Ilka Stitz

Histo Journal Special: Ilka Stitz

Das Histo Journal Autorenportrait: Ilka Stitz

»Der Antike gehört meine Liebe, aber das 15. Jahrhundert hat meine Zuneigung gewonnen.«

von Alessa Schmelzer

Das Produkt dieser besonderen Zuneigung ist seit ein paar Wochen im Buchhandel erhältlich. »Harzblut« ist Stitz’ erster Roman, dessen Handlung nicht in der Antike angesiedelt ist. Zuvor ermittelten der gewitzte Römer Silvanus in Kleinasien oder der junge Römer Quintilianus im kalten Germanien. In »Harzblut« ist es der als Händler getarnte Venezianer Federico, der sich im Harz auf die Suche nach edlen Erzen begibt.

»Die Ideen zu Romanen«, so die Autorin freimütig, »kommen ja auf ganz unterschiedliche Weise zum Autor.« Die zu »Harzblut« lieferte das Öffentlich- Rechtliche Fernsehen direkt ins heimische Wohnzimmer. »Die Dokumentation hieß ›Woher die Zwerge kommen‹ und handelte von kleinwüchsigen Südländern, die im Auftrag Venedigs in Deutschland Erze stehlen und auch vor Mord nicht zurückschreckten. Das klang großartig – Zwerge, Diebe, Mörder! Der richtige Stoff für einen Roman…« So war die Idee von »Harzblut« geboren, doch der Weg zur Geschichte um Federico, die Wirtin Anna, ihren Sohn Luca und die undurchschaubare Zwergin Lina war steinig. Stitz verbrachte etliche Stunden in der Universitätsbibliothek von Köln. Dort sichtete sie Quellenmaterial, las wissenschaftliche Fachartikel und deckte sich mit Sekundärliteratur zum Mittelalter und der Frühen Neuzeit ein. Irgendwann stieß die Autorin auf die Venezianer- Sagen. Sie eröffneten ihr den Zugang zu einer Welt des Mysteriösen, bestehend aus Schatzsuchern mit Zauberkräften. »Sie konnten mit ihrem Bergspiegel in Berge sehen, sie konnten Blumen in Gold verwandeln, sie konnten Einheimische nach Venedig und wieder zurück zaubern.«

»Hätte ich geahnt, wie schwierig es werden würde, diese Zeit auch nur entfernt zu begreifen, wäre ich in der Antike geblieben«

Drei Jahre arbeitete Stitz an »Harzblut«. Eine Zeit, in der sie sich vor allem intensiv mit der neuen Epoche auseinandersetzte. »Ehrlich gesagt«, gibt sie unumwunden zu, »hätte ich geahnt, wie schwierig es werden würde, diese Zeit auch nur entfernt zu begreifen, wäre ich in der Antike geblieben«. Ein Glück für ihre Leserinnen und Leser, dass die Autorin sich diesem Projekt trotz der anfänglichen Schwierigkeiten angenommen hat. Denn irgendwann, mit all seinen Quellen und Fachbüchern hatte die Epoche ein feines Netz um die Autorin gesponnen und sie darin gefangen genommen. Danach gab es kein Zurück mehr.

»Inzwischen«, so Stitz, »kann ich sagen, dass der Antike zwar noch immer meine Liebe gehört, dass aber das 15. Jahrhundert meine Zuneigung gewonnen hat. Es ist eine Zeit des Umbruchs, in politischer und sozialer Hinsicht. Das Zeitalter der Ritter geht zu Ende, die Bedeutung der Städte wächst und führt zu Konflikten zwischen dem Adel und dem Bürgertum. Außerdem war gerade Kolumbus von seiner Entdeckungsreise zurück und berichtete erstaunliches. Vor allem aber fand ich das kulturelle ›Gefälle‹ zwischen Italien und Deutschland spannend, das beschäftigte mich schon während meines Studiums der Kunstgeschichte. In Italien blühte längst die lichte Renaissance , die Landschaftsmalerei, vor allem aber hielt das Portrait, und damit die Darstellung des Individuums, Einzug in die Malerei. Es wurde die Vielfalt der Perspektive (wieder)entdeckt – wiederentdeckt, weil es derlei Darstellungen bereits in der Antike gab – dagegen bestimmte in Deutschland noch die Kirche die Kunst, der einzelne Mensch, das Individuum also, spielte keine große Rolle. Hier herrschten Goldgrund und Bedeutungsperspektive, also: je wichtiger die Person, desto größer wurde sie dargestellt, unabhängig von ihrer tatsächlichen Größe. Dieser Kontrast zwischen italienischer Renaissance und deutschem Mittelalter bot reichlich Konfliktpotenzial, reichlich Stoff für eine spannende Handlung.«

Spannende Handlungen – das mögen die Leserinnen und Leser historischer Romane. Ein Genre, das sich ungebrochen großer Beliebtheit unter Leserinnen und Lesern erfreut. »Mich haben historische Romane immer fasziniert«, sagt Stitz zum Thema ›Historischer Roman‹. »Ich habe sie schon immer gern gelesen, weil ich Geschichte und Geschichten liebe und immer auch gern etwas dazulerne.« Diese Faszination teilt Stitz wohl mit den meisten Autoren und Lesern des historischen Genres. Für die Autorin ist der Fall klar: »Bücher entführen den Leser in eine andere Welt, eine Phantasiewelt, in der – meist – Gerechtigkeit herrscht, zum Beispiel in einem Krimi. Mit einem historischen Roman entflieht man darüber hinaus noch in eine andere Zeit, es bietet sich quasi ein Zusatznutzen, man lernt nicht nur ein fremdes Milieu kennen, sondern auch eine fremde Epoche. Und dieses Sahnehäubchen wird bei den Lesern offenbar immer noch gewünscht. Von mir wird es geschätzt, weil ich finde, dass die Beschäftigung mit der Geschichte und historischen Persönlichkeiten oder Gegebenheiten dabei hilft, zu verstehen, warum sich gewisse Entwicklungen so und nicht anders vollzogen haben, und es hilft, die Geschehnisse der Gegenwart und manchmal auch die der Zukunft besser einzuschätzen. Dabei stelle ich immer wieder fest, dass sich am Wesen des Menschen eigentlich nicht viel geändert hat. Und diese Erkenntnis ist gleichermaßen faszinierend wie erschreckend.«

»In meinen eigenen Büchern bildet er so eine Art Leitthema. Dennoch spielt der Bergbau in meinen Romanen trotz aller Präsenz eher eine begleitende Rolle, er bietet sozusagen die Bühne, auf der meine Helden agieren.«

Die ersten historischen Romane schrieb Stitz noch mit ihrer Co-Autorin Karola Hagemann. Acht Romane, eine Nominierung für den Sir-Walter-Scott-Preis, drei Gemeinschaftsromane und diverse Kurzgeschichten erschienen unter dem Pseudonym ›Malachy Hyde‹ und ›Hagemann & Stitz‹. Die Zusammenarbeit liegt nun schon ein paar Jahre zurück. Vieles hat sich seitdem verändert. Heute erscheinen Romane und Kurzgeschichten der Autorin nur noch unter ihrem eigenem Namen. Ein immer größeren Raum einnehmendes Thema seit ihrer schriftstellerischen ›Eigenständigkeit‹ ist der Bergbau. Für dessen Geschichte begeistert sich die Autorin seit vielen Jahren, angefangen von der Antike bis zur Frühen Neuzeit. »In meinen eigenen Büchern bildet er so eine Art Leitthema. Dennoch spielt der Bergbau in meinen Romanen trotz aller Präsenz eher eine begleitende Rolle, er bietet sozusagen die Bühne, auf der meine Helden agieren.«

Von ihrer Leidenschaft, die nicht nur dem Thema Bergbau gilt, sondern sich gleichermaßen auch auf die Antike, das Mittelalter und die Frühe Neuzeit erstreckt, können sich ihre Leserinnen und Leser auf ihren Lesungen überzeugen. Hier gibt die Autorin einen spannenden und recht kurzweiligen Einblick in ihr breitgefächertes historisches Wissen. Unbedarfte – und wer ist beim Thema historischer Bergbau schon kundig? – erfahren so, warum antike Bergleute Stierhoden auf dem Kopf trugen oder ob man sich heute noch vor dem ›Wilden Mönch‹ im Harz fürchten muss. Insgesamt bekommt der Leser in Stitz’ Büchern viel historisches Wissen nebenbei präsentiert, auf eine unaufdringliche und meist sogar amüsante Art und Weise.
Die Orte, an denen ihre Geschichten spielen, sind Stitz durch unzählige Recherchereisen sehr vertraut, so dass sie sich bei der Beschreibung dieser Gegenden gut vorstellen kann wie sie vor vielen Jahrhunderten ausgesehen haben mögen.

»Ich gehöre zu den Menschen, die sich wachlesen müssen.«

Quellenstudium und das Reisen zu den Schauplätzen lassen in ihrem Kopf so nach und nach die Geschichte entstehen, die sie ihren Lesern erzählen will. »Es ist, als liefe ein Film vor meinem inneren Auge ab, den ich ›nur‹ aufschreiben muss«, beschreibt Stitz den kreativen Vorgang. Das eigentliche Schreiben findet jedoch nicht an besagten Orten oder in der Bibliothek statt, sondern am heimischen Schreibtisch. Allerdings erst, wenn Stitz richtig wach ist. Dafür benötigt sie neben »viel Kaffee« auch viel Literatur. »Ich gehöre zu den Menschen, die sich wachlesen müssen. Das war schon immer so. Wenigstens eine halbe Stunde am Morgen muss sein.« Historische Romane liest sie während eines eigenen Buchprojektes aber eher nicht. »Schon gar keiner, der in der Zeit spielt, in der ich gerade unterwegs bin. Meistens lese ich dann Krimis.« Während eines Projektes steht aber letztlich der eigene Text und die Arbeit daran im Vordergrund. Um ihren Text auf ›Herz und Nieren‹ zu prüfen, liest sie diesen gerne laut vor. Als Publikum agieren dann die hauseigenen Samtpfoten. »Meine Katzen schlafen gern dabei ein …« Ganz offenbar wissen die beiden die Qualität eines Stitz-Romans nicht zu schätzen.