Rosenstengel – Ein Manuskript aus dem Umfeld Ludwig II.

Die Buchpremiere im Kölner Literaturhaus von
Angela Steidele: »Rosenstengel. Ein Manuskript aus dem Umfeld Ludwig II.«
Das Histo Journal hatte im Vorfeld Gelegenheit zum Gespräch mit der Autorin.

Weib, Wahn und Wasser

Gelesen & Notiert von T.M. Schurkus


»Rosenstengel. Ein Manuskript aus dem Umfeld Ludwig II.
Angela Steidele

Als der bayerische Märchenkönig Ludwig II. durch den Arzt Franz Carl Müller zufällig von dem delikaten Fall des Anastasius Rosenstengel erfährt, lässt ihn dessen eigentümliches Schicksal nicht mehr los. Er drängt den Mediziner, ihn in seine Recherchen einzuweihen, die Unglaubliches zutage fördern: Rosenstengel zog als Prophet umher, kämpfte als Musketier im Spanischen Erbfolgekrieg und heiratete mit kirchlichem Segen, um schließlich der Maskerade überführt zu werden – einer Maskerade, die alle Grenzen überschreitet. Mal zärtlich, mal deftig entwirft Angela Steidele einen atemberaubenden historischen Briefroman über Trug, Wahn, Leidenschaft und Irrsinn. Und über die Frage, wie viel Liebe das Leben und wie viele Leben die Liebe fassen kann …

Histo Journal Buch des Monats Oktober 2015!

Weib

Frauen in Männerkleidung sind in historischen Romanen ein beliebtes Sujet. Meist aber kehren sie nach überstandenen Abenteuern in ihre Zeit- und Geschlechts spezifische Kleidung zurück. Anders die verbürgte Gestalt der Catharina Linck – sie behielt die Hosen an und heiratete eine Frau. Welche Folgen das für sie hatte, kann man im Briefroman »Rosenstengel« nachlesen.

Die Mode der Zeit sah langhaarige Perücken vor,
sodass auch ein König feminin wirken konnte.

Man darf der Autorin nicht alles glauben {wohlgemerkt aus eigenem Wunsch}, aber Catharina Linck hat es tatsächlich gegeben. Sie trat überwiegend als Anastasius Rosenstengel auf – ein telling name wie er im Buche steht, denn Anastasius bedeutet ›der Auferstandene‹ und Rosenstengel meint natürlich, weniger poetisch, die ›lederne Wurst‹, mit der das männliche Erscheinungsbild vervollständigt wurde. So ausgestattet tat Rosenstengel nicht nur sieben Jahre lang Dienst als Musketier im spanischen Erfolgekrieg, sondern trat auch als Prophet in pietistischen Gemeinden auf.
Und natürlich muss man die Autorin fragen, wie man auf solch eine ungewöhnliche Lebensgeschichte stößt. Im Archiv; zuvor aber in der Fußnote einer Arbeit des Dr. F.C. Müller, der sich aus medizinischer Sicht mit der gleichgeschlechtlichen Liebe, Mannfrauen und Fraumännern auseinandersetzte. Und dann fand sich auch noch der Hinweis, dass dieser Dr. Müller an anderer Stelle der Geschichte von sich Reden gemacht hatte: Er fand den toten König Ludwig II und Dr. Gudden am Starnberger See.
Durch diese Verbindung wurde aus Dokumenten ein Briefroman.

Wahn

Ludwig II.

In »Rosenstengel« erfährt Ludwig II durch eben jenen Dr. Müller von den Briefen, in denen es um Catharina Linck geht – das ist Fiktion. Fakt ist, dass auch Ludwig von Bayern zu den historischen Personen gehörte, die sich selbst durch Maskerade und Inszenierung erfunden haben. Diese Konstruktion einer Identität sieht Angela Steidele als zentrales Thema ihres Buches: »Wir erfinden unser Leben die ganze Zeit. Welches Leben ist authentisch? Was ist ›Flucht‹?« Zu dieser Frage gehört der Brief beinahe als natürliches Dokument. Die Spannung im Text entsteht dabei durch das Nebeneinander von Briefen, in denen sich jemand über sich selbst äußert und aus Briefen, in denen über diese Person gesprochen wird. Diese Dynamik ist allerdings den {grafisch abgesetzten} Passagen vorbehalten, in denen es um Ludwig II geht, denn – damit ist nicht zu viel verraten – Briefe aus der Feder von Rosenstengel finden sich nicht. Ludwig erscheint in seiner eigenen Schreibe keineswegs als wahnsinnig, manchmal als etwas verschroben, aber im seinem Liebeswerben um den jungen Arzt als liebenswert. In den Briefen der Ärzte aber ist er ein pathologischer Fall: Gleichgeschlechtliche Neigungen, Verschwendungssucht, immer neue Maskerade.

Porträt einer Irrsinnigen von Goya
Man erkennt in seinem Schicksal sehr deutlich eine historische Zäsur: Ende des 19 Jahrhunderts konnte das Bürgertum den Adel pathologisieren. Was im Fall des Sonnenkönigs – Ludwigs großes Vorbild – noch als bewundernswert galt, war bei dem Bayernkönig krankhaft und führte zu seiner Entmündigung. Angela Steidele bezeichnet »Rosenstengel« daher auch als ein Buch über Gewalt: Die Behandlung {mithin die Misshandlung} von psychisch Kranken wird in plastischen Schilderungen wiedergegeben. Dahinter steht die Frage: Was gilt als ›Wahnsinn‹ und wer bestimmt das? Im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde Homosexualität {auch die Begriffsfindung fand in dieser Zeit statt, wie das Buch darstellt} als Krankheit definiert {und blieb es auch in den Bestimmungen der WHO bis in die 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts}. Zu Zeiten von Rosenstengel argumentierte man statt dessen mit der Bibel: Das Weib trage nicht die Rüstung des Mannes; ein Mann soll nicht bei einem anderen Manne liegen usw. Catharina Linck bezahlte ihr überschreiten der Geschlechtergrenzen mit dem Tod auf dem Scheiterhaufen.

Wasser

Ludwig II starb im See – ob freiwillig, auf der Flucht oder sogar als Opfer eines Komplotts ist bis heute ungeklärt. Das Nebeneinander der Todesarten der beiden Hauptfiguren zeigt eine weitere Stärke des Buches: Die motivischen Verbindungen. Die, z.T. durch die Autorin fingierten Briefe ergeben ein Gewebe von Bezügen, von ähnlichen Situationen: Rosenstengel nimmt an einem pietistischen Gesangsabend teil, Ludwig hört seinen religiös verehrten Wagner, Rosenstengel macht eine Liebeserklärung, Ludwig offenbart seine Liebe zu Müller usw.

Taufe durch einen Herrnhuter Missionar
Auch Rosenstengel ließ sich mehrfach pietistisch taufen

Der Text fließt, nicht zuletzt durch die wunderbare Sprache, die zwar zum großen Teil {etwa zu 80% lt. Autorin} aus echten Dokumenten entlehnt ist, die aber so geschickt ergänzt wird, dass sich keine Brüche bilden. Ganz im Gegenteil: Durch die Sprache der Zeit entsteht eine Komik der Unbeholfenheit. Wenn Rosenstengel etwa jemandem zum Beweis seines Glaubens übers Wasser schickt und derjenige fast im Rhein ersäuft oder wenn eine Gastmutter von Rosenstengel schreibt: »Meine liebe Tochter Sophia theilet ihre Kammer mit derselben [Catharina] […] Sie wircket zuletzt etwas müde und gähnet oftmalen am Tag. Ich hoffe, es ist nur das letzte Wachsthum und Reiffen ihres Cörpers.« {S. 165} Angela Steidele wollte auch einen Schelmenroman schreiben – das ist ihr mehr als gelungen, wobei sie selbst dabei der größte Schelm ist und die Leserschaft gekonnt mit Fakt und Fiktion narrt.

Fazit:

Das Buch ist ein Alptraum für alle, die glauben, historische Quellen würden uns die Wahrheit über die Vergangenheit erzählen. Es sei daher besonders solchen Lesern empfohlen.
Im Schreiben über die Vergangenheit beschäftigen wir uns vor allem mit uns selbst – diese Überzeugung teile ich mit der Autorin. Rosenstengel heißt heute vielleicht Conchita Wurst und muss in vielen Ländern immer noch um das Leben fürchten. Ein Buch also, das trotz aller Leichtigkeit und trotz des Augenzwinkerns eine ernste Absicht für sich in Anspruch nehmen darf und ihm auf elegante Weise gerecht wird.
Menschen nicht nur leben zu lassen, sondern auch lieben zu lassen, ist immer noch eine Herausforderung an unsere Gegenwart.

Lieblingszitat:

»Müßggang ist die Brutstätte allen Uebels, und gehöret zu dieser Todtsünde auch die Lesung von Romanen […]. Die Romanschreiber stoßen nemblich sehr wohl wider die Regeln der Wahrscheinlichkeit an, und diesen Fehler findet man auch bei denen, die sonst sinnreiche und ehrbare Erfindungen haben.« {S. 168}

Angela Steidele
© T.M. Schurkus

Die Autorin

Angela Steidele, geboren 1968, studierte Kulturwissenschaften in Hildesheim, wurde in Siegen promoviert und lebt in Köln. Ihre wissenschaftliche Arbeit widmete sie Liebesgeschichte{n} gegen den Strom, so in ihren Büchern »In Männerkleidern. Das verwegene Leben der Catharina Linck alias Anastasius Rosenstengel« {2004} und »Geschichte einer Liebe: Adele Schopenhauer und Sibylle Mertens« {2010}.
Mit ihrem literarischen Debüt »Rosenstengel« geht sie einen Schritt weiter und lässt Wissenschaft zu Kunst werden und Kunst zu Wissenschaft. Bei der Recherche für ihr Buch über Catharina Linck fand sie im Geheimen Staatsarchiv zu Berlin den Besucherzettel von Franz Carl Müller, was beweist: Leben ist auch nur Kunst.

Weitere Informationen zur Autorin auf der Website des Verlags Matthes & Seitz Berlin.