Historisches auf der Leinwand

Auch bei uns gibt es ihn: Den Jahresrückblick, der aber auch ein Ausblick ist. Was brachte 2016 an historischen Themen auf der Leinwand? Und was kommt nächstes Jahr in die Kinos?

von T.M. Schurkus

Und jetzt die Damen, bitte

Malen, singen, forschen und für politische Gleichberechtigung kämpfen: Das zurück liegende Kinojahr war in historischer Dimension geprägt von Frauen, die sich nicht den Normen ihrer Zeit unterworfen haben. Paula Modersohn-Becker malt sich ihre Lebenslust vom Leib, ▹ Marie Curie {Filmkritik im Histo Journal} schlägt sich als allein erziehende Nobelpreisträgerin durch, Florence Foster Jenkins kann es sich {finanziell} leisten, keinen Ton zu treffen und Emmeline Pankhurst trotzt in »Suffragetten« der Staatsgewalt das Frauenwahlrecht ab.
Unsere Redakteurin Ilka Stitz war nach dem Kinobesuch begeistert: »Gestern im Film »Suffragette« gewesen! Hinreißend! Jeder sollte ihn gesehen haben, damit er weiß, dass es so nie wieder sein darf.«
Anders als männliche Protagonisten müssen diese Heldinnen nicht darauf warten, dass sich ihnen eine Schwierigkeit in den Weg stellt: Sie haben ein Problem allein dadurch, dass sie Frauen sind. Man lässt sie nicht, wie sie wollen, und weil sie es trotzdem getan haben, dürfen Frauen heute mehr {auch als sie wollen}. Und anders als bei Biopics über männliche Größen der Weltgeschichte muss das private Glück immer eine zentrale Rolle spielen, sodass sich leider viel zu oft ein Beigeschmack von Pärchen-in-Dauerkrise-Beziehungsdrama einschleicht, was selten einer Lebensleistung gerecht werden kann.

Jackie
©Fox Searchlight Pictures

Es ist auch zu erwarten, dass das im ersten großen Biopic des neuen Jahres eine große Rolle spielt: ▹ »Jackie« {Kinostart: 26.01.17}. Natalie Portman spielt die First Lady, die gemäß den Konventionen ihrer Zeit zu den Affären ihres Mannes John. F. Kennedy schwieg und als trauernde Witwe ikonografisch wurde. Der Film und vor allem seine Hauptdarstellerin sind jedenfalls schon Oscar Favoriten. Ich bin gespannt darauf, etwas über die Frau hinter den perfekten Kostümen zu erfahren.

Mann, Weib!

Einer der faszinierendsten Filme 2016 war zweifellos ▹ »The Danish Girl« {Filmkritik im Histo Journal}. Eddie Redmayne spielt darin den Maler, der zum Beginn des 20. Jahrhunderts erkennt, dass er im falschen Körper lebt. Er unterzieht sich als erster Mensch einer Geschlechtsangleichung, mit tragischem Ausgang. Der Film versäumt es zwar, grundsätzliche Fragen nach der Geschlechtsidentität zu stellen und macht es sich darin zu einfach: Du magst Seidenstrümpfe und Parfum, also musst du eine Frau sein. Aber das persönliche Drama wird auch dank der schauspielerischen Leistung derart eindrücklich auf die Leinwand gebracht, dass »The Danish Girl« auch unserer Redakteurin Alessa Schmelzer gefiel: »Mag der Film auch einige Schwachstellen aufweisen, die aber vor allem dem Mainstream Kino geschuldet sind, eines steht fest: Eddie Redmayne verkörpert die Figur der Lily Elbe einfühlsam und nuanciert.«
Roland Emmerich, selbst homosexuell, hat sich schon 2015 das zentrale historische Ereignis der Schwulenbewegung vorgenommen: Der Aufstand in der Christopher Street. Sein Film »Stonewall« ging jedoch unter und zwar, weil es ihm leider an dramaturgischen Einfällen mangelt. Emmerich greift auf das seit »Independence Day« bewährte Muster zurück, Vertreter verschiedener sozialer und ethnischer Gruppierungen zu installieren und sie auf das Ereignis hinzubewegen. Bei einem Action-Film mit Raumschiffen und Explosionen mag das funktionieren, bei einem Drama leider nicht.
2016 sah auch die Neuverfilmung des Klassikers ▹ »Ben Hur« {Filmkritik im Histo Journal}, der beim schwulen Publikum immer recht beliebt war, und das nicht nur, weil es Männer in knackigen und knappen Outfits zu sehen gibt: Die Auseinandersetzung zwischen Ben Hur und Messala lässt sich auch als Drama einer abgewiesenen Liebe lesen.

Remake mich, Baby!

Aber Ben Hur hat es aber nicht noch einmal auf die Leinwand gebracht, weil man den Subtext nach vorne holen wollte, sondern weil das Wagenrennen sich so schön digital aufmotzen lässt. Die Schauwerte des Films sind in jeder Hinsicht gelungen: Das alte Jerusalem ebenso wie die Seeschlacht. Hier und da blitzt auch die tragische Kraft auf, die dem Stoff inne wohnt; aber schon vor dem unsäglich peinlichen Ende wird klar: Hier geht es vor allem um den Verkauf von Popcorn und nicht um eine Lebensgeschichte im Schatten der Rache. »Ben Hur« revised wurde daher der Flop 2016.
Was die Macher sich von einer Neuauflage von »Die glorreichen Sieben« versprochen haben, bleibt noch unklarer. Der Western von 1960 lebte von seinem Staraufgebot; hatte sich das Westernkino bis dahin auf den Einzelgänger, höchstens auf das Team konzentriert, kamen jetzt gleich {basierend auf Kurosawas »Die sieben Samurai«} sieben Charaktere zu ihrem Recht. Das ist 2016 aber kaum einem Zuschauer Geld wert gewesen.
Die neue digitale und 3-D-Technik wird uns in Zukunft noch das ein oder andere Remake bescheren. Vor allem erlaubt der Computer es, historische Stoffe mit deutlich weniger Men-Power auf die Leinwand zu bringen als noch in den Hochzeiten des historischen Leinwand-Epos.

Monster kriechen durch die Geschichte

Dennoch sind Historien-Epen auf der Leinwand eher rar geworden. Sie haben ihren Schauwert an die Fantasy abgegeben, die sich aber gerne historische Bezüge gibt. So werden 2017 wieder einmal die »Pirates of the Caribean« in See stechen, und neben stattlichen Segelschiffen {und Johnny Depp} wird es Geister und Dämonen zu sehen geben.

The Great Wall
©Universal Pictures

Ebenso in ▹ »The Great Wall« {Kinostart: 12.01.17}, wo Matt Damon im China des 15. Jahrhunderts gegen die »wahre« Bedrohung kämpft, gegen die die Große Mauer errichtet wurde: Heerscharen von Wimmelviechern.
Ohne Zweifel: Asien ist für Hollywood inzwischen der wichtigste Markt, China hat schlicht die meisten potentiellen Kino-Zuschauer.
Martin Scorsese, dessen zentrales Thema bisher der Aufstieg der USA durch eine Philosophie der Gewalt war, wagt sich in das Japan der 17. Jahrhunderts. In ▹ »Silence« {Kinostart: 2.3.17} macht sich ein Jesuit {gespielt von Liam Neeson} auf die Suche nach einem verschwundenen Glaubenskollegen. Der Film hatte seine Premiere im Vatikan und wurde dort mit einer Empfehlung versehen. Uns erwartet vermutlich eine Mischung aus »Mission« und »Shogun«.
Aber auch das gewalttätige Amerika kommt wieder auf die Leinwand: In ▹ »Live by Night« {Kinostart 2.2.17} schlägt sich Ben Affleck als Alkoholschmuggler durch das Amerika der Prohibition. Der Drehbuchautor von »Shutter Island« schrieb die Vorlage.
Geschossen wurde auf der Leinwand schon immer gerne, der Gangster-Film hat einen wesentlichen Beitrag zum Aufstieg Hollywoods geleistet. Und heutzutage ist es wichtig, dass ein Film sich auch als Computer-Spiel vermarkten lässt, meist als Baller-Spiel. Gut also, dass es den ein oder anderen Weltkrieg gab, der in ▹ »Dunkirk« {Kinostart: 27.07.17} unter der Regie von Christopher Nolan mal wieder die Leinwand erschüttern wird.
2016 sah mit Ozons ▹ »Frantz« {Filmkritik im Histo Journal} einen »Weltkriegsfilm« ganz anderer Art: Im Wechselspiel zweier Figuren, ihrer Missverständnisse und Hoffnungen schafft der Film es, das ganze europäische Drama in schlichten schwarz-weiß Bildern und wenigen Farbsequenzen nachzuzeichnen – mein persönliches Kino-Highlight des zurück liegenden Jahres.