Hörbuch Rezension: Das Haupt der Welt

»Du hast die Krone bekommen. Also trag sie auch. Und zwar allein.«


»Das Haupt der Welt«
Autor: Rebecca Gablé
Sprecher: Detlef Bierstedt
Fassung: Inszenierte Lesung
Laufzeit: 920 Minuten {12 CDs/151 Tracks}
Verlag: Lübbe Audio

Der aufwendig gestaltete Schuber enthält zwei Digifiles mit jeweils sechs CDs. Diese sind mit Illustrationen wie der Karte des Ostfränkischen Reichs von 935 geschmückt. Im Innenteil des ersten Digifiles darf sich der Hörer über eine Auflistung der wichtigsten Personen freuen. Daneben gibt es eine Kurzbiografie zur Autorin und zum Sprecher.

Inhalt:
Brandenburg 929: Beim blutigen Sturm durch das deutsche Heer unter König Heinrich I. wird der slawische Fürstensohn Tugomir gefangen genommen. Er und seine Schwester werden nach Magdeburg verschleppt, und bald schon macht sich Tugomir einen Namen als Heiler. Er rettet Heinrichs Sohn Otto das Leben und wird dessen Leibarzt und Lehrer seiner Söhne. Doch noch immer ist er Geisel und Gefangener zwischen zwei Welten. Als sich nach Ottos Krönung die Widersacher formieren, um den König zu stürzen, wendet er sich mit einer ungewöhnlichen Bitte an Tugomir, den Mann, der Freund und Feind zugleich ist …

Gehört & notiert von Alessa Schmelzer

Der siegreiche Sturm der Sachsen auf die Brandenburg 929 verändert das Leben des achtzehnjährigen Slawenfürsten Tugomir und das seiner Schwester Dragomira schlagartig, denn fortan fristen sie ein Leben als wertvolle Geisel König Heinrichs I. Während Dragomira ihrem neuen Dasein als Geliebte Ottos, Heinrichs Sohn und erkorenem Nachfolger, ungeahnte Vorzüge abgewinnt, erträgt ihr Bruder sein Schicksal nur widerwillig. Der Verlust seiner bekannten Welt lastet schwer auf ihm. Zu fremd sind ihm Land und Bräuche der ›Strohköpfe‹ mitsamt ihres sonderbaren ›Buchgottes‹. Vom ersten Tag seiner Geiselhaft an sehnt sich Tugomir nach seinem Zuhause. Er vermisst seine Sprache, die Menschen, den Tempel, die Wälder, den Blick von der Brandenburg. Ganz anders empfindet Dragomira. Ihr gefällt der blonde ›Fremde‹, denn anders als die männlichen Mitglieder ihrer fürstlichen Familie behandelt er sie respekt- und liebevoll. Natürlich währt dies alles nur so lange, bis eine geeignete Ehefrau für Otto gefunden ist. Und das geschieht schneller als erwartet. Rasch wird die schwangere Dragomira daraufhin in ein Kloster abgeschoben. Otto soll eine Schwester des englischen Königs Æthelstan heiraten. Es ist zwar eine aus politischem Kalkül arrangierte Ehe, denn die Verbindung zum englischen König festigt natürlich Machtposition des eigenen Hauses, dennoch verliebt sich Otto in die ebenso schöne wie kluge Edith. Die herausgehobene Stellung Ottos sorgt allerdings für zukünftige innerfamiliäre Konflikte, denn indem Heinrich I. Otto zum alleinigen Nachfolger bestimmt, bricht er mit der Tradition der fränkisch-karolingischen Herrschaftsteilung …

Eiblicke ins ›Who is who‹ um 929

Dank Tugomir verliert der Hörer niemals den Überblick über Herrschaftsgebiete, allerlei Gräfe und Herzöge, Freunde und Feinde, Verbündete oder just nicht mehr Verbündete. Tugomir – der heidnische Fremde – entwirft ein »Who is who« der immer komplexer werdenden Machtverhältnisse erst unter Heinrich I. und schließlich unter seinem Sohn Otto. Letzterer kommt in Gablés Geschichte als ein machtbewusster, visionärer aber auch zweifelnder junger Herrscher daher. Eine vielschichtige Persönlichkeit. Einzig Ottos Naivität ist ein Makel, über den sich sein renitenter Bruder Henning besonders freuen darf … Und so leiden wir mit Thankmar, der sich letztlich gegen Otto wendet und dafür einen hohen Preis zahlen muss. Schütteln den Kopf {nicht nur einmal!} über Henning und seine Mutter Mathildis, die ihren ›im Purpur geborenen Sohn‹ auf dem Thron sehen möchte und für dieses Ziel keine Intrige auslässt. Doch anders als Thankmar ist Henning ein schwacher Charakter, fies und obendrein ein Feigling. Thankmar hingegen ist für mich eine der stärksten und anrührendsten Figuren in diesem Hörbuch.

Nebenbei sind Tugomirs medizinische Fachkenntnisse gefragt, sei es um Otto vor einem frühzeitigen Tod zu bewahren oder die Tochter des Grafen Gero zu heilen. Dabei bedient sich Tugomir seines Wissens als heidnischer Priester. Ob es nun spezielle Kräutermischungen oder Steine mit magischer Wirkung sind, nicht jeder sächsische Patient nimmt die Hilfe des Heiden gern in Anspruch. Doch selbst Udo, strammer Gefolgsmann Ottos, lässt sich zu der Aussage hinreißen: »Mein Vater hat immer gesagt, alles wäre besser, wenn wir die alten Götter noch hätten.« Das lässt tief blicken, haben doch die Sachsen selbst noch nicht allzu lange im Schoss der christlichen Kirche ihr Glück gefunden. Weniger angetan ist Graf Gero über die Hilfe des verhassten Slawenfürsten. Er betrachtet alle Heiden als stumpfsinnige Barbaren. Heiden, lässt der brutale Graf alle wissen, könne ein Christ ohne Gefährdung seines Seelenheils ins Jenseits befördern. In Gero findet Tugomir seinen ärgsten Feind, und dieser lässt keine Gelegenheit verstreichen seine Wut an diesem abzuarbeiten. Die Lage spitzt sich bedrohlich zu, als Tugomir sich ausgerechnet in Geros Tochter verliebt.

Hörgenuss auf hohem Niveau

Gablé erzählt fesselnd und noch dazu so leicht verständlich, als wären all diese komplexen ›wer-gegen-wen-mit-wem-und-wem-nicht-und-warum‹ in Wirklichkeit gar nicht so kompliziert und verworren. Sie beschert ihren Hörern eine spannende, höchst unterhaltsame, weil fein gesponnene Geschichte um Otto und die Anfänge seiner Herrschaft.

Wenngleich die starke Kürzung mehr als bedauerlich ist, so muss der Fairness halber gesagt werden, dass der Hörer – so er den Roman nicht gelesen hat – davon nichts bemerken wird. Das liegt zum einen an der gut gelungenen Kürzung selbst, zum anderen ist natürlich auch Detlef Bierstedt daran nicht ganz unschuldig. Er ist quasi der Haus- und Hofsprecher der Gablé Romane. Und das zu Recht. Seine tiefe, melodiöse Stimme wird eins mit Tugomir, Otto, Dragomira und all den anderen. Und je nach Situation verleiht er ihr eine raue, herrische, kalte oder abschätzige, sanfte, weiche oder mutige Klangfärbung. Hinzu kommen die wohl dosierten Geräusche der inszenierten Lesung. Knisterndes Feuer, das Klirren der Schwerter oder die wie aus weiter Ferne singende Vila – es passt. Allein die voluminöse Musikuntermalung hätte ich mir ab und an ein wenig verhaltener gewünscht.

Fazit:

Mit »Das Haupt der Welt« beweist Gablé einmal mehr, dass sie nicht nur ein Faible für komplexe historische Stoffe hat, sondern diese auch enorm unterhaltsam zu erzählen weiß. Für mich ist es ein gelungenes – und nicht zuletzt wegen der hervorragenden Interpretation Detlef Bierstedts – fesselndes Hörbuch.

Auf der Website des Lübbeverlags gibt es weitere Informationen sowie eine Hörprobe.