Heidi Rehn

Histo Journal Special: Heidi Rehn – Teil 1

Das Histo Journal Autorenportrait: Heidi Rehn

»Seit meiner Kindheit schwirren mir die Erzählungen meines Großvaters im Kopf herum, der als kleiner Junge in der Schule noch ein Geburtstagsständchen auf den Kaiser gesungen hat.«

von Alessa Schmelzer

Ihre Figuren behaupten sich in den Wirren des 30jährigen Krieges als Wundärztin, gehen unter die Bierbrauer oder entdecken ihr Talent als Baumeisterin. Ihre Leserinnen und Leser folgen Heidi Rehn begeistert in jede Epoche. Sie lieben die historischen Romane der Autorin und können eine Neuerscheinung kaum abwarten. Gerade erst konnte Heidi Rehn für »Die Liebe der Baumeisterin« den ›Goldenen Homer‹ für den besten historischen Beziehungs- und Gesellschaftsroman entgegennehmen. Was macht ihre historischen Romane so besonders? Darauf gibt es viele Antworten. Eine liefert die Autorin selbst, indem sie Augustinus, den großen Theologen und Philosophen zitiert: »In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst.«

Das gelingt der Autorin offenbar mühelos. Jeder, der einmal einen Roman von ihr aufgeschlagen und die ersten Sätze gelesen hat, weiß um die Sogkraft die allein von diesen wenigen Zeilen auszugehen vermag. Rehn selbst ist bescheiden, obgleich sie zu den erfolgreichsten deutschen Autorinnen des historischen Genres zählt. Ihr geht es allein um die Sache, um das Schreiben, das für sie eine Leidenschaft ist. »Augustinus trifft meine Einstellung zum Schreiben auf den Kopf«, sagt sie und fügt hinzu: »Ich bin sehr glücklich, seit vielen Jahren schon dieser Leidenschaft nachgehen zu können.«

Heute kann Heidi Rehn auf elf Romane und mehr als fünfzehn Kurzgeschichten zurückblicken. Angefangen hat alles mit dem Frauenroman »Das Institut«, welcher im Jahre 2000 als Taschenbuch bei Rowohlt erschien. 2003 brachte Emons ihren Gegenwartskrimi »Theos Erbe« heraus. Später entdeckte Rehn ihre Vorliebe für historische Krimis und veröffentlichte von 2005 bis 2007 jedes Jahr einen neuen Roman. Doch erst mit der klugen Söldnertochter Magdalena eroberte sie endgültig die Herzen ihrer Leserinnen und Leser. Mit der Trilogie »Die Wundärztin«, »Hexengold« und »Bernsteinerbe« schaffte sie 2010 den Durchbruch im historischen Roman.

»Mir ist es wichtig, in meinen Romanen die Geschichten von ›Menschen wie du und ich‹ zu erzählen.«

»Mir ist es wichtig, in meinen Romanen die Geschichten von ›Menschen wie du und ich‹ zu erzählen und dadurch ein Spiegelbild der Gesellschaft und des ganz normalen Alltags zu liefern, ganz egal, in welcher Epoche.« Zudem legt sie großen Wert darauf, »dass meine Figuren bestimmten Berufen oder Handwerken nachgehen, weil das viel über die jeweilige Zeit, ihre gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche und auch technische Entwicklung verrät.« In ihrem jüngst erschienen Roman »Der Sommer der Freiheit« zeigt sich dieser Anspruch einmal mehr. Zum Glück für den Leser, muss hinzugefügt werden, denn so nonchalant die Autorin ihre Figuren auch über Städte wie Baden-Baden, Metz, diverse Automarken, Schreibmaschinen, die Zentrumspartei, das lockere Leben in Berlin oder enge gesellschaftliche Konventionen plaudern lässt, so fundiert ist doch das dahinterstehende Wissen. Ein Wissen, welches die Autorin nicht nur im Studium der Geschichte erworben hat, sondern vor allem durch aktives Zuhören in der eigenen Familie. »Seit meiner Kindheit schwirren mir die Erzählungen meines Großvaters im Kopf herum, der mir diese Zeit weitaus lebendiger vor Augen geführt hat, als es der Geschichtsunterricht in der Schule je vermocht hätte. Als kleiner Junge hat er in der Schule noch ein Geburtstagsständchen auf den Kaiser gesungen und als Jugendlicher das Ende des Ersten Weltkrieges und die dramatischen Ereignisse im besetzten Rheinland erlebt«, so die Autorin. Vergangenheit zum Anfassen sozusagen, denn »die alten Schwarz-weiß Fotos in den Alben meiner Großeltern sowie die alten Schellackplatten, die im Musikmöbel meiner Großmutter zu finden waren und die wir als Kinder heimlich aufgelegt haben, um darauf zu tanzen«, trugen dazu bei, »dass mir die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts schon immer sehr präsent gewesen sind.« Obgleich Rehn gebürtige Rheinländerin ist, so kann sie doch väterlicherseits auf »saarländische Wurzeln« verweisen. Daher erlebte die Autorin »das Auf und Ab der deutsch-französischen Geschichte als Teil auch meiner Familiengeschichte insbesondere im letzten Jahrhundert.«

»Wir können keine Zeitreise ins Gestern machen, wir können uns dem, was einmal war, immer nur weitestmöglich annähern.«

Persönliche Erfahrungen, die sie in ihren neuen Roman »Der Sommer der Freiheit« hat einfließen lassen können. Der Roman sei ein lang gehegter Traum gewesen, so die Autorin. »Den Plot in der jetzigen Form habe ich vor mehr als vier Jahren ausgearbeitet, dann aber wieder zur Seite gelegt und mich anderen Themen gewidmet, bis ich endlich den Mut fand, meinem Verlag davon zu erzählen.« Ihre Leser werden ihr diesen Mut danken. Nachdem der Verlag dem neuen Projekt zugestimmt hatte, folgte ein Jahr konzentriertes Arbeiten an der Ausarbeitung und dem Schreiben der Geschichte. Auf die Frage wie sie dabei vorgehe, sagt sie: »Eine Einteilung in Kapitel oder ähnliches mache ich vorab nie. Die ergibt sich erst beim Schreiben.« Natürlich skizziere sie »die grobe Handlungsentwicklung, vor allem die entscheidenden Wendepunkte«, aber dies sei mehr oberflächlich und zudem im Prozess des Schreibens »immer wieder ergänzt«. Solche Ergänzungen ergeben sich mitunter recht spontan. »Ich bin ein absoluter Fan von festen Gewohnheiten und Ritualen. Mein normaler Arbeitstag beginnt mit einer Walkingrunde im nahen Park, sozusagen meinem ›Weg zur Arbeit‹. Dabei lasse ich meine Gedanken in meiner Geschichte spazieren gehen, führe Unterhaltungen mit meinen Figuren, mitunter auch heftige Diskussionen und Auseinandersetzungen, weil sie nicht so wollen, wie ich eigentlich gedacht habe, und denke über die weitere Handlung nach.«
Angefüllt mit diesen neuen Impulsen taucht die Autorin für die nächsten Stunden in ihre Romanwelt ein. Es sei denn, der Duft eines frischen Espresso nebst einem Stück Zartbitterschokolade lockt sie daraus wieder hervor…

In ihrem aktuellen historischen Roman [Stand 2014] »Der Sommer der Freiheit« fährt Selma, die Tochter eines angesehenen Zeitungsverlegers, mit ihrer Familie wie jedes Jahr in die Sommerfrische nach Baden-Baden. Man genießt das elegante Ambiente, die Konzerte und Bälle. Selma hat gerade – zum Entsetzen der Mutter! – das Autofahren gelernt und wartet ungeduldig auf die Ankunft ihres Verlobten Gero. Da lernt sie bei einem Ausflug ins nahe gelegene Elsass den französischen Fotografen Robert kennen – und verliebt sich unsterblich in ihn. Doch wir schreiben das Jahr 1913, und bald wird der Geliebte zu den Feinden zählen …