Hör-Feature Besprechung: Fritz Bauer – Sein Leben, sein Denken, sein Wirken

»Fritz Bauer. Sein Leben, sein Denken, sein Wirken.«

Gehört & notiert von Alessa Schmelzer

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Inhalt
Tondokumente von Staatsanwalt Fritz Bauer, herausgegeben von David Johst und dem Fritz Bauer Institut, unterstützt von der Friedrich Ebert Stiftung und der Gerda Henkel Stiftung – erscheinen bei DAV

Fritz Bauers Leben, Denken und Wirken fanden einen überwältigenden Einzug in die Kulturproduktion, in die Literatur, in Fernseh- und Kinofilme. Er ist zum großen Vorbild für die juristische Aufarbeitung der deutschen Naziverbrechen geworden. Der hessische Generalstaatsanwalt setzte sich darüber hinaus sein Leben lang für eine bessere Resozialisierung von Straffälligen und eine mehr therapeutisch ausgerichtete anstatt verwahrende oder bestrafende Haft ein. Hinter seinen Bemühungen zur Humanisierung des Strafrechts stand die Überzeugung, dass Straftäter von der Gesellschaft dazu gemacht wurden. »Fritz Bauer. Sein Leben, sein Denken, sein Wirken«, herausgegeben von David Johst und dem Fritz Bauer Institut, erscheint mit originalen Tondokumenten und Kommentaren – gelesen von Burghart Klaußner – bei Der Audio Verlag.

Fritz Bauer Institut {Hg.}: Fritz Bauer. Sein Leben, sein Denken, sein Wirken Tondokumente, Fritz Bauer und Burghart Klaußner
4 CDs | ca. 5h 6 min
19,99 € | A 22,50 €
ISBN 978-3-86231-994-7

Hörprobe und weitere Informationen finden sich auf der Website des Verlags.

Der Sprecher: Burghart Klaußner

Burghart Klaußner wurde 1949 in Berlin geboren. Er erhielt seine Schauspielausbildung an der Max-Reinhardt-Schule für Schauspiel in Berlin. Nach zweijähriger Arbeit an der Schaubühne am Halleschen Ufer in Berlin folgten Engagements unter anderem am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, am Schiller-Theater in Berlin wie auch in Frankfurt am Main, Bochum und Zürich. Im Jahr 2009 war er erstmals als Autor und Regisseur tätig und inszenierte am Schauspielhaus Bochum sein erstes eigenes Stück »Marigold«.

Fritz Bauer und die Auschwitz-Prozesse

Im Jahre 2013 jährte sich der Auftakt der Frankfurter Auschwitz-Prozesse zum fünfzigsten Mal. Im Zuge dieses Gedenkens erhielt auch deren Initiator, der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, neuerliche Beachtung. Ausstellungen im Jüdischen Museum Frankfurt am Main {2014}, im Landgericht Heidelberg {2015}, im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln {2016} oder die im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden {2017} widmeten sich der Arbeit und der Person Fritz Bauer. Daneben erschienen die Biographien von Irmtrud Wojak {Fritz Bauer 1903-1968, Eine Biographie, C.H. Beck Verlag, 2011} und Ronen Steinke {»Fritz Bauer: oder Auschwitz vor Gericht«, Piper Verlag, 2013}. Auch die Filmindustrie entdeckte Bauer {oder die Auschwitz-Prozesse} als Sujet. In »Das Labyrinth des Schweigens« {2014} taucht Fritz Bauer leider nur als Randfigur auf. Im Kinofilm »Der Staat gegen Fritz Bauer« {2015} verkörpert Burghart Klaußner den engagiert für die Gerechtigkeit kämpfenden Generalstaatsanwalt und in »Die Akte General« {2016} versucht der Schauspieler Ulrich Noethen dem charismatischen Juristen des Wirtschaftswunders Kontur zu verleihen.

O-Töne eines engagierten Juristen

Nun ist ein Hör-Feature mit Original Tondokumenten von Fritz Bauer {1903-1968} im ›Der Audio Verlag‹ erschienen, herausgegeben von Dr. David Johst, in Auftrag gegeben vom Fritz-Bauer-Institut. Burghart Klaußner spricht die Zwischentexte, die knapp, aber ausreichend informativ in die Themenkomplexe der jeweiligen Gespräche, Diskussionen und Vorträge etc. einführen. Zusätzliche Informationen über den historischen Kontext entnimmt der Hörer dem Booklet, für das ebenfalls Dr. Johst verantwortlich zeichnet.
Das Hör-Feature enthält insgesamt vier CDs, inhaltlich ist es in drei Themenbereiche gegliedert. Der erste Teil widmet sich der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen {O-Töne: 149 Minuten}. Teil zwei verdeutlicht Bauers Bestreben hinsichtlich eines zu reformierenden Strafrechts {O-Töne: 77 Minuten}. Der letzte Teil rückt Bauer als Privatmann in den Vordergrund {O-Töne: 46 Minuten}. Das Hör-Feature soll – so ist dem Informationstext des Booklets zu entnehmen – einen repräsentativen Querschnitt durch Fritz Bauers Themen bieten. Insgesamt 800 Minuten O-Töne Bauers schlummerten in den Archiven diverser Radioanstalten. Nicht alles ist archiviert worden und nicht alles war für die Recherche zugänglich. Möglich also, dass irgendwo noch ein paar Aufnahmen auf ihre Entdeckung warten. Bauer wusste die Medien – ob nun Fernsehen, Radio oder Zeitung – für sich und seine Ziele zu nutzen. Hätte er heute gelebt, hätte er vermutlich Facebook und Twitter genutzt, nicht zuletzt um auf diesem Wege vor allem die jungen Menschen zu erreichen.

»Was diese Prozesse lehren sollen, ist: Wir brauchen Menschen, Menschen und noch einmal Menschen.« – Fritz Bauer

Mit O-Tönen von 149 Minuten Länge beansprucht der Themenkomplex ›Fritz Bauer und die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen‹ mehr als die Hälfte des Hörbuchs. Das erscheint angemessen für ein Thema, das Bauer überaus am Herzen lag. In den 1950er und 1960er Jahren waren indes nur wenige seiner Kollegen an einer ›Aufarbeitung der Vergangenheit‹ interessiert, hätten sie damit doch zu viel Staub in ihrer eigenen Vita aufgewirbelt. Immerhin waren sie bis 1945 wenn nicht überzeugte, so doch ganz im Sinne der NS-Ideologie handelnde Juristen und Richter gewesen. Den meisten von ihnen war Bauers Vorhaben deshalb ein ›Dorn im Auge‹.
Anders als die US-Amerikaner, die die Nürnberger-Prozesse als einen Musterprozess verstanden wissen wollten, also als einen Auftakt zu einer Auseinandersetzung mit den Verbrechen der NS-Zeit, begriffen die Deutschen diese als eine Machtdemonstration der Alliierten. Sie glaubten diese mit der Verurteilung der Repräsentanten des NS-Regimes endgültig mit der NS-Zeit abgeschlossen zu haben. Bundeskanzler Konrad Adenauer {CDU} sagte bereits im Oktober 1952: »Ich meine, wir sollten mit der Nazi-Riecherei jetzt mal Schluss machen.« Ein aus seiner Sicht nachvollziehbares Ansinnen {nicht nur wegen seiner – als Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassegesetze im wahrsten Sinne des Wortes – ›rechten Hand‹ Hans Globke, unter Adenauer ab 1953 Chef des Bundeskanzleramtes}, sondern weil die junge BRD andernfalls aufgrund des akuten Personalmangels in Politik, Justiz, Auswärtigem Amt usw. in weiten Teilen handlungsunfähig gewesen wäre … Etliche Staatsanwälte, Richter sowie andere Schuldige blieben auch weiterhin in Amt und Würden und besetzten wichtige Positionen.
Seit dem Remer-Prozess 1952 rückte Fritz Bauer das Thema ›Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit‹ unbarmherzig in den Fokus der Öffentlichkeit. Bauer lud etliche Pressevertreter nach Braunschweig ein, um über diesen Prozess zu berichten. Es ist vor allem Bauer zu verdanken, der den Fall als Generalstaatsanwalt am Braunschweiger Oberlandesgericht verhandelte, dass jene Männer und Frauen, die sich gegen die Nationalsozialistische Herrschaft aufgebäumt hatten, ab 1952 nicht mehr als Landesverräter diffamiert werden durften, sondern als Widerstandskämpfer galten. Obgleich Bauer die Medien zu diesem Prozess nach Braunschweig einlud und mehrere Interviews gab, ist in den Archiven davon wohl nichts mehr zu finden gewesen. Allerdings der Remer-Prozess bei diesem Hör-Feature kurz angesprochen.
Bei den Auschwitz-Prozessen überliess Bauer den Auftritt im Gericht indes seinen Staatsanwälten. Es erschien ihm offenbar sicherer, denn seit dem Remer Prozess erhielt Bauer Morddrohungen und wüste Beschimpfungen von erzürnten Bürgern. Bauer, der in einer jüdisch assimilierten Familie aufwuchs, war Atheist, dennoch befürchtete er man könne ihm – ›dem Juden‹ – Rachegelüste unterstellen. Auf die Frage eines Studenten, ob er denn Jude sei, antwortete Bauer: »Im Sinne der Nürnberger Gesetze, ja.«
Rachegelüste trieben Bauer indes nicht um. Ihm lag vielmehr daran die deutsche Gesellschaft zu sensibilisieren, sie mit ihrer Vergangenheit zu konfrontieren, damit sie aus ihren Fehlern für die Zukunft lerne. Konfrontiere man sie nicht, so die Überzeugung des humanistisch gebildeten Atheisten Bauer, könne sich die grausame Geschichte wiederholen. Bauers Überzeugung: Verlange ein Staat von seinen Bürgern unmoralisches Handeln – in diesem Punkt dem Philosophen Henri Thoreau folgend – und der Mord an einem unbescholtenen Bürger, sei es ein Jude, Homosexueller, Sinti und Roma, geistig behindert oder von den NS-Behörden als asozial eingestufter KZ-Häftling, gehört für ihn zwingend dazu – müsse dieser sich weigern dem Befehl zu entsprechen.

In den Interviews und Gesprächen klingt Bauers Stimme manchmal ein wenig gehetzt, so als arbeite sein intelligenter Geist schneller als seine Zunge die Worte und Sätze artikulieren könnte. Ungeduldig mit seinen Gesprächspartnern ist er indes nie. Geduldig erläutert er seine Position, erklärt aus welchem Grund es erst jetzt, Anfang der sechziger Jahre zu den Auschwitz-Prozessen komme, er präzisiert, wo er Ungenauigkeiten in Fragen oder Vermutungen erkennt. Es ist faszinierend diesem unermüdlich engagierten Juristen zuzuhören und ihm in seinen Argumentationen, Erklärungen und Gedanken zu folgen.

Reform des Strafrechts

Seine humanistisch geprägte Sicht auf den Menschen zieht sich durch Bauers berufliches Engagement. Einer der Gründe, weshalb er auch eine Strafrechtsreform anstrebte und hierin selbst moderne und aufgeschlossene Zeitgenossen mit seiner progressiven Einstellung ›überrumpelte‹. Bauer möchte Strafen vorbeugen, nicht in erster Linie bestrafen. Er will Täter resozialisieren und sie auf das Leben in der Gesellschaft nach einer Haftstrafe vorbereiten. In den O-Tönen zu diesem Themenkomplex zeigt sich Bauer gewohnt kämpferisch und modernen Erkenntnissen der Psychologie gegenüber äußerst aufgeschlossen. Er ist, so lässt es sich wohl am besten zusammenfassen, seiner Zeit auch hier weit voraus.
Zudem setzt sich Bauer engagiert für die Abschaffung des §175 ein. In der Homosexualität erkennt er eine »Ausdrucksweise der hohen Variabilität sexuellen Verhaltens« {Das Verbrechen und die Gesellschaft, 1957}. Seine Forderung lautet deshalb: Das »Kriminalrecht bestraft Verstöße gegen das Gesetz, nicht Sünden.« {Track 90} Seiner Meinung nach ermögliche erst die vollständige Aufhebung des §175 es schwulen Männern nach menschlicher und gesellschaftlicher Sicherheit, nach Gemeinschaft und Selbstverwirklichung durch Liebe und Geliebtsein zu streben.

Der Privatmann

In den O-Tönen des dritten Teils dieses Features gewährt Bauer der Journalistin Lieselotte Maas Einblicke in sein Leben als von den Nationalsozialisten verfolgter Sozialdemokrat, berichtet über seine Erfahrungen im KZ Heuberg und seine Zeit in Dänemark, wohin er geflüchtet war und wo er sich nur mit Mühe und Not finanziell über Wasser halten konnte.
Einzig die unzähligen Verhöre durch die dänische Polizei, die ihn aufgrund seiner Homosexualität observierten und mehrfach ›auf’s Revier‹ zitierten, verschweigt Bauer in diesem Gespräch. Aus heute nachvollziehbaren Gründen lässt er darüber nicht ein einziges Wort fallen, denn das hätte ihn in große Schwierigkeiten gebracht. Besagter §175, der homosexuelle Beziehungen rigoros unter Strafe stellte, übrigens in der von den Nationalsozialisten verschärften Form, war ja immer noch in Kraft. Die Vorstellung coram publico aus dem Büro abgeführt zu werden – wie seinerzeit als Sozialdemokrat – lag sicherlich nicht in Bauers Interesse. Als ›175er‹ hätte Bauer alles verloren; seine berufliche Reputation mitsamt seiner gesellschaftlichen Stellung. Sein Leben, sein Denken und sein Wirken wären dahin gewesen … Allerdings gewährt Bauer subtil Einblick in sein Inneres. In der Sendung »Favoriten im Bücherschrank« {Track 25-29} stellt Bauer sicherlich nicht umsonst den unvollendeten Roman »Amerika« von Franz Kafka als sein Lieblingsbuch vor … 

Was ›unter den Tisch gekehrt wird‹ … 

… ist die Homosexualität Bauers. Es ist vollkommen unverständlich, warum diese Tatsache verschwiegen wird. Ronen Steinke {Biograph Bauers}, Monika Boll {Publizistin} oder selbst Filme wie »Der Staat gegen Fritz Bauer« sind bei dieser Thematik schon einen Schritt weiter als die Herausgeber des Hör-Features. Monika Boll, Kuratorin der Ausstellung »Fritz Bauer. Der Staatsanwalt. NS-Verbrechen vor Gericht« setzte in ihrer Rede zur Eröffnung der Ausstellung im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden ein eindrucksvolles Zeichen, indem sie sagte: »Wir haben lange überlegt, ob wir diesen Fund [gemeint sind Auszüge aus einer umfangreichen Akte, die die dänische Ausländerbehörde über Bauer angelegt hatte und in der Bezug auf seine Homosexualität genommen wird, die Bauer zugab; Anm.d.R.] in der Ausstellung thematisieren sollen. Ein Argument, das möglicherweise dagegen spricht, ist der Hinweis auf den Schutz vor Bauers Privatleben. Aber würde man damit, 49 Jahre nach Bauers Tod, nicht vermitteln, dass Homosexualität nach wie vor etwas Diskreditierendes anhafte und auf diese Weise genau jenen Zeitgeist fortspinnen, unter dem Fritz Bauer und viele andere seiner Generation zu leiden hatten?« {Zitat aus: Monika Boll, Rede zur Eröffnung der Ausstellung »Fritz Bauer. Der Staatsanwalt. NS-Verbrechen vor Gericht.}

Der Sprecher

Burghart Klaußner gehört zu den renommiertesten Schauspielern und Sprechern Deutschlands. In diesem Hör-Feature spricht er die Kommentare, also die Zwischentexte. Eine interessante Wahl für das Feature, verkörperte der Schauspieler doch den Juristen Bauer in dem Film »Der Staat gegen Fritz Bauer«. Stimmlich ist Klaußner eine ausgezeichnete Wahl. Seine Stimme erklingt mal nüchtern, mal nachdenklich, dann wieder zurückhaltend und einfühlsam.

Fazit

Fritz Bauer war nicht nur ein wacher und feinsinniger Geist, streitbarer Kämpfer und überzeugter Humanist. Sollte ich einen Helden der frühen BRD benennen, so viele meine Wahl auf ihn. Denn er zwang die Deutschen der Nachkriegszeit Verantwortung für ihr Handeln in den Jahren 1933 bis 1945 zu übernehmen, indem er sie mit den Gräueltaten von Auschwitz konfrontierte und somit erstmalig eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ermöglichte. Für seine Grundwerte – Menschenwürde, Humanität, Toleranz und Gleichheit – kämpfte er unerbittlich. Allen Widerständen zum Trotz.
Dieses in weiten Teilen gelungene Hör-Feature mit O-Tönen Bauers findet hoffentlich etliche Hörer und noch mehr Neugierige, die sich mit dem engagierten Juristen beschäftigen wollen und werden.
Einziger Kritikpunkt ist das bewusste Verschweigen der Homosexualität Bauers. Dass Bauer seine sexuelle Identität in Deutschland – in dem der §175 in der verschärften Form erst 1968 und 1994 komplett abgeschafft worden ist – nicht preisgeben wollte, liegt auf der Hand. Für diejenigen Hörer, die sich erstmalig mit Bauer beschäftigen, wäre diese Information wichtig gewesen. Schließlich gehört die sexuelle Identität eines jeden Menschen zu seinem Leben, seinem Denken und seinem Wirken dazu …