Paris« entstanden stilecht im Pariser Café Les Deux Magots …

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