Genius – Die tausend Seiten einer Freundschaft

»Genius – Die tausend Seiten einer Freundschaft«

Gesehen & Notiert von T.M. Schurkus

Der Autor als Ego-Shooter

New York 1929: Der Lektor Maxwell Perkins erhält einen Text von über 1000 Schreibmaschinenseiten. Er erkennt das Talent des Autors Thomas Wolfe und formt in Zusammenarbeit mit ihm den Roman »Look Homeward, Angel« {Schau heimwärts, Engel}, der zu einem Klassiker der Weltliteratur wird. Aber die unterschiedlichen Temperamente der beiden, insbesondere Wolfes Exzentrik, stellen die Freundschaft auf die Probe.

©Wild Bunch Germany

Genius – die tausend Seiten einer Freundschaft
USA/GB 2016
Regie: Michael Grandage
Darsteller: Colin Firth, Jude Law, Nicole Kidman
Kinostart: 11.08.16

Rauchen, kürzen, reden

Vor kurzem hatte ich mit Kollegen ein Gespräch darüber, wie es wohl kommt, dass manche Menschen von Autoren eine gewisse moralische oder zumindest doch eine charakterliche Vorbildhaftigkeit erwarten. Dabei ist die Literaturgeschichte angefüllt mit exzentrischen, egomanischen und narzisstischen Gestalten. Thomas Wolfe war eine davon. Jude Law erweckt ihn mit entfesselter Spiellaune wieder zum Leben. Sein Gegenüber ist Colin Firth in der Rolle des Lektors Maxwell Perkins: Ruhig, unerschütterlich freundlich und {fast} immer mit Hut. Der Film verlässt sich jedoch zu sehr auf die Dynamik dieser beiden Figuren und hat darüber hinaus wenig dramaturgische Einfälle. Die erste halbe Stunde ist der gemeinsamen Arbeit an »O Lost« gewidmet, das später als »Look Homeward, Angel« erscheint. Die einzigen Konflikte bestehen in Diskussionen über Kürzungen – zweifellos ist »Genius« ein Film für Literaturwissenschaftler, Amerikanisten und Autoren; alle drei Dinge treffen auf mich zu und eben darum kamen mir weitere Fragen: Hat der Verlag dem Lektor keinen Druck gemacht? Wie stand der Verleger zu der ausufernden Zusammenarbeit mit einem Autor, den alle anderen New Yorker Verlage bereits abgelehnt hatten? Viel Potential für Hindernisse und Spannungsbögen, das leider nicht genutzt wird.

Machen Bücher satt?

Wir sind also in der guten alten Zeit {erkennbar an der Sepia-Farbe des Films}, in der Lektoren sagen »Ich will Lesern gute Bücher in die Hand geben« {statt: »Ich muss Bücher machen, die sich gut verkaufen«} und der Autor freut sich über einen Scheck über 500 Dollar fast in die Ohnmacht hinein {statt zu sagen, er will mindestens 1000}. Das Buch hat als Freizeitmedium wenig Konkurrenz mit dem Radio und dem Kinofilm und muss sich den Markt nicht mit Computerspielen und unendlichen Welten teilen, die man jederzeit und überall downloaden kann.
Weltpolitisch jedoch war es eine spannungsgeladene Zeit: Weltwirtschaftskrise und der aufkommende Faschismus bestimmen auch in den USA die Nachrichtenlage. Im Film finden sie nur kurz Erwähnung. Die Große Depression erkennen wir an der Warteschlange vor der Suppenküche – wenig originell, auch wenn die Szene pointiert genutzt wird, Wolfe zu charakterisieren, wenn der nämlich bedauert, dass alle diese Menschen nie seine Bücher lesen werden, weil sie mit dem Hunger ein größeres Problem haben.
Der herauf ziehende Weltkrieg kümmert Wolfe ebenso wenig, ihm geht es um das nächste Buch. Es bleibt Hemingway überlassen {auch wenig originell: Beim Hochseefischen}, vom Bürgerkrieg in Spanien zu sprechen. Dabei gäbe es hier eine interessante biografische Anmerkung zu Wolfe: Er äußerte sich verständnisvoll für die deutsche Nazi-Begeisterung und stieß damit auf Unverständnis bei der amerikanischen intellektuellen Elite.

Das verschweigt der Film im Bemühen, Wolfe als zwar anstrengenden und selbstverliebten Künstler zu zeigen, der aber doch liebenswert sein muss, wie könnte ein netter Mensch wie Perkins ihn sonst so unterstützen? Hier versagt die Geschichte leider in ihrer zentralen Aufgabe: Die Freundschaft nacherlebbar zu machen. Man fragt sich statt dessen öfter: warum hat Perkins sich das angetan? Die Erklärung, weil er sich neben fünf Töchtern auch einen Sohn wünscht, bleibt dabei zu dünn. Man sieht, dass er durch Wolfe auch mal »das wilde Leben« kennen lernt, vor allem den Jazz, allerdings erscheint Perkins nicht als ein Mann, der aus seinem braven Familienleben ausbrechen möchte, im Gegenteil: Er muss seine Familie immer öfter vernachlässigen, um mit Wolfe am nächsten Buch zu arbeiten – immerhin fünf Jahre lang. Das Gegenstück zu Perkins’ vernachlässigter Familie bildet Aline Bernstein {subtil psychotisch gespielt von Nicole Kidman}. Die Theaterdekorateurin aus gutem Haus hatte in Wolfe einen jüngeren Liebhaber gefunden und ihn zum Schreiben ermutigt. Jetzt muss sie erkennen, dass sie gegen die {Arbeits-}Männerfreundschaft keine Chance hat, trotz theatralischem Selbstmordversuch. Aber auch hier gilt: Frauen, die sagen »nie hast du Zeit für mich« haben kein dramaturgisches Potential mehr {falls sie es je hatten}.

Ist der bessere Mensch auch der bessere Autor?

Was also machte diese Freundschaft aus, die sich immerhin im Titel findet? Wolfe lernte durch Perkins Textökonomie und wurde dadurch erst publizierbar und Perkins lernte durch Wolfe unkonventionelle Erzählformen schätzen. Und woran scheiterte die Freundschaft? Wolfe hatte mit zunehmendem Erfolg Angst, man könnte seine Bücher mehr als Perkins’ Werk verstehen und sah sich nach einem neuen Verlag um. Und Perkins musste sich zu oft für Wolfe entschuldigen – wenn der etwa Scott Fitzgerald den Rat gibt, Zelda endlich in eine Irrenanstalt abzuschieben, um wieder in Ruhe arbeiten zu können. Der Konflikt spitzt sich auf nächtlicher Straße zu {auch hier bleibt der Film bieder}: Perkins unterstellt Wolfe, dass ihm die wichtigste Eigenschaft eines Autors fehlt – Mitgefühl, genauer: Empathie, das Sich-hinein-versetzen in die Gefühle anderer.
Wolfe war stets die Hauptfigur seiner Bücher und betont, autobiografisch zu schreiben sei die einzig wahre Form des Schreibens. Andere – Familie, Freunde – wurden zu seinem literarischen Material und viele waren davon wenig begeistert, aber auch das blendet der Film einfach aus.

Worum geht es also in dem Film? Um die Kraft der Freundschaft? – es ist mehr die Kraft, einen Narzissten zu ertragen.
Um die Kraft der Literatur? – mal ehrlich: Wer liest in den Zeiten von WOW schon noch Wolfe?
Thomas Wolfe ist im Alter von 38 Jahren an einer Hirninfektion gestorben. Man erlebt diesen Tod als Filmzuschauer eher unberührt, auch wenn Colin Firth als Perkins hier zum ersten Mal den Hut zieht.

Fazit

Dem Film hätte etwas mehr Mut gut getan. Wolfe war ein sprachgewaltiger innovativer Autor, der entscheidenden Einfluss auf die Beat Generation und damit auf die gesamte literarische {post}Moderne hatte. Zitate vom Blatt werden ihm nicht gerecht, seine oft überbordenden Bilder hätten eine eigene Filmsprache verdient.
Als Freund möchte man ihn auch nach diesem Film nicht haben, es sei denn er kommt in der Gestalt von Jude Law daher und bringt Colin Firth mit.

Mein Lieblingssatz: »Nach einer wahren Begebenheit« {Hinweis im Vorspann}

Histo Journal Filmpunkte: 2.5 von 5