Alexandra Doerrier – Die Lukasbrüder

Das Streben nach künstlerischer Vollkommenheit

Histo Journal Besprechung: Alexandra Doerrier »Die Lukasbrüder «

Gelesen & Notiert von Ilka Stitz

Inhalt:
Im Jahr 1810 gründen die Wiener Kunststudenten Friedrich Overbeck aus Lübeck und Konrad Hottinger aus Wien mit Franz Pforr und Ludwig Vogel die Lukasbruderschaft. Sie weihen ihr Leben der Malerei und wollen wie Mönche leben, um eine christliche Kunst zu schaffen, wie es sie seit Raffael Santi nicht mehr gegeben hat. Auf der Suche nach der Schönheit der Renaissance begeben sich die Lukasbrüder nach Rom. Doch haben sie nicht alle die gleichen Vorstellungen von klösterlichem Leben. Overbeck wird immer fanatischer und malt ohne Unterlass, damit der Müßiggang kein Loch in seine Seele reißt, durch das der Teufel schlüpfen könnte. Hottinger dagegen erliegt den Verlockungen des Lebens. Er tanzt in antiken Tempeln, badet nachts in Brunnen, versumpft in Tavernen und verliert sich in den Dekolletés der Dirnen.
Ihr gemeinsames Vorhaben droht zu scheitern. Briefe und Tagebücher dienten der Autorin als Quelle für diesen authentischen Roman, der auf wahren Begebenheiten beruht und Einblicke in das Kunststudium des 19. Jahrhunderts bietet.

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Auf Raffaels Spuren

Lukas, einer der Apostel Jesu und von künstlerischem Geschick, malt als erster ein Portrait von der Gottesmutter Maria, das natürlich wundertätig war. Somit empfahl er sich als Schutzpatron der Maler und entsprechend hießen die Zünfte der Maler Lukasbruderschaften. Malerei galt noch als Handwerk, der Maler als Handwerker der Kirchen und Klöster, einer der Heilige abbildete, Auferstehungen oder Kreuzigungen malte. Weltliche Themen wurden höchstens einmal auf Werbeschilder gemalt. In Köln heißt die mittelalterliche Straße der Maler bis heute Schildergasse.

Das Buch »Die Lukasbrüder« spielt Anfang des 19. Jahrhunderts. In einer Zeit, in der die Kunst den Bezug zur Religion verloren hat, in der Napoleon viele Kirchen säkularisiert und der Papst im Exil lebt, nennt sich eine Gruppe von jungen Künstlern nach dem Apostel. Die Lukasbrüder stoßen mit einer neuen Strömung in dieses spirituelle Vakuum, sie streben nach einer größtmöglichen Schönheit, nach einer Vollkommenheit, wie sie nur der Religiosität innewohnt, und wie sie Raffaels Gemälde auszeichnet. Oder Michelangelos. Und die Lukasbrüder sind sich einig, dass diese Vollkommenheit nicht an der Kunstakademie in Wien zu erreichen ist, sondern nur am Nabel aller Kunst; in Rom.

Der Kopf und Gründer der Lukasbrüder, wie sie sich selber nennen, ist Friedrich Overbeck. Vor allem ihn wird der Kunstfreund kennen, denn unter den Nazarenern ist er sicherlich der bekannteste. Außer Friedrich Overbeck, gehören Franz Pforr und Ludwig Vogel sowie Konrad Hottinger zu den Gründungsmitgliedern dieses Kreises. Hottinger ist wahrscheinlich der unbekannteste der vier und – vielleicht gerade deswegen – auch der Erzähler dieser Geschichte.

Im Jahr 1810 studieren alle vier noch in Wien und leiden unter der verstaubten Tradition der Kunstakademie. Sie sehen sich als Erben – nein, wahrscheinlich eher als Wiedergeburt – von Raffaels Genie, dessen Kunst sie verehren und dem sie nacheifern. Wie Mönche wollen sie ihr Leben der Kunst weihen, nach der Schönheit, der Vollkommenheit streben, die zumindest für Overbeck untrennbar mit der Religion verbunden ist. Er lässt sich als erster die Haare lang wachsen, in der Mitte gescheitelt, wie Jesus Christus. Eine Modeattitüde, die ihnen später den Spottnamen »Nazarener« verschafft, so ist es überliefert. Ihnen ist dergleichen einerlei. Frei wollen sie sein, ihren Geist entfalten, neues, nie Dagewesenes schaffen, und müssen doch zu ihrem Verdruss den Tag mit öden Studien nach der Antike vertändeln, deren Schönheitsideal ihnen zum Halse heraushängt.

Das gelobte Land der Kunst

Sie streben, noch jeder für sich, nach hehren Zielen. Ein Bild, für das es sich lohnt zu sterben, ist Konrad Hottingers Anspruch. Und kurz nach dieser Einsicht trifft er Overbeck, der offenbar auf der Suche nach Jüngern ist und Charisma genug besitzt, sie auch zu finden. »Er … sprach von seiner Vision der Urschönheit, die alles weltlich Schöne übertraf. Er suchte nach würdigen Anhängern, ja nach Auserwählten und ich wusste, dass ich einer von ihnen war. Er versprach, uns in das gelobte Land der Kunst zu führen. Nach Italien. … Overbeck hielt alles in der Hand, wonach ich mich sehnte, er fand Antworten auf meine Fragen und gab die Richtung vor. Ich folgte ihm gern.« {S. 15}

Overbeck wollte die Kunst revolutionieren, eine neue christliche Malerei schaffen, in der sich die Leichtigkeit Raffaels mit der deutschen Formstrenge Dürers verband. Seiner Meinung nach war dieses Ziel nur durch Askese und Enthaltsamkeit zu erreichen. Die Regeln der Bruderschaft, die Overbeck aufstellt, stehen dem eines Mönchordens kaum nach. Bei seinen drei Mitbrüdern stößt er damit nicht nur auf Begeisterung. Allein Pforr, der Zarte, steht wie eine Eiche hinter Overbeck. Er, der einen Schädel aus einer Gruft entwendet hat und einen halb verwesten Adlerkopf mit sich herumträgt, ist sein Bruder im Geiste. Vogel und vor allem Hottinger betrachten ihre Mitgliedschaft in der Lukasbruderschaft dagegen eher als Ausweg aus dem Trott der Akademie, als Pforte zur Freiheit! Das Credo, das Overbeck ihrem Lehrer Caucig entgegenruft, kurz bevor er und seine Freunde die Akademie verlassen – oder sie hinausgeworfen werden – spricht für sich: Ich bin es leid, dass Sie meine Seele zu Boden drücken und jedes höhere Gefühl für die Kunst in mir abtöten. {S. 35} Die Entscheidung fällt schnell: Nach Rom geht es! Und Hottinger freut sich, dass der vermögende Schweizer Konditorensprössling Vogel ihm die Reisekosten spendiert.

Der Weg ist weit und beschwerlich, und endlich in Rom stellen sie fest, dass die Stadt nicht auf sie gewartet hat. Ein gutes Dutzend Künstler aus dem Ausland buhlen um wohlhabende Gönner und genießen auf ihre Weise la dolce vita. Um als Neulinge wenigstens äußerlich aus der Menge hervorzustechen, kleiden sich die vier Lukasbrüder in altdeutscher Tracht, mit großen Hüten, Westen und dicken Wollhosen und trotzen damit selbst der mediterranen Sommerhitze. Unter den Künstlern, die ihnen in Rom begegnen sind wohl Jean-Auguste Dominique Ingres und der dänische Bildhauer Thorwaldsen die bekanntesten. Wenngleich sie {leider} keine große Rolle in dem Roman spielen.

Ohnehin sah Overbeck sich und seine Jünger als etwas Besonders. Als wahre Nachfolger von Roms spirituellem und künstlerischem Erbe. Er würde die klassische Schönheit Raffaels mit der deutschen Innigkeit Dürers und eines wahren Christentums zu einer neuen Renaissance führen. Bild wird dieser Gedanke in Overbecks Gemälde Sulamith und Maria – das er als Freundschaftsbild für Pforr malt und das heute in der Münchner Pinakothek hängt. Später benennt er es um in Italia und Germania, und der Name ist Programm.

Während Overbeck mehr und mehr zum Einsiedler und Malermönch mutiert, und um Perfektion in seiner Malerei ringt, erliegt Hottinger sehr schnell den Verführungen der Metropole, in Form von Glücksspiel, Wein und leichten Damen. Auch Vogel ist den Verlockungen nicht abgeneigt. Nur der kränkliche Pforr steht treu seinem Bruder im Geiste zur Seite und ist bemüht, den hohen Ansprüchen des Freundes zu entsprechen. Die Krise ist vorprogrammiert, zu unterschiedlich ist die Vorstellung, was es heißt, sein Leben der Kunst zu weihen.

Künstlerroman, so verheißt der Titel, und weiter: Die Nazarener und die Kunst ihrer Freundschaft. Wer in dem Roman tiefgründige kunstphilosophische Exkurse erwartet, wird enttäuscht. Nur an einer Stelle gibt es einen tieferen Diskurs über die künstlerische Philosophie der vier Lukasbrüder und ihre durchaus kontroverse Haltung zur Religion. Dass sich die im Untertitel des Romans versprochene »Kunst ihrer Freundschaft« sich mir auch nicht so unmittelbar erschloss, mag daran liegen, dass der Roman ja nur einen winzigen Ausschnitt im Leben und Werden der Lukasbrüder beschreibt. Ihr Kennenlernen und das erste Jahr in Rom ist aber sicherlich die Zeit, die sie und ihr Verhältnis zueinander entscheidend prägt.

Fazit

Obwohl der Kunsthistoriker einen tieferen Einblick in die Kunsttheorie der Nazarener vermissen wird, bietet der Roman dennoch eine angenehme Lektüre und beste Unterhaltung. In weiten Teilen ist es aber eher ein Abenteuer- oder Reiseroman, der zudem durch einen angenehm lesbaren Stil begeistert. Auch wenn dessen Klarheit hin und wieder durch eine zu erschöpfende Fülle an Adjektiven getrübt wird: Zwischen einer Reihe schiefer Baracken, die ihre zernagten Grundmauern in den Fluss tauchten, hingen dreckige Lumpen über stinkenden Müllhaufen, in denen halbnacktes Gesindel und abgemagerte Hunde herumwühlten. {S. 199}. Am Ende hätte ich mir noch ein wenig mehr ›Zusatznutzen‹ erhofft. Zum Beispiel Erhellung darüber, wie die Nazarener trotz anfänglichem Spottes letztlich doch so sehr an Einfluss und Ansehen gewannen, dass sie Kunst der gesamten Romantik {mit}prägen konnten.

Die Autorin

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Alexandra Doerrier ist 1973 geboren und in Einbeck aufgewachsen. Nach ihrem Sportmanagement-Studium in Bayreuth, Montpellier und Straßburg ging sie nach Brüssel. Dort arbeitete sie im EU-Büro des Deutschen Sports und in der Generaldirektion Bildung und Kultur der EU-Kommission. Es folgten die Stationen Köln, Granada und Sylt, wo sie hauptsächlich im Golfsport tätig war. 2006-2008 besuchte sie nebenberuflich die Freie Kunstschule Köln, um Malerei zu studieren. Dort kam sie mit den Bildern der Nazarener in Berührung, die sie seitdem nicht mehr losließen. 2013 ging sie den Jakobsweg nach Santiago de Compostella und zog sich danach für 16 Monate in ein Kloster zurück, um die Geschichte der Malermönche aufzuschreiben.

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