Jan Zweyer im Interview

Histo Journal Interview mit Jan Zweyer zu »Das Haus der Grauen Mönche«

Mehr als nur eine Familiengeschichte

von Ilka Stitz

Jan Zweyer hat sich mit Kriminalromanen einen Namen gemacht, siebzehn an der Zahl sind mittlerweile erschienen. Seit etlichen Jahren schreibt er aber auch mit großer Begeisterung historische Romane. »Weil man da soviel lernt!«, schwärmt er. Und zum Lernen hat er dabei reichlich Gelegenheit, denn eine akribische Recherche ist ihm sehr wichtig.
Er stammt aus Frankfurt, lebt aber seit Jahren im Ruhrgebiet. Lange Jahre arbeitete er bei der Ruhrkohle AG und ist von daher dem Bergbau und dieser Region so verbunden, dass beides auch in seinen historischen Romanen eine wichtige Rolle spielt.

Histo Journal: Jan, dem oberflächlichen Betrachter drängt sich der Eindruck auf, dass Trilogien Deine Leidenschaft zu sein scheinen. Zuerst die »Goldstein-Trilogie« und nun das »Haus der Grauen Mönche«. Gerade ist nach »Das Mündel« und »Freund & Feind« der dritte Band dieser Mittelalter-Saga erschienen, »Im Dienst der Hanse«.

Jan Zweyer: Das könnte man so sehen, aber das scheint nur so. Na gut, die Goldstein-Romane – die waren von Anfang an als Trilogie angelegt. Das gab die Idee ja quasi vor: Ich wollte die Geschichte eines Beamten erzählen, der unter drei Systemen dient, also in der Weimarer Republik, der Nazizeit und dem Nachkriegsdeutschland. Auslöser für die Idee war der schon länger zurückliegende Streit zwischen Hochhuth und Filbinger. {Die Filbinger-Affäre oder der Fall Filbinger im Jahr 1978 war eine Kontroverse um das Verhalten Hans Filbingers {1913–2007} in der Zeit des Nationalsozialismus und seinen Umgang damit als Ministerpräsident Baden-Württembergs. Sie begann im Februar 1978 mit Filbingers Unterlassungsklage gegen den Dramatiker Rolf Hochhuth, der ihn öffentlich als »furchtbaren Juristen« bezeichnet hatte. Quelle: wikipedia, Anm. d.Red.} Von Filbinger ist der Spruch überliefert: »Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein.« Ob es stimmt oder nicht, der Spruch spiegelt auf jeden Fall den Ton der Zeit. Mit dieser Einstellung lässt sich schließlich jedes Tun rechtfertigen. Meine Figur, der Goldstein, sollte also ein ganz normaler Beamter sein, der sich immer mit mehr oder weniger schlechtem Gewissen in den jeweiligen Systemen einrichtet. Ich wollte eine typische deutsche Beamtenkarriere beschreiben.

Histo Journal: Drei Systeme, drei Bücher, das liegt auf der Hand. Und »Das Haus der Grauen Mönche«?

Jan Zweyer: Das war ursprünglich ein einziges Buch. Der Verlag schlug vor, es auf drei Bücher aufzuteilen. Nach anfänglicher Skepsis stimmte ich dann zu. Es bot sich thematisch an, und ich finde, es ist jetzt gut umgesetzt.

Histo Journal: Und die einzelnen Teile erschienen ja sehr kurz hintereinander, so dass der Leser gut am Ball bleiben kann.

Jan Zweyer: Das war mir auch wichtig.

Histo Journal: Nach dem 20. Jahrhundert in der »Goldstein-Trilogie« hast Du Dich mit diesem Werk nun ins Mittelalter begeben, eine ganz neue, ganz andere Epoche. Fiel Dir das leicht?

Jan Zweyer: Oh, ich wollte schon immer eine Geschichte schreiben, die im Mittelalter spielt, hatte aber Angst vor dem Aufwand und habe mich nicht daran getraut.

Histo Journal: Die Recherche ist ja sehr aufwendig …

Jan Zweyer: Ja, und dann kommt noch eins zum anderen. Abgesehen davon wollte ich ja keine Geschichte der Königs und Kaisers schreiben, sondern die ganz normaler Leute, die Geschichte eines ganz normalen Jungen, einer, der sich unter widrigen Umständen behaupten muss und trotzdem Karriere macht. Da stellen sich eine ganze Reihe von Fragen: Natürlich muss der Junge erst einmal lesen und schreiben lernen. Wo konnte man das in der Zeit? Da kamen nur Mönche in Frage. Wie kommt er dahin? Am besten als eine Waise. Wie aber wurde er zur Waise? Sind die Eltern gewaltsam ums Leben gekommen, bietet sich natürlich immer eine Rachegeschichte an. Aber ich wollte keine der üblichen Rachegeschichten schreiben. Jetzt ist es keine Rache durch eine Gewalttat, sondern eine durch Erfolg.

Histo Journal: Die Geschichte nimmt ihren Anfang in Hattingen, hat das einen Grund?

Jan Zweyer: Zuerst sollte es Recklinghausen sein. Die Stadt kenne ich gut, es gibt eine schöne Altstadt. Aber dann kam der Zufall in Gestalt eines neuen Cabrios ins Spiel. Meine Frau und ich machten einen Ausflug und kamen nach Burg Blankenstein bei Hattingen. Hattingen hat eine wunderhübsche Altstadt, sehr schöne Architekturensembles aus dem 15., 16. und 17. Jahrhundert. – Und schon spielte die Geschichte in Hattingen. Für diese Stadt sprach auch, dass sie eine Hansestadt war, wenn auch nur eine Unterstadt.

Histo Journal: Unterstadt?

Jan Zweyer: Sie war auf Hansetagen nicht stimmberechtigt.

Histo Journal: Das ermöglichte Deinem Helden also eine Handelskarriere.

Jan Zweyer: Genau. Die Grundidee war also die eines Waisenkindes, das aus Hattingen vertrieben wird. Damit ergaben sich viele Möglichkeiten. Ich konnte ihn zum Beispiel nach Lübeck fahren lassen. – Die Stadt hat mir auch immer gut gefallen … Aber vor allem sollte er nach Schneeberg ins Erzgebirge.

Histo Journal: Natürlich wegen des Bergbaus. Auch ein Herzensthema von Dir! Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, warum Dein Buch gerade 1488 beginnt.

Jan Zweyer: Genau. Zu dieser Zeit herrschte ja in Deutschland das große Berggeschrei, die Blütezeit des Bergbaus. Aber nicht nur das, auch historische Ereignisse spielten bei der Einordnung eine Rolle, mein Held sollte ja unter bestimmten historisch belegten Ereignissen altersgerecht agieren können.

Histo Journal: Dein Held heißt Jorge. Mir war der Name bisher nur in Zusammenhang mit »Der Name der Rose« geläufig.

Jan Zweyer: Jorge bedeutet natürlich Georg. Ich fand ihn in einem Namensverzeichnis als typischen deutschen Männernamen des Mittelalters aufgeführt.

Histo Journal: Stichwort Recherche. Wenn man Deine Romane liest, kann man sich vorstellen, dass der Aufwand ständig wuchs. Neben dem Strang um den Waisenjungen Jorge gibt es auch noch den des Kaufmannes Enghusen. Beide sind zwar miteinander verbunden – mehr soll aber an dieser Stelle darüber nicht verraten werden – aber dennoch völlig eigenständig.

Jan Zweyer: Ja, und für den Kaufmann, der im Rat der Stadt Karriere macht, ergaben sich auch noch ein paar Notwendigkeiten, die Recherchen nach sich zogen. Beispielsweise sollte Enghusen Mitglied im Femegericht werden. Dabei spielen dann noch der Erzbischof von Köln und der Herzog von Klewe und Mark als Konkurrenten um die Macht eine Rolle. Rechtsprechung ist überhaupt ein spannendes Thema. Die Urteile im Mittelalter oder der Neuzeit wirken auf uns heute grausam. Aber das ist nur scheinbar so. Zu dieser Zeit war ein Urteil als Strafe und zur Abschreckung gedacht. Die Todesstrafe reichte dafür nicht aus. Der Tod war ja allgegenwärtig und das Leben nach dem Tode, das Paradies, sogar eher eine schöne Verheißung. Ganz anders aber das Sterben unter Schmerzen. So gesehen war der Tod am Galgen gegenüber den Qualen der Folter eher eine humane Angelegenheit. Und so grausam die Strafen scheinen, die Gerichtsverhandlungen vollzogen sich nach strengen Regeln und Gesetzen. Auch wenn wir die Regeln heute nicht mehr nachvollziehen können.

Histo Journal: Eine wichtige Rolle spielen in dem Roman die Benediktiner und die Dominikaner. Die Dominikaner haben ja als Inquisitoren grausame Berühmtheit erlangt. Die Hunde des Herrn galten als gnadenlose Verfolger von Ketzern und Hexen.

Jan Zweyer: Die Mönche brauchte ich wegen Jorges Schulausbildung. Und wie überall gibt es auch unter ihnen Gute und Böse … Übrigens sind die Dominikaner strenggenommen gar keine Mönche, sondern eine Ordensgemeinschaft. Im Buch bezeichne ich sie der Einfachheit halber aber als Mönche.

Histo Journal: Dann stellt sich nun natürlich die Frage nach den »Grauen Mönchen«, was hat es mit dieser Bezeichnung auf sich?

Jan Zweyer: In Hattingen gab es tatsächlich ein »Haus der Grauen Mönche« der Dominikaner, das in der Reformationszeit aufgegeben wurde. Der Grund für die Aufgabe ist unbekannt. Den Namen habe ich übernommen, aber nie endgültig klären können, woher er kommt. Interessanterweise gibt es in Schleswig von den Franziskanern, wie die Dominikaner ein Bettelorden, ebenfalls »ein Haus der grauen Mönche«. {Graues Kloster {auch: Graukloster} ist in manchen Städten Norddeutschlands, in Skandinavien und im Baltikum die Bezeichnung für ein Kloster der Franziskaner, seit 1517 insbesondere der Minoriten, die aufgrund der Farbe ihrer Kutten auch als Graue Mönche bezeichnet wurden {vgl. englisch Greyfriars} Quelle: wikipedia, Anm. d. Red.} Übrigens habe ich lange nach einem Titel für den Roman gesucht. Meine Frau sagte irgendwann: Aber du hast doch längst einen …

Histo Journal: Man ahnt, was für eine ungeheure Vielfalt an Themen du recherchiert hast. Wie genau nimmst du es mit der historischen Wahrhaftigkeit?

Jan Zweyer: Ich bilde mir ein, dass ich sehr genau recherchiere. Auf meiner Internetseite stehen alle Quellen, die ich benutzt habe. Ich scanne die Literatur meistens ein, damit ich in den Dateien nach Namen, Daten und Stichworten suchen kann. Ich sage mal so: Wenn jemand mit einer einfachen Google-Abfrage einen Fehler findet, würde mich das sehr ärgern. Allerdings weiche ich gelegentlich auch schon mal von der Historie ab, aber dann gebe ich das im Nachwort an.

Histo Journal: Du erzählst Deine Geschichte in verschiedenen Erzählsträngen, Jorge ist die Hauptfigur, aber es gibt ja noch weitere, unter anderem den Kaufmann Enghusen. Schreibst du die einzelnen Stränge durch, oder ein Kapitel nach dem anderen, so, wie sie im Roman erscheinen? Also chronologisch?

Jan Zweyer: Ich schreibe chronologisch nach Ablauf im Buch.

Histo Journal: Und die Handlung steht vorher fest?

Jan Zweyer: Nein, ich plotte nie den ganzen Roman. Eigentlich stand bei diesem Roman nur fest, dass Jorge aus Hattingen vertrieben wird, und am Ende dorthin zurückkehrt.

Histo Journal: Lebend oder tot …

Jan Zweyer: Ja. Auch das wusste ich noch nicht. Auch nicht, ob er seine Jugendliebe bekommt oder nicht.

Histo Journal: Mit der Geschichte um den Waisenjungen Jorge ist das Haus der Grauen Mönche aber noch nicht fertig.

Jan Zweyer: Genau. Diese Romane sind der Beginn einer Familiengeschichte. Jorge legt den Grundstein für eine Handelsdynastie, anhand derer ich die Industrialisierung des Ruhrgebietes vom Mittelalter bis in die Gegenwart zeigen möchte – wenn ich es denn schaffe. Die Geschichte einer Familie wie Haniel zum Beispiel, die das Ruhrgebiet maßgeblich geprägt hat.

Histo Journal: Das ist ein großes Ziel! Arbeitest Du schon an der Fortsetzung?

Jan Zweyer: Ich schreibe derzeit am vierten Teil. Der spielt rund 30 Jahre später zur Zeit der Wiedertäufer in Münster.

Histo Journal: Kill your darlings, diese Empfehlung für Autoren nimmst du sehr ernst, das kann ich als Leserin bestätigen. Aber, soviel sei verraten, Jorge schafft es immerhin in den vierten Band …

Jan Zweyer: Ja, und er bekommt Nachwuchs. Einer seiner Söhne wird Instrumentenbauer. Du glaubst nicht, wie schwierig es war, in Münster einen passenden Instrumentenbauer zu finden … Es gab zu dieser Zeit auch keinen. Also habe ich einen von Würzburg nach Münster verpflanzt.

Histo Journal: Aber nicht alle überleben. Sonst wäre ich jetzt ein bisschen enttäuscht …

Jan Zweyer: Nein, keine Sorge. Einige fallen einer Krankheit, dem »Englischen Schweiß« zum Opfer. Eine sehr interessante Krankheit übrigens, die gar nicht so große Beachtung gefunden hat, dabei war sie aggressiver als die Pest. Innerhalb von 24 Stunden führt sie zum Tod. Die Frau von Thomas Cromwell ist daran gestorben. In England fing sie an, 1528 wütete sie in Hamburg und 1100 Menschen starben daran, über Lübeck und die Handelswege zog sie weiter bis Süddeutschland. 1550 brach sie noch einmal aus, aber dann nie wieder. Bemerkenswert war noch, dass sie in England vor allem in der Oberschicht grassierte. Um welche Krankheit es sich handelt, ist immer noch ein Rätsel, nur, dass sie mit starkem Schwitzen einher ging, daher der Name. Mediziner spekulieren, dass es sich um eine Art ansteckende Vergiftung handeln könnte, oder eine schwere Influenza, eine Variante der Pest wäre ebenfalls möglich.

Histo Journal: Jetzt sind wir sehr gespannt auf den Fortgang deiner deutschen Handelsgeschichte um Jorge und seine Nachfahren! Herzlichen Dank für das Gespräch!


Jan Zweyer
Das Haus der Grauen Mönche
Die Lübecker Hanse gerät zwischen die Fronten
des Dänisch-Schwedischen Krieges

Anno 1504: Jorge von Linden baut sich in Lübeck eine neue Existenz auf. Als Schreiber arbeitet er für die Brüder Wibbeking in deren Handelskontor. Doch die Zeiten sind hart für die Kaufleute, denn die Zwistigkeiten zwischen Schweden und Dänemark eskalieren. König Johann verlangt, dass sich die Hanse auf seine Seite stellt, wenn sie weiterhin unbeschadet Ostseehandel treiben will. Ausgerechnet Jorge und Clas Wibbeking werden bei einer Reise nach Reval für die Gilde Opfer einer Intrige und geraten in Gefangenschaft.

Marlein van Enghusen ahnt nicht, dass ihr Jugendfreund ganz in ihrer Nähe ansässig geworden ist. Als ihr Vater droht, sie zurück nach Hattingen zu holen, nimmt sie ihr Schicksal selbst in die Hand und geht eine Ehe mit Albrecht Schulten, dem wesentlich älteren Geschäftspartner ihres Onkels, ein. Aber schon bald gelten getroffene Vereinbarungen nichts mehr.

Dann bricht tatsächlich Krieg aus und es scheint für niemanden eine Zukunft zu geben …

Das große Finale der Mittelaltersaga »Das Haus der Grauen Mönche«

Weitere Informationen und Leseprobe auf der Website des Grafit Verlags.

Der Autor

Jan Zweyer wurde 1953 in Frankfurt am Main geboren und wuchs in Bad Oeynhausen auf. Mitte der Siebzigerjahre zog er ins Ruhrgebiet, studierte erst Architektur an den Fachhochschulen Bochum und Dortmund, dann Sozialwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum. Zwischen den beiden Studiengängen schrieb er als ständiger freier Mitarbeiter für die ›Westdeutsche Allgemeine Zeitung‹. Nach seiner letzten Abschlussprüfung war er zunächst als Drittmittelknecht an der Ruhr-Universität, danach viele Jahre in unterschiedlichen Funktionen für verschiedene Industrieunternehmen tätig. Heute arbeitet Zweyer als freier Schriftsteller im Ruhrgebiet und lebt in Herne.

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