MANET Sehen – Der Blick der Moderne

Ausstellung Kunsthalle Hamburg 27.Mai – 4.September 2016

Ein Gastbeitrag von Constanze Wilken

Ab Ende Mai 2016 zeigt die Hamburger Kunsthalle aus Anlass ihrer Wiedereröffnung mit Manet – Sehen. Der Blick der Moderne eine Ausstellung der Superlative: Mit Meisterwerken von Édouard Manet {1832-1883} präsentiert sie einen der bedeutendsten Wegbereiter der modernen Malerei, der die Kunst im 19. Jahrhundert wie kein Zweiter revolutioniert hat. Das Thema der Ausstellung, Manets Blicke, zeigt das Werk des Künstlers in einer neuen Perspektive. Seine Gemälde, die schon im 19. Jahrhundert in den Pariser Salon-Ausstellungen Publikumsmagneten waren, lösten wahre Proteststürme aus. Das lag vor allem an seiner malerischen Strategie, mit bisher unbekannter Direktheit ein spannungsvolles Verhältnis zwischen den Personen im Bild und den Betrachtern herzustellen. Diese bisweilen direkte Ansprache des Betrachters fasziniert bis heute. Manets Gemälde verdeutlichen, wie sich das Sehen in der Öffentlichkeit der modernen Metropole Paris seit den 1860er-Jahren unaufhaltsam verändert – ein Wandel, den Manet und seine Zeitgenossen in ihrer Kunst pointiert zum Thema machten. In der Rückwendung auf Alte Meister, wie etwa auf die großen Spanier Velázquez und Goya, aber gleichzeitig auch in der Beschäftigung mit den Themen des modernen Lebens, entwickelt Manet die neue Bildsprache seiner Zeit. – Museumstext –

KATALOG
Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog mit Essays von Michael Diers, Dorothee Hansen, Joachim Kaak, Matthias Krüger, Michael Lüthy und Barbara Wittmann sowie Beiträgen weiterer Autorinnen und Autoren aus der Hamburger Kunsthalle erschienen.

Website des Museums

»Monsieur Manet, ein enfant terrible der Kunst das es mit vulgärer Kühnheit und ungestraft gebliebenem Skandal rasch zu Ruhm brachte.«

Mathurin de Lescure, Revue contemporaine, 15.Mai 1865

Die Schmähungen der zeitgenössischen Kunstkritiker für den Künstler Edouard Manet {1832 – 1883} waren vielfältig und leidenschaftlich – genau wie die provokante Kunst des Malers. Wie kaum ein anderer Künstler revolutionierte Manet die Kunst des 19. Jahrhunderts mit seiner aufrüttelnden direkten Bildansprache des Publikums.

Hamburger Kunsthalle
© C. Wilken

Seine Bilder lösten bei Kritikern und Besuchern der Pariser Salon-Ausstellungen Proteststürme und Skandale aus. Was für uns heute normal ist, traf den moralinsauren Bürger des 19. Jahrhunderts bis ins Mark. Manet stellte mit bisweilen brutaler, unverblümter Direktheit die andere Seite der Gesellschaft dar – nämlich jene, die hinter verschlossenen Türen existierte.

Die Hamburger Kunsthalle meldet sich zurück

Die Hamburger Kunsthalle meldet sich nach einer längeren Umbauphase mit einer großen Manet Ausstellung zurück, die den »Blick der Moderne« in den Mittelpunkt rückt. Die Ausstellung ist zugleich das Abschiedsprojekt von Hubertus Gaßner, dem scheidenden Direktor der Kunsthalle. Im Hinblick auf die Anzahl der versammelten Werke Manets ist die Ausstellung in der Tat außergewöhnlich. Sechs Jahre dauerte es, sechzig Werke aus rund dreißig internationalen Sammlungen und Museen als Leihgaben zu akquirieren. In Anbetracht der Tatsache, dass viele Museen nur einen Manet besitzen, ist die umfangreiche Ausstellung umso bemerkenswerter. Die Veranstalter betonen, dass es eine solche Ausstellung, die das Früh- und das Spätwerk Manets umfasst, in Deutschland seit Jahrzehnten nicht gegeben hat.

Der Besucher muss sich in das Untergeschoss der Kunsthalle begeben, um die dunkelrot und violett getünchten Räume der Sonderausstellung zu finden. Die Wände gehören nicht den Kunstwerken allein sondern wurden großflächig mit Texten, Kommentaren und Karikaturen bestückt, durch die der Besucher erfährt, wie Manet zum Skandalkünstler wurde. Gerade die zeitgenössischen Schmähkritiken verdeutlichen, was ein Künstler damals auszuhalten hatte: Hohngelächter und Häme von Kritikern und Publikum. Und doch ist das »Ausstellen die Lebensfrage, das sine qua non für den Künstler«, erkannte Manet, der mit seinen Werken subtil und pointiert zu provozieren verstand.

Manet – Der Provokateuer

Zu seiner skandalumwitterten »Olympia«, die er nach Tizians »Venus von Urbino« schuf, entrüstete sich Paul de Saint-Victor 1865 in La Presse »Die Menge drängt sich wie im Leichenschauhaus vor der verwesenden Olympia von Monsieur Manet. Eine derart heruntergekommene Kunst verdient nicht einmal mehr, daß man sie tadelt.«
Was echauffierte die Kritiker? Manet hatte die Liebesgöttin in eine stadtbekannte Prostituierte verwandelt und seine eigene Version von Modernität geschaffen. Ähnlichen Aufruhr verursachte die »Nana« von 1877.
Manet gewährt dem Betrachter Einblick in die intime Atmosphäre eines Ankleidezimmers. Eine blonde Dame im Unterkleid steht aufreizend vor ihrem Frisiertisch, den Puderbausch kokett in einer Hand, in der anderen das Lippenrot haltend und schaut den Betrachter direkt an. In ihrem Blick mischen sich Verführung und Melancholie, denn ihre Situation ist alles andere als respektabel. Bei der Porträtierten handelt es sich um eine in der Pariser Gesellschaft bekannte Kokotte und auf dem Canapé wartet sitzend bereits ihr nächster Freier. Der Herr der besseren Gesellschaft ist vollständig bekleidet, hält seinen Gehstock und hat nicht einmal seinen Hut abgelegt. Das Neue und für die Pariser empörende war Manets sezierender Blick auf die heuchlerische Gesellschaft. Solche Kokotten »wohnten« renovierungsbedürftige Wohnungen in Prachtboulevards trocken, die noch feucht waren. Man richtete ihnen dort einen Salon ein, in dem sie ihre Kunden empfangen konnten, die so eine renommierte Adresse aufsuchen und keine Absteige in Montmatre besuchen mussten.

Katalog plus Flyer – Beides zeigt das Bild der »Nana«
© C. Wilken

Als die »Nana« für die Salonausstellung abgelehnt wurde, stellte Manet sie kurzerhand im Schaufenster einer Boutique in der Rue de Capucines aus. Der intime Rahmen zog erst recht die Blicke auf sich. Neben der »Nana« hängt das Mädchenporträt »Lise Campineaunu« und etwas weiter das Porträt des Schauspielers Jean-Baptiste Faure in der Rolle des Hamlet.
Neben der kraftvoll lebendigen Malweise, dem lockeren Pinselduktus, dem sich Lösen von der Linie, was unweigerlich einen Bruch mit Ingres Lehre von der Dominanz der Linie zur Folge hatte, verwendet Manet in beinahe inflationärer Weise die Farbe Schwarz. Der Hamletdarsteller ist komplett schwarz gekleidet. Das Kleid von Berthe Morisot ist schwarz, die Jacken der Herren auf dem Maskenball sind schwarz und das Jackett des jungen Dandies von »Frühstück im Atelier« scheint ein schwarzes Loch in die Leinwand brennen zu wollen. Manet entwickelt eine nie dagewesene Intensität in der Verwendung des Schwarz. Parallel dazu reduziert er seine Farbpalette und setzt eine ungewohnt einfache Bildsprache ein. Sein Farbauftrag wird flächig, der Maler verzichtet auf Tiefenwirkung und schafft diffus graue Hintergrundflächen.

Velasquez und Goya als Inspiration

Das ist modern und bricht mit Traditionen, fordert die Besucher heraus, verschreckt, verstört und regt auf. Dabei fand Manet den Anstoß zur Radikalisierung seines bildnerischen Ausdrucks bei den alten spanischen Meistern – im Prado. Velasquez und Goya wurden zu Manets Inspiration. Folgerichtig zeigt die Ausstellung Bildpaare u.a. Velasquez »Menipo« von 1638 und als Gegenstück Manets »Philosoph« von 1865/67, eine Leihgabe aus Chicago. Die Möglichkeit des direkten Vergleichs ist ein Highlight der Ausstellung.
Ein seltener Augenschmaus wird dem Besucher mit dem Gemälde »Der Balkon«, 1868/69, geboten, das sonst nur im Musée d’Orsay in Paris zu bewundern ist. Die Komposition ist ungewöhnlich und hatte einen Grund: die Hängung im Salon de Paris. Der Salon war eine Institution, über die Zulassung der Werke entschied eine Jury aus Mitgliedern der Académie des Beaux-Arts. Allerdings machte es die schier unübersehbare Anzahl der Bilder im Salon unvermeidlich, dass zahlreiche Werke in großer Höhe und ungünstigen Blickwinkeln platziert wurden. Jeder Künstler versuchte, seine Werke auf Augenhöhe an der »cimaise«, der berühmten Wandleiste, hängen zu lassen. Denn hier wurde den Bildern die größte Aufmerksamkeit zuteil.

1869 reichte Manet den »Balkon« und das »Frühstück im Atelier« gemeinsam ein. Die Komposition des Balkons zielt auf genau diese Wirkung oberhalb des Publikums ab. Manets Lieblingsmodell, die Malerin Berthe Morisot, lehnt an der Brüstung eines Balkons auf einem der Haussmannschen Boulevards und sieht über das Publikum des Salons hinweg, ähnlich wie die zweite junge Frau und der Herr im Hintergrund. Auf den ersten Blick scheint hier nichts anstößig, doch die Kritiker empfanden das Grün der Lamellentüren als zu aggressiv und bemängelten die fehlende Kommunikation innerhalb der Figuren. Mit dem im Dunkel versinkenden Interieur des Hintergrunds spielte Manet auf ein vieldiskutiertes Pressegesetz von 1868 an. Jedwede Darstellung privaten Geschehens sollte unter Strafe gestellt werden.

Ausstellungskatalog plus Flyer
© C. Wilken

Ein weiteres Bilderpaar gibt es mit Goyas »Don Tomas Perez Estala« von 1806 und Manets »Emilie Ambre in der Rolle der Carmen«. Manet porträtierte die aus Algerien stammende Opernsängerin aus Dank dafür, dass sie die »Erschießung Kaiser Maximilians«, das aus politischen Gründen in Frankreich nicht ausgestellt werden durfte, mit nach Boston und New York genommen hatte.
Auch das neue Paris mit seinen Cafés und Brasserien auf den neuen Boulevards, auf denen der leidenschaftliche Flanierer Manet regelmäßig verkehrte, wird thematisiert. Unter anderem sind »Die Bierkellnerin«, »Junge Frau mit Pellerine« und das »Coin de Café-Concert« zu sehen. In einem anderen Raum findet sich Rodins Büste von »Henri Rochefort« und daneben Manets Porträt von Rochefort. Freunde und Kritiker heißt es in den plakativen Wandtexten und zu sehen ist beispielsweise auch das Porträt von Théodore Duret. Duret sammelte Manets Werke und verfasste den ersten Werkkatalog. Manet porträtiert den Freund als Dandy im Stil von Goyas Darstellungen spanischer Kavaliere.

Manets Typus der selbstbewussten Frau

»Tama, der japanische Hund« und Studien von springenden Hunden zeigen Manets vielfältige Motivik und »die Krocketpartie« von 1873 Manets Vorliebe für üppiges vegetatives Grün, sehr zum Verdruss der Kritiker. In seinen letzten Jahren malte Manet sechs Bildnisse von Isabelle Lemonnier. Lemonnier {1857 – 1926} war die Tochter eines Juweliers und die jüngere Schwester von Marguerite Charpentier, die von Renoir porträtiert wurde. Für »Die Amazone« von 1883 stand die Tochter des Buchhändlers Saguez Modell. In ihrem schwarzen Reitkostüm verkörpert sie den Typus der selbstbewussten Frau. Auch hier gelingt es Manet, den Blick des Betrachters auf das Wesentliche – den Gesichtsausdruck der Frau zu lenken. Manet hat den Blick verändert – könnte man als Fazit feststellen.

Hubertus Gaßner fasst treffend zusammen: »Der Erfahrungsraum ist nicht mehr die Tiefe, … sondern es ist der Raum zwischen der Bildoberfläche und mir. Und daraus entwickelt sich die gesamte Moderne Kunst. Wenn man sagt, der Ausstieg aus dem Bild in den 20er Jahren, die Rauminstallation, die Performance, das Happening, all diese Formen sind ohne diese Umkehrung nicht zu vollziehen.«
Belebend und informativ sind die Übergangsräume mit Zitaten von Kritikern, zeitgenössischen Stimmen und Karikaturen. Zudem finden sich interaktive digitale Installationen, die wohl dem Zeitgeist geschuldet sind und auch dem letzten deutlich machen sollen, was der »Blick« bedeutet. Insgesamt ist diese Ausstellung ein Augenschmaus und nicht nur jedem Manet Liebhaber zu empfehlen.

Und wer sich nach dem Museumsbesuch die Beine vertreten oder eine Segelpartie unternehmen möchte, findet die Alster direkt hinter der Kunsthalle.
{Katalog zur Ausstellung »Manet-Sehen, Der Blick der Moderne«, Imhof Verlag, 24,- Euro im Museumsshop}

Constanze Wilken

Die Autorin

Constanze Wilken, geboren 1968, wuchs in einem Küstenort an der Nordsee auf, studierte Kunstgeschichte, Politologie und Literaturwissenschaft in Kiel und lebte danach mehrere Jahre in England. An der University of Wales in Aberystwyth promovierte die Autorin, beschäftigte sich eingehend mit Antiquitäten und entdeckte ihre Liebe zum Schreiben. Wenn sie nicht für Recherchen auf Reisen ist, zieht Constanze Wilken sich zum Schreiben in die Abgeschiedenheit ihrer nordfriesischen Heimat zurück, wo sie mit ihrer Familie und ihren Hunden und Katzen lebt.

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Spezielle Website über Wales der Autorin