Gudrun Lerchbaum über »Andrea Palladio«

Palladio oder wie ein Architekt die Welt eroberte

Just erschien mit »Die Venezianerin und der Baumeister« der Debütroman von Gudrun Lerchbaum. Palladio, der Held ihres historischen Romans, liegt der Autorin am Herzen. Und das nicht nur, weil sie von Haus aus Architektin ist …

Gastbeitrag von Gudrun Lerchbaum

Andrea Palladio. Schon der Klang dieses Namens beschwört Bilder klassischer Säulen und strahlender Renaissance-Fassaden herauf. Als ich vor inzwischen fast fünf Jahren den Entschluss fasste, einen historischen Roman zu schreiben, war er der erste, der mir als Protagonist in den Sinn kam. Seit meinem Architekturstudium mit seinem Werk vertraut, wollte ich den Menschen hinter der kunstgeschichtlichen Ikone aufspüren. Denn selbst wer auf Anhieb nichts mit dem Namen Palladio anzufangen weiß, erkennt fast sicher das eine oder andere seiner Gebäude wieder.

Tritt man beispielsweise in Venedig, von der Piazza San Marco kommend, an das Ufer der Lagune, wird der Blick unweigerlich von der Kirche San Giorgio Maggiore eingefangen, deren weiße Tempelfassade über das Wasser leuchtet. Der zentrale Portikus mit seinen Kolossalsäulen und die niedrigeren Seitengiebel bilden die innere Struktur von Mittelschiff und Seitenschiffen der Kirche ab. Damit steht San Giorgio beispielhaft für die Entwicklung der dreidimensionalen Entwurfsmethode, die Palladio in die Architektur eingebracht hat. Während zuvor Grundriss und Fassade getrennt gedacht wurden, betrachtete Palladio das Gebäude als Organismus, dessen einzelne Teile er nach den Ordnungsprinzipien der Proportionslehre zueinander in Beziehung setzte. Die Fassade wurde zum Abbild der Struktur eines Gebäudes.

Noch deutlicher wird diese Idee bei der nur wenige hundert Meter entfernt auf der Insel Giudecca gelegenen Kirche Il Redentore {Der Erlöser} mit ihrer wunderbar plastischen Komposition. Zum Dank für die Errettung Venedigs vor der Pest 1576/77 geradezu aus dem Boden gestampft, ist sie bis heute an jedem 3. Sonntag im Juli Zielpunkt einer sehenswerten Prozession, die über eine Pontonbrücke von Zattere quer über den Canale della Giudecca führt.

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San Giorgio Maggiore

San Giorgio Maggiore

Il Redentore

Il Redentore

La Rotonda

La Rotonda

Monte Berico

Ausblick Richtung Monte Berico

Eines der bekanntesten Gebäude der Architekturgeschichte ist Palladios Villa Capra, aufgrund ihrer Form meist La Rotonda genannt. Auf einem Hügel vor den Toren Vicenzas gelegen, ist sie zum tausendfach nachgeahmten Prototyp der Villenarchitektur geworden, und das, obwohl Palladio sie zunächst gar nicht zu seinen Villen zählen wollte. Unter einer Villa verstand man damals nämlich, was wir heute vielleicht als Gutshof bezeichnen würden: ein ländliches Anwesen mit Nebengebäuden zu landwirtschaftlichen Zwecken. Die 1566-1570 errichtete Rotonda hingegen war ausschließlich dem Vergnügen ihres Bauherren, des kirchlichen Würdenträgers Almerico Capra, und seinen glanzvollen Gesellschaften gewidmet.

Noch kurz vor seinem Tod im Jahr 1580 begann Palladio mit dem Bau des Teatro Olimpico, des ersten freistehenden, überdachten Theatergebäudes in Europa. Von außen heute schmucklos in die umgebende Bebauung integriert, beeindruckt es mit seiner Bühnenarchitektur, deren Planung nach Palladios Tod von Vincenzo Scamozzi fertiggestellt wurde. Bis heute veranstaltet die Olympische Akademie von Vicenza, die damals den Bau beauftragt hatte, hier Aufführungen antiker Stücke.

Alle bisher gezeigten Gebäude entstammen dem prominenten Spätwerk Palladios. Doch wie gelang es Andrea della Gondola, geboren 1508 als Sohn eines Müllers in Padua, zum renommiertesten Architekten seiner Zeit und Vertrauten einflussreicher Adeliger aufzusteigen?

Zwar war die Gesellschaft der Renaissance wesentlich durchlässiger als die des Mittelalters, doch umfassende humanistische Bildung, die als Grundlage aller Künste angesehen wurde, war natürlich längst nicht jedem zugänglich. Noch heute ist uns der Begriff des »Renaissance-Menschen« Synonym für den Generalisten. Michelangelo, der als Bildhauer, Maler und Architekt die großartigsten Werke schuf, kommt uns in den Sinn, und Leonardo, dessen herausragender Geist alles erforschte, was sein Interesse weckte.

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Teatro Olimpico Eingang

Teatro Olimpico Eingang

Teatro Olimpico Bühne

Teatro Olimpico Bühne

Architekt Vicenza

Standbild des Architekten Vicenza

Conte Giangiorgio Trissino

Conte Giangiorgio Trissino

Andrea Palladio hingegen gilt als der erste Spezialist seines Metiers. Vermutlich bereits in seiner Kindheit weckte sein Pate, der Bildhauer Vincenzo Grandi, in ihm die Begeisterung für die Steinbearbeitung und schon mit dreizehn Jahren nahm ihn der Steinmetz Cavazza als Gesellen in seine Werkstatt auf. Zwei Jahre später zieht der Junge von Padua nach Vicenza, um seine Ausbildung in der renommierten Werkstatt Pedemuro fortzusetzen.
Doch der gelernte Steinmetz und Baumeister entwickelt sich später zum rein planenden Architekten im heutigen Sinn. Mithilfe seines Mentors Conte Giangiorgio Trissino – Dichter, Sprachforscher und Ratgeber zweier Päpste – saugt er jedes Wissen über Architektur auf, das seine praktische Erfahrung ergänzt. Während einiger Romreisen an der Seite des Gelehrten und anderer Adeliger lernt er nicht nur die antiken Stätten der imperialen Hauptstadt kennen, sondern zweifellos auch die verfeinerte Lebensart, die neben seinem freundlichen Wesen als Eintrittskarte zu den Häusern seiner einflussreichen Auftraggeber gelten muss.

Unter dem Künstlernamen Palladio, den er in Anlehnung an eine literarische Figur seines Gönners Trissino angenommen hat, baut der junge Architekt schon bald Villen und Palazzi für fast die gesamte Vicentiner nobiltà. Der große Durchbruch kommt 1549 mit dem Neubau der Loggien um den bestehenden Palazzo della Ragione, den großen Ratssaal in Vicenza, bekannt als Basilica. Mit dem eleganten Entwurf, der Vicenzas Hauptplatz bis heute prägt, setzt Palladio sich gegen die angesehensten Architekten Norditaliens durch und erlangt mit einem Schlag überregionale Bekanntheit.

Doch nicht nur aufgrund seiner Berufsauffassung, seines effizienten Netzwerks und des einprägsamen »Markennamens« muss Palladio als wahrhaft moderner Mensch gelten. Ihm gebührt auch der Ruhm, neben dem antiken Vitruv jahrhundertelang der wichtigste Vermittler von Architektur gewesen zu sein. Seine Quattro libri dell‘architettura {Die vier Bücher über Architektur} sind ein umfangreiches und praxisnahes Lehrwerk, das von der Baustofftechnik über Konstruktionsprinzipien bis zu Proportionslehre und Gebäudetypologie alle Bereiche klassischer Baukunst abdeckt und auch 435 Jahre nach Palladios Tod noch neu aufgelegt wird und in vielen Sprachen erhältlich ist.

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Palazzo Thiene

Palazzo Thiene

Palazzo Chiericati

Palazzo Chiericati

Basilica

Basilica

Quattro libri …

Quattro libri dell‘architettura Titelbild

Sein literarisches Werk ist also ganz wesentlich dafür verantwortlich, dass Palladio zu einem der bekanntesten und meistimitierten Architekten der Geschichte geworden ist. Der nach ihm benannte Baustil, der Palladianismus, fand besonders im angloamerikanischen Raum weite Verbreitung. Das Weiße Haus in Washington und Queen’s House in Greenwich sind nur zwei von zahllosen Beispielen von ihm inspirierter Gebäude.

Doch Andrea Palladio war auch verheiratet und hatte fünf Kinder. Er galt als charmanter Gesellschafter und war doch besessen von seiner Arbeit. Spottverse über sein mangelndes finanzielles Geschick und sein eingeschränktes Interesse an Frauen machten die Runde. Wie fühlte sich sein Leben zwischen seiner großen Liebe Architektur, der Dekadenz reicher Freunde und dem prekären Alltag mit einer kinderreichen Familie an? Dieser ganz persönlichen Frage spüre ich in meinem Roman nach.

Vielleicht lesen wir uns dort wieder.
Es grüßt Gudrun Lerchbaum aus Wien

»Die Venezianerin
und der Baumeister«

»Die Venezianerin und der Baumeister«
Die Architektur des Glücks
Gudrun Lerchbaum

Venetien im 16. Jahrhundert: Die junge Mariangela verliebt sich in den aufstrebenden Steinmetz Andrea Palladio. Der erwidert ihre Gefühle jedoch nicht und heiratet ihre Ziehschwester Allegra – ein Vertrauensbruch, der Mariangela ins Unglück stürzt. Um sie zu retten, nimmt Palladio große Schuld auf sich. Dennoch gelingt ihm der Aufstieg zum gefeierten Architekten – gegen alle Widerstände.
Vom Aufstieg und Werden einer der größten Ikonen der italienischen Baukunst: Andrea Palladio.

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Fotos: Copyright Gudrun Lerchbaum
Dieser Artikel erschien zuerst am 20.01.2015 auf der Website Genussliga.