Ostia – Der Hafen Roms

Buchbesprechung: Marion Bolder-Boos »Ostia – der Hafen Roms«

»Ein Großteil der erhaltenen Bauten Ostias stammt aus der hohen Kaiserzeit, insbesondere aus der Regierungszeit Kaiser Hadrians {117 – 138 n. Chr.}. Unter den kaiserzeitlichen Bauten sind noch viele Bauwerke aus dem 2. und 1. Jh. v. Chr. verborgen, die jedoch ohne die Zerstörung der späteren Bauten kaum untersucht werden können, weshalb sich das Corpus der republikanischen Bauwerke auf wenige Beispiele beschränkt.«1

Gelesen & Notiert von Alessa Schmelzer


»Ostia – Der Hafen Roms«
Marion Bolder-Boos

Die römische Hafenstadt Ostia, ca. 30 km westlich von Rom gelegen, ist eine der bedeutendsten archäologischen Stätten Italiens. Gegründet wohl im 4. Jh. v. Chr., blieb der Ort fast 1000 Jahre lang besiedelt, bevor er im 6. Jh. n. Chr. allmählich aufgegeben wurde. Das Bild, das sich dem Besucher heute bietet, ist geprägt von den Monumenten der hohen bis späten Kaiserzeit, als Ostia seine Blüte als Flusshafen Roms erlebte. Marion Bolder-Boos stellt die verschiedenen Phasen der Stadtgeschichte unter Einbeziehung der wichtigsten Bauten und Anlagen vor. Zusammen mit den zahlreichen Abbildungen wird so die Entwicklung Ostias von einer kleinen, hauptsächlich militärischen Zwecken dienenden Siedlung zu einer der wichtigsten Hafenstädte des Römischen Reiches anschaulich.

Alle Informationen zum Buch auf der Zabern Verlags Website.

Ein Reisender, der feine Empfindung genug hat, um durch die Schönheiten, woran die Natur in Italien so reich ist und welche die Kunst weit übertreffen, gerührt zu werden, der trifft in diesem Lande eine Menge von Szenen an, welche ihm die größte Abwechslung darbieten«2, wusste Johann Jacob Volkmann schon im ausgehenden 18. Jahrhundert zu berichten. In seinem Handbuch »Historisch-Kritische Nachrichten aus Italien« informierte er Reisende {wie zum Beispiel Goethe, der es mit auf seine Italienreise nahm} über das Land der schönen Künste. Über Ostia schrieb er: »Man erkennt noch einige Trümmer, es lässt sich aber nicht daraus schließen, wozu sie bestimmt gewesen. Der Hafen ist verschüttet, und die Befestigungswerke sind meist eingegangen. Inzwischen zeigen die vielen Stücke von kostbarem Marmor, welche umher liegen, von dem ehemaligen Reichtum, und der Herrlichkeit des Ortes.«3 Kein Wunder, denn die Ausgrabungen begannen erst ein paar Jahre später. So warnte Volkmann seine Landsleute regelrecht vor einem Besuch in der einstigen Hafenstadt. Sie sei nicht nur ein ungesunder, morastiger Ort, sie sei auch »der Sammelplatz von Spitzbuben und ruchlosen Menschen.«* Er meinte damit vor allem aus Rom Verbannte, die in den Salzwerken {diese standen seinerzeit unter päpstlicher Kontrolle} arbeiteten. Kein geeigneter Ort, um sich an Schönheiten der Kunst zu laben …

Ostia Antica – Weltgrößte Flächengrabung

Zum Glück ist das heute alles ganz anders. Ostia Antica, nur rund 30 Kilometer von Rom entfernt gelegen, ist unbedingt eine Reise wert. Mit Pompeji und Herculaneum gehört die antike Hafenstadt zu den best erhaltenen Ausgrabungsstätten in Italien. Sie ist aktuell gar die weltgrößte Flächengrabung überhaupt. Anders als die vom Vesuv zerstörten Städte präsentiert Ostia jedoch nicht konserviertes Leben um 79 n. Chr., sondern zeigt das Erblühen, die Pracht und den späteren Niedergang einer antiken, bzw. spätantiken Stadt. Mit »Ostia – Der Hafen Roms« der promovierten Archäologin Marion Bolder-Boos liegt nun ein neuer Bildband aus dem Hause Zabern vor, der fundiert anhand aktueller Forschungsergebnisse chronologisch über die Bautätigkeit der Hafenstadt informiert.
Seit rund 200 Jahren finden in Ostia nun Ausgrabungen statt. Leider ließen es einige frühere Grabungskampagnen an wissenschaftlicher Methodik fehlen. Die in den Jahren 1938 bis 1942 unter der Leitung von Guido Calza verursachten Schäden sind irreparabel. Verantwortlich dafür waren jedoch weniger die Archäologen als vielmehr Benito Mussolini, der den damaligen Archäologen quasi ›Sensationsfunde am laufenden Band‹ abverlangte, da er diese in der Weltausstellung in Rom 1942 präsentieren wollte {zu der es dann aufgrund des Zweiten Weltkrieges nicht kam}. Der Diktator forderte die Freilegung des imperialen Ostia und bewirkte dadurch u.a., dass frühere Schichten der Stadt unwiederbringlich abgetragen wurden, ohne diese zuvor wissenschaftlich untersucht und dokumentiert zu haben. Doch das ist alles lange her. Heutige Grabungsteams sind zwar langsamer, arbeiten dafür aber auch wissenschaftlich korrekt.

Vom Castrum zur blühenden Hafenstadt

Glaubt man der Sage, so gründete der römische König Ancus Marcius Ostia im 7. Jahrhundert v. Chr – wissenschaftlich bewiesen ist das nicht. Anhand der archäologischen Befunde ist eine diesbezügliche Datierung eher für das 4. Jahrhundert wahrscheinlich. Im vorliegenden Zabern Band führt Bolder-Boos ihre Leser nun anschaulich durch eine wechselvolle Stadtgeschichte. Ausgehend vom archäologischen Befund zeichnet die Autorin die Entwicklung Ostias vom frühen Castrum {also einem militärischen Lager, angelegt zum Schutze Roms} zur späteren Kolonie, der Blütezeit im 1. und 2. Jahrhundert unserer Zeit sowie dem schleichenden Niedergang der Hafenstadt in der Spätantike und schließlich der Aufgabe der Stadt. Anhand hochwertiger Fotos und Grundrisse {für diesen Band extra modifizierte Umzeichnungen} erläutert die Autorin anschaulich das von Wirtschaft, Politik und Alltag bestimmte Leben der Einwohner. Etliche Gebäudetypen werden detailliert vorgestellt, darunter zum Beispiel Getreidespeicher, Schenken, Theater, Thermen, Aquädukt, Vereinshäuser oder Wohnhäuser. Anhand der städtebaulichen Veränderungen lässt sich der beginnende Wohlstand – der aus dem Ausbau des Flusshafens und natürlich vor allem der neuen Häfen unter Kaiser Claudius und Trajan resultierte – eindrucksvoll aufzeigen. Rasch avancierte Ostia zum Haupthafen für die westlichen Zulieferer {der Hafen Puteoli verlor nicht an Bedeutung}. Nicht nur Getreidelieferungen, auch Öl, Saucen, Wein und anderes mehr landete fortan in Ostia und fand so über den Tiber den Weg nach Rom. In besagter Blütezeit betrug allein der jährliche Getreidebedarf Roms rund 250.000 Tonnen. Der prosperierende Handel liess Ostia erblühen – und schnell wachsen. Im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. lebten ungefähr 50.000 Menschen in der Stadt {zum Vergleich: in Rom lebten 1,5 Millionen}. Die Stadt platzte quasi aus allen Nähten. Nicht nur neuer Wohnraum musste her. Das funktionierte so, wie wir es auch aus heutigen Städten kennen. Altes wurde abgerissen, neues entstand. Gleichzeitig explodierten Grundstückpreise und Mieten stiegen in schwindelerregende Höhen. In Ostia etablierten sich aus diesem Grund die sogenannten ›medianum‹ Appartements. Diese rechteckig angelegten, im Erdgeschoss rund 200qm großen Wohnungen ersetzten die im römischen Reich gewohnte Atrium-Bauweise. Ein wenig erinnern diese Wohneinheiten an die Hanghäuser in Ephesos. Auch jene waren ausschließlich für vermögende Familien erschwinglich. Ganz so wie in Ostia. Luxuriös und dem Geschmack der Zeit entsprechend mit kostbaren Bodenmosaiken und passenden Wandmalereien ausgestattet, waren diese Wohnungen für die betuchteren Einwohner gedacht. Einfache Handwerker oder Tagelöhner mussten mit engen Mietwohnungen vorlieb nehmen, so dass – ganz wie in Rom – eine mehrköpfige Familie in einem winzigen Zimmer hausen musste. Prächtige Wandmalereien suchte man dort sicher vergebens … Doch Mosaike finden sich in Ostia nicht nur in ›medianum‹ Appartements. Sie zierten die Böden in Vereinshäusern, Schenken oder Thermen. Wobei die Auswahl der Mosaik- wie auch Wandmalereithemen mit der Funktion des Gebäudes korrespondieren. All dies prägte den urbanistischen Charakter der Stadt.

Schleichender Niedergang

Wenngleich Ostia seine Bedeutung im 3. Jahrhundert {also dem Jahrhundert der Krise des Reiches} mit nur wenigen Einbußen erhalten konnte, war der schleichende Niedergang letztlich nicht mehr aufzuhalten. Mit der Aufgabe der Stadt Rom als Nabel der römischen Welt verschwand auch Ostias Bedeutung als Versorgungshafen. Der Einfall der Westgoten, Hunnen und Alanen war zwar räumlich auf Rom begrenzt, doch vermutlich vor allem deshalb, weil Ostia zu diesem Zeitpunkt nicht mehr attraktiv genug für einen Beutezug war. Belegt ist indes, dass nach dem schweren Erdbeben von 443 n. Chr. noch Reparaturarbeiten auf dem Forum stattfanden. Um die Arbeiten kontrolliert und zügig zum Abschluss zu bringen richtete man extra eine Steinmetzwerkstatt auf dem Forum ein. Erst sehr viel später wurde die Stadt endgültig aufgegeben und als Steinbruch genutzt.

Fazit:

Interessierte werden sich zudem über einen zweiseitigen Stadtplan, spezielle Themenkästen sowie über einen Kurzabriss der Epochen römischer Kultur, die Erklärung der römischen Mauerwerks- und Fussbodenarten sowie ein Glossar mit den wichtigsten archäologischen Fachbegriffen freuen. Die Auswahl der weiterführend Literatur {auf die zum Teil schon im Vorwort hingewiesen wird} sowie der Bildnachweis runden den insgesamt sehr gelungenen Band ab.

Die Autorin

Die Klassische Archäologin Dr. Marion Bolder-Boos ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet für Klassische Archäologie der Technischen Universität Darmstadt. Ihre Forschungsschwerpunkte sind römische Bürgerkolonien und Heiligtümer sowie punische Archäologie.


1 entnommen aus: Marion Bolder-Boos, Ostia – Der Hafen Roms, Zabern Verlag 2014, S.17
2 und 3 entnommen aus: Johann Jacob Volkmann, Historisch-Kritische Nachrichten aus Italien, Leipzig 1770/71, Bd.1, S.3 und Bd.2, S. 870 {zitiert nach der aktuellen Rechtschreibung}