Rita Hausen über »Mozart als Mythos«

Mozart als Mythos

»Mozart zeigt mir eine andere Welt«, sagt die Autorin Rita Hausen. Grund genug diesem musikalischen Genie einen Artikel zu widmen. In »Mozart als Mythos« schreibt Hausen über Verklärung, Syphilis und eine höchst lebendige Musik.

Gastbeitrag von Rita Hausen

Wenn man Mozart sagt, meint man meistens seine Musik: Ich höre Mozart. Es wird Mozart gespielt. Aber wo bleibt der Mensch? Der Biograph Hartmut Gagelmann schreibt: »Der Mensch ist hinter seinem Werk verschwunden.«

Aber so schön die Musik ist, mich interessiert auch der Mensch. Sehr hartnäckig sogar. Doch man kann über sein Leben wenig Gesichertes in Erfahrung bringen. Mozart geistert deshalb durch die Literatur als ein Gegenstand der Phantasie, der Fiktion. Nicht erst seit Peter Shaffers »Amadeus«. Vor allem Tod und Begräbnis sind so rätselhaft, dass man sich als Schriftsteller herausgefordert fühlt, darüber eine Geschichte zu erfinden. Es existieren mindestens zehn verschiedene Theorien, woran er gestorben sein könnte, so früh. Zum Beispiel: Nierenversagen, Sepsis, entzündlicher Rheumatismus, Folge einer Syphilisbehandlung mit Quecksilbertinktur, übermäßige Aderlässe oder eine ganz gewöhnliche Angina.
Was vor allem interessiert: Muss jemand, der so schöne Musik geschrieben hat, nicht auch ein guter Mensch gewesen sein?

Mozart
Unterschrift

Diese Frage beantwortet Eva Gesine Baur in ihrer Biographie wie folgt:
Er war ein Mann, »der seinen Vater belog und finanziell betrog. Der sich in Fäkalsprache und Obszönitäten erging. Der verdiente Künstler mit groben Worten herabsetzte. Der sich unflätig über Menschen äußerte, denen er viel verdankte. Der intrigierte und trickste. Der seine Gläubiger mit Ausreden hinhielt, seine Schwester im Unglück hängen ließ, über das Äußere von Frauen übel herzog und Unschuldige verleumdete.«
Ende der Verklärung des Menschen Mozart, auch wenn man diese Aussagen unter Umständen etwas übertrieben bzw. nicht alle bestätigt findet.

Baur weiter: Musik und Mensch »sind im doppelten Sinn des Wortes unfassbar. So nah, so fern. So vertraut, so fremd. Werk wie Person entziehen sich dem Zugriff. Nichts ist linear, auf nichts ist Verlass.« und: »Wenn wir meinen, ihn zu fassen, ist er schon wieder ein anderer oder anderswo.« Da haben wir´s: Sofort wird alles relativiert!

»Wo Lachen und Weinen sich jagen.«

Ein Zeitgenosse kritisiert an Mozarts Musik die »höchst unschickliche Mischung, wo Lachen und Weinen sich jagen«.
Ungestillte Sehnsucht und Ruhelosigkeit seien die wesentlichen Merkmale seines Wesens und seiner Musik, meint der Dirigent Daniel Harding. Und Eva Gesine Baur stellt den Widerspruch zwischen Lebensfreude und Verzweiflung in Mozarts Wesen und Musik in den Vordergrund.
»Ein Mann wie Schießpulver«, Michael Kelly, ein Freund Mozarts.
»Ein unglaublicher Irrwisch«, Simon Rattle.
»Einer, der denen, die im Dunklen leben, Licht bringt«, Joseph Haydn.

Mozart
Detail aus einem Gemälde
von Johann Nepomuk
della Croce
(ca. 1780)

Das Schlagwort »Mozart als Mythos« nimmt Eva Gesine Baur wörtlich. Sie deutet sein Leben mithilfe eines Textes aus Platons Symposion, in dem es um Eros geht.
In einem Dialog zwischen Diotima und Sokrates wird Eros als jemand bezeichnet, der zwischen dem Sterblichen und dem Unsterblichen steht, als ein Bote zwischen Menschen und Göttern. Durch seine Vermittlung wird die Kluft zwischen den Unsterblichen und den Sterblichen geschlossen, und er bindet so das All zusammen. Eros ist der Sohn von Poros und Penia. Poros ist die Personifizierung des Auswegs, Penia steht für die Bedürftigkeit. Als Sohn der Penia ist er arm und bedürftig, als Sohn von Poros ist er kühn, stark und beharrlich, ein gewaltiger Jäger und Fallensteller. Er ist weder Gott noch Mensch. An ein und demselben Tag blüht er auf und gedeiht und ermüdet und stirbt dahin. Immer aber lebt er wieder auf. Eros liebt alles Schöne, also auch die Weisheit. Was er heute gewinnt, zerrinnt ihm morgen zwischen den Fingern.

»Er kleidete sich so elegant, dass er von seinem Kollegen Clementi für einen kaiserlichen Kammerherrn gehalten wurde.«

Mithilfe dieser Aussagen deutet die Autorin Mozarts Leben. Ein Beispiel: Mozart hat gerade in seinem letzten Lebensjahr sehr viel verdient, allein für den »Titus« hat er über 1000 Gulden erhalten, für die »Zauberflöte« gewiss noch mehr. Dazu kommen ein fixes Jahresgehalt als Hofkomponist von 800 Gulden, der Vorschuss für das Requiem und zahlreiche andere Einnahmen. Zum Vergleich: Ein Universitätsprofessor erhielt etwa 300, sein Vater Leopold als Vizekapellmeister in Salzburg 350 Gulden. Trotzdem ist Mozart dermaßen verschuldet, dass ihm eine Pfändung droht. Wegen 1435 Gulden, die der Fürst Lichnowsky einklagt. Was aber beileibe nicht die einzigen Schulden sind. Puchberg, einem Kaufmann und Logenbruder, schuldet er in etwa die gleiche Summe. Das wären heute zusammengenommen zirka 80 000 Euro. »Was er heute gewinnt, zerrinnt ihm morgen zwischen den Fingern.« In der Tat fragt man sich, was er mit seinen Einnahmen gemacht hat. Viele Biographen mutmaßen deswegen, er habe dem Glücksspiel gefrönt. Aber vielleicht waren es einfach sein Lebensstil und die Unfähigkeit, das Geld sinnvoll zu verwalten. Er hatte einen eigenen Billardtisch, eine eigene Kutsche und ein Reitpferd. Er kleidete sich so elegant, dass er von seinem Kollegen Clementi für einen kaiserlichen Kammerherrn gehalten wurde.

Doch bei seinen Zeitgenossen galt er als Schlechtverdiener, und bald nach seinem Tod setzte sich die Vorstellung durch, er sei überhaupt bettelarm gewesen. Das passte ins Klischee vom verkannten Genie und von brotloser Kunst. Auch so ein Mythos.

Mozart
Ch. Vogel, 1789

Eines aber kann man nicht bezweifeln: Er hat uns weit über 700 Werke hinterlassen, die unvollendeten mitgerechnet. Ziemlich viel für so ein kurzes Leben, auch wenn man weiß, dass es für ihn ein Kinderspiel war, zu komponieren. Er konnte es angeblich in jeder Situation. Er brauchte dazu weder Ruhe noch Abgeschiedenheit. Es fiel ihm am leichtesten, wenn er Lachen, Gerede und Unruhe um sich herum hatte.

»Mozart zeigt mir eine andere Welt.«

Während seine Frau mit dem ersten Kind in den Wehen lag, saß er an ihrem Bett und schrieb ein Quartett, in dem er ihre Schmerzen in der Musik wiedergab. Dieses Beispiel kann vielleicht zeigen, dass ihm alles, was er sah und hörte, zu Musik »gerann«. Damit ist nicht gemeint, dass man seine persönlichen Lebenssituationen aus der Musik herauslesen kann. Nichts weniger als das. Aber er komponierte, während er sich mitten im Leben befand, nicht abgeschottet davon. Kein Wunder, dass seine Musik so lebendig ist.

Zum Schluss noch ein persönliches Bekenntnis:
Im Unterschied zu manchen Werken Schuberts oder Beethovens macht es die Leichtigkeit Mozarts aus, dass sich seine Musik nicht bedrückend aufs Herz legt. Sie lässt frei. Eben deshalb kann man sich sehr tief auf sie einlassen. Sie ist wie ein Bach, der spitze Steine glättet, während z.B. Schubert, Beethoven und Schumann die spitzen Steine zeigen. Mozart heilt, während Schubert z.B. in der »Winterreise« die Verwundungen zeigt. Auch diese Musik ist schön. Aber Mozart reißt mich raus, zeigt mir eine andere Welt, eine andere Sichtweise, ohne weltenthoben zu sein. Mozarts Musik ist eine prickelnde Dusche fürs Gehirn.

trazoM
Ein Mozart Krimi

trazoM von Rita Hausen

Ein Krimi um den mysteriösen Tod Mozarts und das geheime Wirken der Illuminaten. Dezember 1791. Eine seltsame Häufung erschreckender Ereignisse erschüttert Wien. Mozart stirbt einen unerklärlichen Tod und seine Leiche verschwindet spurlos. Doch sein Geist lebt in der „Zauberflöte“ weiter, die mit ihrer geheimen Botschaft gegen Kirche und Politik rebelliert. Machte Mozarts Mitgliedschaft bei den Geheimnis umwobenen Illuminaten ihn zum Opfer kirchlicher und staatlicher Spitzelsysteme, die selbst vor Mord nicht zurückschreckten?


Literaturangaben:
Eva Gesine Baur, Mozart, Genius und Eros, Eine Biographie, C.H.Beck, München 2014
Hartmut Gagelmann, Mozart hat nie gelebt, Eine kritische Bilanz, Herder, 1991