Rebecca Gablé im Interview

»Die Arbeit am gekürzten Manuskript hat etwas von Leichenfledderei.«

Hörbücher erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Auch die historischen Romane der Autorin Rebecca Gablé sind vertont worden. Es gibt sie als reine Lesung, gekürzt oder ungekürzt, als Hörspiel. Im Interview spricht die Schriftstellerin über Räuber Hotzenplotz, ihre Vorliebe für englischsprachige Hörbücher und Leichenfledderei.

von Alessa Schmelzer

Histo Journal: Wie alt warst du, als du zum ersten Mal ein Hörspiel/Hörbuch gehört hast? Kannst du dich erinnern, welches es war?

Rebecca Gablé {RG}: Mit fünf Jahren in der Augenklinik, wo ich operiert wurde. Da gab es eine eigene Abteilung für Kinder, und wir wurden mittags und abends beim Einschlafen mit Der Räuber Hotzenplotz beschallt. Ich war sofort angefixt. Von zu Hause kannte ich Vorlesen und Märchen erzählen, aber das Hörspiel-Format war neu und hat mich zutiefst beeindruckt. Am Entlassungstag wollte ich gar nicht nach Hause …

Histo Journal: Hattest du als Kind Lieblingshörbücher?

RG: Jede Menge. Eine Kindheit ist ja lang, und natürlich gab es unterschiedliche Phasen. Hui Buh, das Schlossgespenst gehörte auf jeden Fall zu meinen Favoriten. Etwas später war ich vom Trotzkopf hingerissen. Überhaupt war ich ein Europa-Hörspiel-Kind, und wenn ich heute gelegentlich noch die Stimme von Hans Paetsch höre, wird mir ganz nostalgisch zumute ;-)
Außerdem besaß ich eine wunderbare Hörspielfassung von Wallaces Ben Hur mit Bilder einer Ausstellung von Mussorgski/Ravel als Soundtrack. Das war eine großartige Inszenierung mit einer enormen Sogwirkung, die ich als junge Erwachsene noch gehört habe, und vielleicht ist dieses Hörspiel nicht ganz schuldlos daran, dass ich heute historische Romane schreibe.

Histo Journal: Wie viele Hörbücher befinden sich aktuell in deinem Besitz?

RG: Vielleicht 60.

Histo Journal: Welche Hörbücher hörst du gern?

RG: Ich bin erst wieder Hörbuchfan geworden, als das ungekürzte Audio-Buch zum Normalfall wurde. Ich höre so gut wie keine gekürzten und fast ausschließlich englische.

Histo Journal: Wann hörst du am liebsten Hörbücher?

RG: Beim Joggen, im Flieger, bei der Gartenarbeit und spät Abends, wenn die Augen zu müde zum Lesen sind, ich aber noch nicht schlafen gehen mag.

Histo Journal: Hörst du über Kopfhörer oder Lautsprecher?

RG: Immer Kopfhörer.

Histo Journal: Was magst du lieber – Hörbücher oder Hörspiele? Inszenierte Lesungen, Autorenlesungen oder nicht inszenierte Lesungen?

RG: Am liebsten nicht inszenierte Lesungen von wirklich guten Schauspielern. Dazu gehören Autoren eher selten {Paul Auster ist eine bemerkenswerte Ausnahme von dieser Regel – er hat mich aus den Schuhen gehauen mit seiner Lesung von Sunset Park}. Hin und wieder höre ich auch mal ein Hörspiel. Das kann mich immer noch so bannen wie damals Der Räuber Hotzenplotz, aber es ist halt kein ›gehörtes Leseerlebnis‹.

Histo Journal: Gibt es Sprecher/Sprecherinnen, deren Stimmen du besonders gerne hörst? Und wie ist das bei dir? Zumeist lese ich ein Buch und höre anschließend das Hörbuch {seltener umgekehrt}.

RG: Ja, aber es sind halt fast alles Briten oder Amerikaner: Tony Britton, Rene Auberjonois, John Moffat oder natürlich solch stimmliche Giganten wie Kenneth Branagh. Mit deutschen Hörbüchern habe ich nicht so viel Erfahrung, aber Detlef Bierstedt finde ich großartig. Und Gert Heidenreich ist so genial, dass ich ihm vermutlich auch zuhören würde, wenn er mir das Telefonbuch vorläse .
Ich höre eigentlich nie Bücher, die ich zuvor gelesen habe, oder umgekehrt. Bei mir ist es entweder lesen oder hören.

Histo Journal: Bei gekürzten Fassungen ist die Qualität der Kürzung von entscheidender Bedeutung. Die Kürzungen für ›Das Haupt der Welt‹ hat Dr. Arno Hoven übernommen. Du hast die Bearbeitung autorisiert. Wie funktioniert das eigentlich? Sagt Herr Hoven: »Diese Stellen müssen gestrichen werden.« Und du erwiderst: »Na ja, schade, aber gut. Doch wenn das raus muss, bleibt das drin.«? ;-) Oder ist alles ganz anders und du bist glücklich darüber, dass du deinen Roman nicht selbst für die Hörfassung kürzen musst?

RG: Dr. Hoven hat bislang all meine Manuskripte für die Audiofassungen gekürzt, und ich bin froh darüber, denn ich wüsste gar nicht, wie ich es anfangen sollte. Unsere Zusammenarbeit sieht so aus, dass er den Text komplett fertig kürzt und mir dann zur Durchsicht schickt. Hin und wieder setzte ich eine Passage wieder ein und streiche dafür etwas anderes. Aber viel verändere ich nicht. Ich sehe die Notwendigkeit von Kürzungen ein und weiß, dass Dr. Hoven das hervorragend macht. Aber die Woche, die ich für die Überarbeitung brauche, habe ich immer extrem schlechte Laune. Die Arbeit am gekürzten Manuskript hat etwas von Leichenfledderei.

Histo Journal: Wie viel Zeit nahmen all diese Vorarbeiten in Anspruch, ehe Bierstedt den ersten Satz ins Mikrophon sprechen konnte?

RG: Das weiß ich offen gestanden nicht, weil ich von der Produktion nie viel mitbekomme. Aber ich gebe das Romanmanuskript i.d.R. Ende des Jahres ins Lektorat. Die Lektorin leitet ihre Fassung weiter an den Audio-Verlag. Irgendwann im Mai oder so bekomme ich die gekürzte Fassung, und im Sommer starten die Aufnahmen – gekürzte und ungekürzte Fassung.

Histo Journal: Das Hörbuch ›Das Haupt der Welt‹ ist auffallend schön gestaltet. Illustrationen aus dem Buch, auch die Karte des Ostfränkischen Reiches um 935 sind verwendet worden, alle Figuren sind aufgelistet, es gibt Kurzbiographien zu Detlef Bierstedt und dir. Man kann sich den Schuber wie ein Buch ins Regal stellen, ihn herausnehmen und anschauen und anfassen. Diese liebevolle Gestaltung begeistert sicherlich nicht nur mich. Dennoch – für viele ist die Kürzung ein Wermutstropfen. Nur der Hörbuch Riese ›audible‹ bietet ›Das Haupt der Welt‹ exklusiv als ungekürzte Lesung an. Für die meisten heißt es dann – ganze Lesung versus haptisches Glücksgefühl… Warum gibt es diese ungleichen Formate?

RG: Weil ein ungekürztes Hörbuch in CD-Form einfach viel zu teuer wäre, um marktfähig zu sein. Ich finde es einen ganz guten Kompromiss, dass es inzwischen die beiden Varianten gibt, die ›Haptische‹ und die ›Ungekürzte‹. Da kann das Publikum dann selbst entscheiden, was ihnen wichtiger ist: Ein schön gestalteter Schuber mit Zusatzinhalt oder der ungekürzte Text.

Histo Journal: Einer Kürzung fällt häufig – sagen wir mal – die besondere Tiefe einer Figur zum Opfer. ›Das Haupt der Welt‹ müsste als ungekürzte Fassung wahrscheinlich doppelt so lang sein. Sehr gute Sprecher wie Detlef Bierstedt, Jens Wawcrzeck oder Johannes Steck {es gibt natürlich noch viele andere tolle Sprecher und Sprecherinnen} bereiten sich ja intensiv auf eine Produktion vor. Sie kennen das komplette Buch, haben es vermutlich mehrfach gelesen, wissen um die Besonderheiten der Figuren usw. Eine gute Kürzung wie bei z.B. ›Das Haupt der Welt‹ einmal vorausgesetzt, ist ein sehr guter Sprecher in der Lage einer gekürzten Fassung zumindest ein wenig des ›verlorenen Inhalts‹ zurückzugeben? Kann er die Kürzungen irgendwie wettmachen? Und wenn ja, wie?

RG: Ja, ich finde schon, dass ein wirklich guter Sprecher wie Detlef Bierstedt mit seinem schauspielerischen Rüstzeug den Figuren die verlorene Tiefe zumindest teilweise zurückgeben kann. Durch Veränderungen der Stimme, der Betonung, des Tempos und so weiter. Das ist umso erstaunlicher, als das mit der akribischen Vorbereitung ein Märchen ist.

Histo Journal: Wirklich? In einem Interview Wawcrzeck und einem mit Steck hatte ich gelesen, sie bereiten sich intensiv auf die Produktion vor …

RG: Wenn Bierstedt ins Studio kommt, kennt er allenfalls das Exposé, aber keine Silbe des Romans. So sei die Arbeit für ihn doch viel spannender, sagt er. Ich finde das völlig okay, zumal das Ergebnis überzeugt.

Histo Journal: Detlef Bierstedt hat die meisten deiner Romane vertont. Besteht die Hoffnung, dass er irgendwann Neufassungen von ›Das Lächeln der Fortuna‹ oder ›Der Hüter der Rose‹ einliest?

RG: Ungekürzt, meinst du?

Histo Journal: Ja.

RG: Audible und Lübbe haben mal Überlegungen in diese Richtung angestellt, aber ich habe seit Jahren nichts mehr davon gehört. Diese ungekürzten Produktionen von über 35 Stunden kosten ja doch sehr viel Geld, und es ist schwierig, sie zu vermarkten, wenn nicht der Werbeetat für das gleichzeitig erscheinende Buch dahinter steht.

Histo Journal: Wie kam es dazu, dass Detlef Bierstedt der Hauptsprecher deiner Romane wurde? Hattest du ein Mitspracherecht bei der Auswahl? Wer stand noch zur Auswahl?

RG: Ja, als feststand, dass wir nach Martin May einen neuen Sprecher brauchten, hat die Regisseurin mir einen Stapel CDs unterschiedlicher Sprecher zugesandt, und ich habe Detlef ausgesucht, weil er mir am allerbesten gefiel. An die anderen Namen erinnere ich mich offen gestanden nicht mehr. Aber ich bin nach wie vor glücklich über die Entscheidung. Detlef ist ein großartiger Sprecher, ein hinreißender Mensch, und wenn wir gelegentlich telefonieren, ist es, als wäre George Clooney am anderen Ende. Ich meine, was will man mehr ;-) ?

Histo Journal: Warum hat Bierstedt eigentlich nicht das Sachbuch ›Von Ratlosen und Löwenherzen‹ vertont? Es gibt zwei unterschiedliche Fassungen {Andreas Fröhlich / Lutz Riedel}. Ging es bei dieser Entscheidung darum die Welt des Romans und die des Sachbuchs voneinander abzugrenzen?

RG: Wenn ich mich richtig entsinne, hatte Detlef Bierstedt keine Zeit. Aber ich fand es auch gut und richtig, die beiden Genres stimmlich voneinander abzugrenzen.

Histo Journal: Du hast Teile deines Romans ›Das Spiel der Könige‹ selbst vertont – die anderen Parts übernahm Detlef Bierstedt. Wie war es im Tonstudio zu sein und bei einer solchen Produktion mitzumachen? Hat es dir sehr viel Spaß gemacht? Wie hast du dich darauf vorbereitet? In welchem Studio fanden die Aufnahmen statt? Wie lange hat das Einsprechen gedauert? Und – würdest du es wieder tun?

RG: Ich habe in einem Tonstudio in Breckerfeld eingelesen, Detlef in Berlin, darum sind wir uns bei der Produktion gar nicht begegnet. Es hat eine mörderisch heiße Sommerwoche lang gedauert und riesigen Spaß gemacht. Wie es im Studio zugeht, kannte ich schon von früheren Besuchen, aber selber zu lesen war natürlich etwas ganz anderes. Ich habe mich mit einem Crashkurs bei einem Stimmtrainer vorbereitet, und der Text war mir ja auch vage vertraut ;-) Aber ich würde es nie wieder tun. Das Ergebnis finde ich ziemlich unbefriedigend. SchauspielerInnen können das einfach besser als AutorInnen.

Histo Journal: Der Musik kommt in deinen Hörbüchern eine wichtige Rolle zu. Wer (hat sie) komponiert sie? Ha(tte)st du hierbei ein Mitspracherecht?

RG: Ein Komponist namens Marcel Schweder, der ein verblüffendes Talent besitzt, exakt den Kern eines Romans, einer einzelnen Szene, einer Figur zu treffen. Er schreibt Orchestermusik für Konzerte, aber vor allem für Bühne, Film, Videospiele und eben auch Audioproduktionen. Ihn hat der Chef von Lübbe Audio, Marc Sieper, ausgesucht, der ein großer Musikliebhaber und –kenner ist. Früher als wir noch jünger und wilder waren (seufz …) haben er und ich gelegentlich zusammen die Autorenbar im Frankfurter Hof während langer Buchmessennächte leergesungen … Bei ihm wusste ich die Entscheidung deswegen in besten Händen.

Histo Journal: Klingt nach Spaß und guter Laune! Vielen Dank für das Interview, Rebecca!


»Das Haupt der Welt«

Inhalt:
Brandenburg 929: Beim blutigen Sturm durch das deutsche Heer unter König Heinrich I. wird der slawische Fürstensohn Tugomir gefangen genommen. Er und seine Schwester werden nach Magdeburg verschleppt, und bald schon macht sich Tugomir einen Namen als Heiler. Er rettet Heinrichs Sohn Otto das Leben und wird dessen Leibarzt und Lehrer seiner Söhne. Doch noch immer ist er Geisel und Gefangener zwischen zwei Welten. Als sich nach Ottos Krönung die Widersacher formieren, um den König zu stürzen, wendet er sich mit einer ungewöhnlichen Bitte an Tugomir, den Mann, der Freund und Feind zugleich ist …

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Die Autorin

Rebecca Gablé wurde am 25. September 1964 in einer Kleinstadt am Niederrhein geboren. Nach einer Lehre als Bankkauffrau und anschließender vierjähriger Tätigkeit in diesem Beruf, studierte sie ab 1990 Literatur in Düsseldorf, dessen Schwerpunkt sich mehr und mehr zur Mediävistik – der Lehre vom Mittelalter – verlagerte. 1995 erschien ihr erster Kriminalroman »Jagdfieber« im Lübbe Verlag. Dieser wurde 1996 für den Friedrich-Glauser-Krimipreis nominiert. Seit 1996 arbeitet sie als freie Schriftstellerin. Alle ihre historischen Romane sind Bestseller geworden. 2006 erhielt sie für ihren Roman »Die Hüter der Rose« den Sir Walter Scott-Preis. Rebecca Gablé lebt mit ihrem Mann am Niederrhein und auf Mallorca.

Website der Autorin

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