Bea Rauenthal im Interview

Eine Reise durch die Zeit, die Begegnung mit fremden und doch irgendwie auch bekannten, wenngleich wenig vertrauten Gegebenheiten und Bräuchen, das war schon Thema einiger Romane und Filme. Eine Reise durch die Zeit, sie ist seit der Entdeckung der Quantenphysik mittlerweile sogar möglich, heißt es bei Physikern. Die Gelegenheit, einen nahen Blick auf Geschehnisse und Personen zu werfen, die wegen des zeitlichen Abstandes oft unverständlich, unlogisch, unüberlegt, ja, manchmal geradezu dumm erscheinen, hat auf Autoren immer wieder einen unwiderstehlichen Reiz.

von Ilka Stitz

Histo Journal: Liebe Beate Sauer. Bea Rauenthal ist Dein Pseudonym. Warum jetzt ein anderer Name?

Bea Rauenthal {BR}: Für das offene Pseudonym habe ich mich in Absprache mit meinem Agenten entschieden, damit sozusagen schon auf den ersten Blick – an meinem Namen – deutlich wird, dass es sich bei der Zeitreise um etwas ganz anderes handelt als bei meinen ernsthaften historischen Romanen. In den Zeitreiseromanen spiele ich ja mit dem Genre und es kommt viel Komik vor. »Bea Rauenthal« ist sozusagen ein anderes Label als »Beate Sauer«.

Selfie: Bea Rauenthal (l) & Ilka Stitz (r)

Histo Journal: Woher kommt die Begeisterung für dieses Thema?

BR: Da erinnere ich mich zuerst eine Fernsehserie aus meiner Kindheit: Catweazle, der angelsächsische Zauberer, der während der Normanneninvasion mit seiner Kröte Kühlwalda in einen Teich springt, und im England des 20. Jahrhunderts wieder auftaucht.

Histo Journal: Genauer gesagt, in den 70er Jahren.

BR: Ja. In dieser Serie ergaben sich aus dem Zusammentreffen des mittelalterlichen Menschen mit dem modernen Leben wundervolle und natürlich auch urkomische Situationen. Catweazle reist ja aus seiner Sicht in die Zukunft, das ermöglicht dem Zuschauer eine veränderte Sichtweise auf die eigene Welt, in den Augen eines mittelalterlichen Zauberers werden ganz alltägliche Dinge wie ein Telefon oder elektrisches Licht oder ein Abbiegepfeil auf einer Straße zu einem Mysterium. Umgekehrt lässt die Autorin Edith Nesbith ihre Helden, die Geschwister Edred und Elfrieda in Die Kinder von Arden in wichtige Epochen der englischen Geschichte zurückreisen, damit sie den Familienschatz finden können. Dieses Buch habe ich als Kind auch sehr geliebt.
Mein Wunsch, auch selbst Zeitreiseromane zu schreiben liegt schon einige Jahre zurück. Als Erstes hatte ich die Idee zu einer Zeitreise ins Mittelalter. Anlässlich der Cologne Conference, bei der ausländische Produktionen deutschen Sendern präsentiert werden, begegnete mir dann die Serie »Life on Mars«. Darin wird ein zeitgenössischer Detective Chief Inspector ins Manchester des Jahres 1973 zurückgeschickt. Die 1970er sind uns ja auf den ersten Blick zeitlich recht nahe. Wenn man genauer hinsieht, aber doch recht fremd. Und das liegt nicht nur an den abenteuerlichen Mustern und Farbzusammenstellungen dieser Jahre.

Histo Journal: Erneut die 70er. Es ist also die Konfrontation mit der Vergangenheit, dem vermeintlich Fremden, die Dich fasziniert?

BR: Das Spiel, Zeitgenossen in ein fremdes Umfeld zu versetzen, in eine Zeit, in der andere Regeln gelten, mit denen sie umgehen müssen, finde ich spannend. Ich frage mich dann: wie würde ich mich in dieser Situation verhalten? Außerdem sind in diesem eher fantastischen Genre Dinge möglich, die in einem »richtigen« historischen Roman keinen Platz hätten. Und das ist ebenfalls sehr reizvoll.

Histo Journal: Das ist das Stichwort für die Frage: Wie kann man überhaupt durch die Zeit reisen?

BR: Die Frage, wie Zeitreisen funktionieren könnten, stand bei mir nie im Mittelpunkt. Da ich an Physik kein Interesse habe, biete ich auch kein naturwissenschaftliches Erklärungsmodell. Bei mir sind es eher außerordentliche Ereignisse, die den Transfer ermöglichen. Im ersten Buch ist es ein Autounfall, im zweiten ein Blitz, auch ein abstürzender Fahrstuhl leistet gute Dienste. Mir geht es hauptsächlich um eine spannende Geschichte, die durch die Konfrontation mit dem Unbekannten entsteht.

Bea Rauenthal & die 70ziger

Histo Journal: Deine Protagonisten sind ja Polizisten und keine Historiker, dem zur Folge stehen sie mit ihrem Allgemeinwissen der durchaus fremd zu nennenden Umgebung relativ hilflos gegenüber.

BR: Mich begeisterte der Gedanken, einen Kriminalroman zu schreiben, bei dem die Ermittler ohne die vertrauten Methoden klar kommen mussten. Somit stand von Anfang an fest, dass ich zwei Kriminalbeamte durch die Zeiten schicken würde. Meine Helden Jo – Josepha – und Lutz sind ja ein recht gegensätzliches Paar, also nicht nur unterschiedlichen Geschlechtes, sondern sie haben auch extrem gegensätzliche Charaktere. Meine Heldin Jo ist ja eher die ordnungsliebende, geregelte, die auf alles, was ihren Strukturen zuwiderläuft, gereizt reagiert. Dem steht Lutz gegenüber, ihr eher lockerer, Rauschmitteln konsumierender Kollege, der das Leben als solches auf die leichte Schulter nimmt – und sich dadurch den fremden Welten leichter anpassen kann.

Histo Journal: Fremde Welten … Ja, der erste Roman Dreikönigsmord spielt im Mittelalter, eine Zeit, die uns heute vermutlich so fremd wie kaum eine andere sein dürfte.

»Für das offene Pseudonym habe ich mich in Absprache mit meinem Agenten entschieden, damit sozusagen schon auf den ersten Blick – an meinem Namen – deutlich wird, dass es sich bei der Zeitreise um etwas ganz anderes handelt als bei meinen ernsthaften historischen Romanen.«

BR: Ja, ganz recht, das war natürlich reizvoll. Hilfreich war sicherlich, dass ich mich in dieser Zeit durch meine historischen Romane gut auskenne. Insofern lag die Auswahl nahe.

Histo Journal: In Dreikönigsmord, ist der Fund eines Skeletts der Auslöser für die Zeitreise. Wie kam es zu dem Fall?

BR: Ich las in der Zeitung von einem Skelettfund bei einem Kloster. Wegen des Verdachts auf eine Straftat wurde zunächst die Polizei gerufen, doch dann stellte sich heraus, dass es sich um Knochen aus dem Mittelalter handelte. Den Fall fand ich sehr inspirierend und die Handlung des ersten Romans entwickelte sich aus dieser Zeitungsnotiz. Mein erster Gedanke war allerdings, jemanden aus dem Mittelalter in die Jetztzeit reisen zu lassen, doch das erwies sich als zu erklärungsbedürftig. Der umgekehrte Weg erschien mir schließlich spannender.

Histo Journal: Der zweite, Karfreitagsmord, spielt dann im 19. Jahrhundert …

BR: Im Jahr 1898 genau genommen. Mich reizte diese Zeit unter anderem, weil meine Großeltern damals schon lebten. Es ist die Zeit der technischen Errungenschaften, und der Beginn der Kriminalistik, mit der Daktyloskopie beispielsweise, die sich die Einmaligkeit des Fingerabdrucks zunutze macht. In England wurde das Fingerabdruckverfahren übrigens eher vor Gericht verwendet als in Deutschland. Hier wurde es erstmals 1903 in Sachsen als Beweismittel anerkannt.

Histo Journal: Kommen wir nun zu den Siebziger Jahren, und zu Fronleichnamsmord. Eine uns noch sehr nahe, aber nicht weniger spannende Zeit, wenn man einmal von den psychedelischen Tapetenmustern und den Schlaghosen absieht. Was macht diese Zeit für Dich so interessant, dass Du ihr einen Teil Deiner Trilogie widmest?

BR: Allgemein gefällt mir das Lebensgefühl in dieser Zeit. Diese Suche nach Freiheit und Abenteuer und das Gefühl, alles ist möglich. Was die Zeit für einen Kriminalroman interessant macht, ist die Rolle der Frau innerhalb der Kriminalpolizei. Es gab bis in die Mitte der 70er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland die rein »Weibliche Kriminalpolizei«. Diese Polizistinnen in Zivil waren aber in erster Linie nur dazu da, Zeugenaussagen aufzunehmen und Opfer zu schützen. Etwas überspitzt gesagt, entsprach ihre Tätigkeit eher der besserer Sekretärinnen. Sie haben, anders als wir es unter Kripo verstehen, keine Ermittlungsarbeiten zur Verbrechensaufklärung durchgeführt. Diese rein weiblichen Polizeieinheiten wurden ab Mitte der 70er nach und nach in den Ländern aufgelöst und die Beamtinnen wurden der bislang ausschließlich männlichen ermittelnden Kripo zugeteilt. Erst 1979 stellte Hamburg quasi als erstes Bundesland beispielsweise Schutzpolizistinnen ein. Mit 1974 ist der fiktive Ort Ebersheim aus meinen Romanen, was Polizistinnen bei der ermittelnden Kripo betrifft, sehr früh dran. Deshalb handelt es sich in diesem Fall um ein Pilotprojekt, bei dem meine Ermittlerin Jo mitarbeitet.

Histo Journal: Für Deinen Ermittler Lutz hast Du indes andere Aufgaben …

BR: Da er ja eine gewisse Zuneigung zu bewusstseinserweiternden Drogen hegt, habe ich ihn passenderweise in einer Kommune untergebracht, die Cannabis in ihrem Garten anbaut.

Histo Journal: Das klingt sehr viel versprechend! Wann wird der dritte Band erscheinen?

Ilka Stitz unterwegs für das Histo Journal

BR: Im Herbst 2014.

Histo Journal: Wie kam es zu den Titeln Dreikönigsmord, Karfreitagsmord, Fronleichnamsmord? Haben diese Feiertage eine tiefere Bedeutung?

BR: Ja, im »Dreikönigsmord« findet der Showdown zwischen Jo und Lutz und dem Mörder am 6. Januar statt. Im »Karfreitagsmord« wird am Karfreitag ein Mord verübt. Am Fronleichnamstag 1974 fand das erste Spiel der Fußball-WM satt – Brasilien gegen Jugoslawien – und Jo wird an diesem Tag zu einem Leichenfund gerufen.

Histo Journal: Und mit dem Fronleichnamsmord ist das Abenteuer Zeitreise beendet?

BR: Ich hatte zwar von Anfang an eine Trilogie geplant, aber wer kann es wissen? Es gibt noch viele andere reizvolle Epochen …

Histo Journal: Wir sind sehr gespannt! Vielen Dank für das anregende Gespräch!



Dreikönigsmord
Bea Rauenthal

Hauptkommissarin Jo Weber und ihr streitlustiger Kollege Lutz Jäger werden zu einer Leiche gerufen. Doch die ist mehrere hundert Jahre alt. Kein Fall für Jo und Lutz also – bis sie sich völlig überrascht im Mittelalter wiederfinden. Um in die Gegenwart zurückzukehren, müssen sie den Mord an dem Mann aufklären, dessen Skelett gefunden wurde. Ohne moderne Spurensicherung und Genanalyse scheint ihnen das unmöglich. Die Spur führt zuerst in die Gosse, dann in Kirchenkreise, und immer müssen Jo und Lutz aufpassen, dass sie sich nicht verraten und der Ketzerei angeklagt werden. Werden sie es schaffen – zurück in die Zukunft? Bestsellerautorin Beate Sauer mit ihrer spannenden und amüsanten Zeitreisekrimiserie!


© Ewa Wawrzyniak

Die Autorin

Bea Rauenthal arbeitet derzeit an dem dritten Teil ihrer Zeitreisetrilogie, deren erste beiden Bände kürzlich erschienen sind. Bea Rauenthal ist das Pseudonym der bekannten Schriftstellerin Beate Sauer, die mit Titeln wie Die Buchmalerin, Der Geschmack der Tollkirsche, Die Schwertkämpferin oder Am Hofe der Löwin auf sich aufmerksam gemacht hat. Die Zeitreisegeschichten, ein dem historischen Roman verbundenes und doch ganz anderes Genre, erscheinen nun unter Pseudonym.

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